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Die Girls

Sie sind auf der ganzen Welt gleich: in Sydney, in Singapore, in London – sogar in Berlin haben sie ihre Eigenart bewahrt. Wie sind sie ? – So:

Die Bühne bleibt noch einen Augenblick leer, die Musik hat ein Stück unter mit Gegenrhythmus und süßlichen Geigentönen. Dann, von rechts und links, sie. Gewöhnlich in Babykostümen, oder in Wadenstrümpfchen, jedenfalls alle gleich, unwahrscheinlich geschminkt und kindlich aufgemacht. Alle vierzehn tänzeln nun an die Rampe und singen ihr Lied. Kann mir nicht jemand sagen, was diese Mädchen eigentlich singen? Ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Jedenfalls singen sie, und es ist lieblich anzuhören. Ihre Stimmchen sind aus zartestem Blech, ihr Piano heiser, aber sie singen rein. Ihre Köpfchen liegen schelmisch schief – und stets bieten sie den Anblick einer Photochrom-Ansichtskarte.

Man darf sie nicht individualisieren. Der deutsche Zuschauer pflegt davor zu sagen: »Sieh mal, die dritte von links, die ist niedlich!« und sieht nun die ganze Nummer über bloß die dritte von links. Falsch. Die dritte ist überhaupt nicht vorhanden, sie ist nur da, wenn die andern da sind. So, wie es nicht eine Parallele allein gibt, so gibt es auch kein Sunshine-Girl allein, ohne die andern. Nicht vergleichen müßt ihr, nicht abwägen, welche besonders nett ist. Alle miteinander, alle miteinander, so, wie sie da sind.

Und wer möchte sich nicht von den kleinen Vogelleibern umdrängt wissen, einmal, im Traum meinetwegen, ihre Stimmchen allzumal hören, ihre Händchen fühlen, alle achtundzwanzig? Und im zierlichsten Sopran umtrippelten sie den gewaltigen Mann, den Riesen, den Gott.

Am Tage sehen sie dick, aufgequollen aus. Mögen sie – was gehen mich ihre Privatschicksale an? Nichts. Sie drehen ihre Schirmchen, sie springen durch ein Schnürchen, sie wiegen die Lockenperückchen – Sonnenscheinmädchen, Sunshinegirls.

Peter Panter
Die Schaubühne, 09.10.1913, Nr. 41, S. 985.