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Schreie auf dem Boulevard

Man sollte doch aufwachen. Man sollte doch nicht dasitzen und sich übertölpeln lassen: nicht von den Jüngern, die, in hagern Armen die heilige Schale, das große Nichts umtanzen und uns einreden, sie ließen uns nur deshalb nicht heran, weil es tabu sei – so die um George; nicht von Gruppen und Grüppchen, die vermeinen, die Entwicklung aufhalten zu können, wenn sie sie ignorieren – so andre …

Wachet auf! ruft eine Stimme. Die des Herrn Schickele, der sein Paris, soweit es nicht in der ›Freundin Lo‹ enthalten war, in diesen ›Schreien auf dem Boulevard‹ niedergelegt hat. Ich möchte hier nicht das große Können loben, nicht das Artistische, das vielleicht auch noch andre treffen. Aber dass er dergleichen überhaupt sieht, ist Grund zur Freude. Streiks, Wahlen, ein Mord, Jaurès – alles Dinge, die die Journalisten nur sehen, wenn sie gerade aktuell sind. Aber sie sind immer aktuell – weil wir unter ihnen leben. Weil sie auf uns wirken, auch, wenn wir sie nicht sehen. Aber er sieht sie.

Und wie –! So ohne Verallgemeinerungen. Da ist, zum Beispiel, eine Skandalaffäre, über die die Blätter berichten. Wie fein ist da als Motiv aller Nachrichten nicht das Streben nach – sagen wir: Wahrheit erkannt, sondern die Sucht, die Konkurrenz zu schlagen. Eigentlich ohne Ironie. So en passant wird das konstatiert, durchaus in der Ordnung befunden … weiter!

›Die Hochzeitsglocken der Liane de Pougy‹ standen damals in der ›Schaubühne‹, wie manche dieser Aufsätze. In allen ist das Gefühl für die große Stadt, für den Asphalt, der von Arbeitern getreten wird und von Bürgern und von uns.

Das Buch gehört in die neue Linie, die langsam wächst: Jensen, Holitscher, nun Schickele. Es wird. Es wird.

Peter Panter
Die Schaubühne, 31.07.1913, Nr. 30, S. 758.