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Goethe

Bevor ich weitergehe, möchte ich durch einige Äußerungen Goethes zeigen, wie nahe er einer solchen erkenntnis-theoretischen Auffassung war. In einem seiner Sprüche in Prosa (951) sagt er: "Nicht die Sprache an und für sich ist richtig, tüchtig, zierlich, sondern der Geist ist es, der sich darin verkörpert; und so kommt es nicht auf einen jeden an, ob er seinen Rechnungen, Reden oder Gedichten die wünschenswerten Eigenschaften verleihen will: es ist die Frage, ob ihm die Natur hierzu die geistigen und sittlichen Eigenschaften verliehen hat. Die geistigen: das Vermögen der An- und Durchschauung; die sittlichen: daß er die bösen Dämonen ablehne, die ihn hindern könnten, dem Wahren die Ehre zu geben." Es scheint mir, daß ich diesen tiefsinnigen Spruch trotz des argen Wortes Geist für mich in Anspruch nehmen kann; was Goethe meint, ist doch offenbar: nicht auf die Worte kommt es an, die jemand in seinen "Rechnungen, Reden oder Gedichten" (die Dreiteilung ist köstlich) gebraucht, sondern auf die den Worten zu Grunde liegenden psychologischen Vorgänge, die wir nicht mehr in geistige und sittliche zu unterscheiden brauchen, sondern in seine erworbene Erfahrung und in seinen angeborenen Charakter.

Wäre Goethe nicht (zu unserem Glücke) ganz Dichter gewesen, hätte er diesen Gedanken auf Grund von Lockes Psychologie und Kants Weltanschauung abstrakt zu Ende denken können, so hätte er zu unserer Vorstellung vom metaphorischen Charakter der Sprache gelangen müssen. Man lese nur seine "Sprüche in Prosa". Er hat (in Nummer 178) die Schillersche Unterscheidung zwischen der älteren naiven und der neueren sentimentalen Poesie im Sinne, wenn er mit milder Ironie die Gleichberechtigung der neueren Dichtung aufstellt, die doch immer mehr das Gemütliche des inneren Lebens als das Allgemeine des großen Weltlebens darstellt, die "eine Poesie ohne Tropen ist". Da stellt er sich den Ausdruck in der Bedeutung vor, die er in der Poetik hat. Aber bald (Nummer 235) fügt er mit Überwindung der Schulsprache hinzu: "Es gibt eine Poesie ohne Tropen, die ein einziger Tropus ist." Man sollte glauben, er hätte damit das Auftreten der sogenannten symbolistischen Poesie vorausgesagt, welche in Wahrheit ein einziger Tropus ohne Tropen ist. Diese Stimmungspoesie, von welcher kein Neuerer so schöne Proben gegeben hat, wie Goethe mitunter selbst, ist augenblicklich das letzte Wort der Wortkunst und erscheint darum dem einen als ein tiefer Fall, als die Decadence, dem anderen als der höchste Gipfel, als die Renaissance der Poesie. Wir aber untersuchen auch diese Wortkunst darauf hin, ob sie über die Sinnenkünste hinaus Bilder zu wecken vermöge.

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