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Wohnung suchen in Paris

Es gibt in Paris 1600 Wohnungen, die die Stadt gebaut hat – und demgegenüber stehen etwa 60000 Familien, die offiziell um Unterkunft gebeten haben. Das sieht in der Praxis so aus:


Wohnungsämter gibt es nicht; das nötige Quantum Umständlichkeit, Korruption, Heuchelei und Unannehmlichkeiten bringen die Wohnungsagenturen auf. So ein Agent hat in der Stadt mehrere ›démarcheurs‹ herumlaufen, die ihm anzeigen, wo eine Wohnung frei ist. Der Agent ist in den seltensten Fällen vom Hausbesitzer legitimiert, die Sache zu vertreten – er weist nur Adressen nach. Kommt der Abschluß zustande, so erhält er vom Mieter 10% der ersten Jahresmiete – und um überhaupt kontrollieren zu können, ob der Mieter durch seine Vermittlung gemietet hat, tritt häufig wiederum der démarcheur in Tätigkeit, und der erfährt das seine durch die Portierfrau.

Die Portierfrau … Mund, hier hast du zu schweigen, Worte sagen es nicht … Dieses alte Polizeiinstrument vertritt sehr häufig den ›gérant‹, den Hausverwalter, so dass wir also an folgender Stufenleiter ehrfürchtig emporsehen: Hausbesitzer – gérant – concierge.

Wie jede private Nachfrage in Paris, so ist auch diese durchaus patriarchalisch und unobjektiviert geregelt – das fast völlig mangelnde Angebot hat zu den groteskesten Erscheinungen geführt. Wohnungen von etwa fünf und sechs Zimmern, die für den, der heute mieten will, über 30000 Francs im Jahr kosten, sind jederzeit ziemlich leicht zu haben – dazu kommen dann noch die sogenannten ›charges‹, Steuerlasten, die durchweg mit 10 Prozent, also mit weiteren 3000 Francs berechnet werden. In dieser Preislage gehts. Darunter aber ists fürchterlich.

Wonach leere Wohnungen eigentlich vergeben werden, ist ein tiefes Geheimnis; Eugène Sue hätte dem vierzehn weitere Bände seiner ›Mystères de Paris‹ widmen sollen. Es ist nicht einmal immer das Geld. Eine leere Wohnung ist ein Machtfaktor, ein Trumpf, den man nicht ohne weiteres aus der Hand gibt. Dafür bekommt man Geld, viel Geld natürlich – aber dafür kann man auch andres bekommen als Geld: nämlich Empfehlungen, Beteiligungen, vielleicht eine reiche Braut, und wenn ich Henri Béraud wäre, so schriebe ich: auch die Ehrenlegion.

Denn so ohne weiteres in ein französisches Haus zu treten und an die Portierfrau die Frage zu stellen: »Ist hier eine Wohnung zu vermieten?« – – also eher kann man in den Salon einer fremden Familie hineinpoltern und sagen: »Ach, entschuldigen Sie: ich möchte gern die Tochter des Hauses heiraten!«

Versuchs. Tritt ein. Frage.

Die Portierfrau – die sozusagen eine femina tantum ist, sie hat manchmal einen Mann, aber den gibt es eigentlich nicht – die Portierfrau sieht dich finstern Blicks an und spricht allemal: »Von wem sind Sie empfohlen?« – Ja, das ist nicht einfach. Bei den ersten Besuchen sagte ich: »Aber von niemand!« und dann flog ich prompt hinaus. Darauf erfand ich einen Herrn Doulou aus Toulon, einen kleinen, dicken Herrn, Sie kennen ihn gewiß, so ein kleiner, dicker … ? Nein, sie kannten ihn nicht, aber er half doch ein wenig, der Herr Doulou – und ein Tuscheln hub an. Türen wurden geschlossen, Fenster verhängt – und mit leisem Flüstern sprachen sie von der leeren Wohnung, wie Mädchenhändler von ihrer Ware oder wie die bootlegger vom teuflischen Whisky … Und dann kam der große Moment, und ich durfte die Wohnung wenigstens sehen.

Man bekommt da oft die typische Großstadtwohnung zu sehen, ein bißchen kleiner als in Berlin, etwas eng – auch haftet Paris neben vielen anderm der falsche Ruf an, es gäbe daselbst keine Badezimmer und was so damit zusammenhängt. Es gibt sie. Es gibt auch einen schwanken Fahrstuhl, der sich auf einer Riesensäule vorsichtig nach oben schiebt, und in dem man nicht hinunterfahren darf; es gibt alles, was man braucht, nur keine Wohnungen.

Denn mit dem Besuch ist es nicht abgetan. Weder der Agent, der die Adresse nachgewiesen hat (»Und sagen Sie nicht, dass Sie von einer Agentur kommen!«), noch die concierge weiß nun etwa, ob die Wohnung überhaupt noch zu vermieten ist. Das – das weiß nur der gérant. Hin zum gérant.

Meist ist sie ›gerade‹ vermietet. Wenn sie aber ungerade frei ist, dann kann man mit einer Summe von 3 bis 5000 Francs für gérant oder concierge rechnen; wer der militärischen Erziehung durch das preußische Militär teilhaftig geworden ist, der weiß, wie sich der junge Rekrut der Schusterstube zu nahen hatte: anklopfen – vorsichtig die Tür aufmachen, leise ein Markstück hineinreichen, Tür wieder zumachen, und dann erst wurde in die Besohlungsverhandlungen eingetreten … So auch im pariser Leben.

Die Agenturen nehmen erhebliche Vorschüsse, wenn sie etwas auf sich halten; weißt du eine Adresse, so mußt du im Auto hinfahren, so rasch gehts da (»Il y a déjà plusieurs personnes qui sont là-dessus!« sie sitzen bereits darauf), – wird einer krank, so verbreitet sich in der Nachbarschaft ein Gemurmel, und die Portierfrau muß den Wartenden sagen: »Schlechte Nachrichten. Es geht ihm besser.« – Einmal gab mir ein Agent eine Empfehlung an eine Portierfrau, nur, damit sie mich empfänge – für später einmal – man könne doch nie wissen … Es war sehr heiter.

Es ist auch schon vorgekommen, dass ich in ein Haus eintrat, so ich nie gesehen hatte, frisch, fromm und gottesfürchtig eine Wohnung erfragte, zu allem Ja sagte und auch wirklich eine gezeigt bekam, eine ganz heimische, eine noch möblierte Wohnung, der es schon in allen Möbeln zuckte, und die ganz still bei sich wußte: Ich bin frei! Ich bin frei! – Und dann bekam sie ein anderer.

Und ein der ›Vossischen Zeitung‹ nahestehender Journalist – dem haben sie eine Wohnung angeboten, aber es ist da eine junge Hausbesitzerin, und sie stellt so ihre privaten Bedingungen … Und er will nicht, und jetzt hat er immer noch keine Wohnung, und ich habe ihn gebeten, mich zu schicken – aber er hat gesagt, dazu gehöre schon ein Mann, die Wohnung sei recht geräumig.

Ich habe nun alles hinter mir, ich habe alle Mittel versucht, alles gesehen: Portierswohnungen, wo plötzlich, mitten in der Verhandlung mit ›ihr‹, oben unter der Decke, wie im Wirtshaus zum ›Rosenkavalier‹, ein Kerl seinen schreckhaften Kopf durchsteckte und fragte: »Was ist denn hier los?« – ich habe die jungen Damen der Agenturen zum Tanz ausgeführt und ins Kino – mir blieb nichts erspart.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 31.10.1926.