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Stimmung

Wir müssen dabei absehen von dem Stofflichen in allen Arten der Poesie. Das Stoffliche ist unpoetisch, und es gehört in unsere Erkenntnistheorie der Nachweis, daß die Sprache nicht einmal zur Mitteilung des Stofflichen geeignet ist. Sie ist ungeeignet zur Erkenntnis der Welt, doppelt ungeeignet also zur Mitteilung der Erkenntnis. Das Poetische an der Poesie ist aber immer gewesen und wird immer sein: die Stimmung, das Gefühl, die Beleuchtung, die subjektive Anschauung, welche der Dichter mit dem Stofflichen verbindet. Zur Mitteilung dieses subjektiven Elements ist der Dichter zu jeder Zeit auf gewisse Worte beschränkt; andere darf er nicht anwenden, ohne daß die Stimmung gestört würde. Der Kreis dieser poetischen Sprache wechselt von Geschlecht zu Geschlecht; heute wird die Stimmung durch Worte erhöht, die sie noch vor dreißig Jahren gestört hätten und umgekehrt; aber die Tatsache, daß dem Dichter für seine Zwecke nicht sein ganzer prosaischer Sprachschatz zur Verfügung steht, wird niemand leugnen. Welche Worte sind es nun, die die Stimmung erzeugen helfen? Shakespeare erzeugte Stimmung durch Worte wie Mars und Venus; ich habe dabei die Empfindung, als kratze jemand auf Glas. Dieselbe Empfindung hätte man in Europa vor fünfzig Jahren gehabt, wenn ein Dichter in tragischer Absicht von den Regenpfützen der Straße geredet hätte, in denen sich bei Lampenlicht die häßlichen Gestalten vorüberstürzender Dirnen spiegeln. Welche Worte sind poetisch?

Doch offenbar diejenigen Worte oder Wortgruppen, welche wir in Verbindung mit einer Stimmung ererbt haben oder welche geeignet sind, sich neu mit einer Stimmung zu verbinden. Es sind die Nachahmer, welche überlieferte Stimmungen mit überlieferten Worten ausdrücken, es sind die Genies, die für neue Stimmungen neue Worte suchen. Was aber ist die innige Verschmelzung von Wort und Stimmung anderes, als der Eroberungszug der Metapher über den Begriff hinaus, als die Gewinnung von Gefühlswerten?