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§ 50. Die mittelbare Intentionalität der Fremderfahrung als „Appräsentation“ (analogische Apperzeption)

Die eigentlichen und in der Tat nicht geringen Schwierigkeiten macht, nachdem die transzendental sehr bedeutsame Vorstufe, die Definition und Gliederung der primordialen Sphäre, von uns schon erledigt worden ist, der erste der oben bezeichneten Schritte zur Konstitution einer objektiven Welt, der Schritt zu dem Anderen. Sie liegen also in der transzendentalen Aufklärung der Fremderfahrung in dem Sinne, in dem der Andere noch nicht zu dem Sinn Mensch gekommen ist.

Erfahrung ist Originalbewußtsein, und in der Tat sagen wir im Falle der Erfahrung von einem andern Menschen allgemein, der Andere stehe selbst leibhaftig vor uns da. Anderseits hindert diese Leibhaftigkeit nicht, daß wir ohne weiteres zugestehen, daß dabei eigentlich nicht das andere Ich selbst, nicht seine Erlebnisse, seine Erscheinungen selbst, nichts von dem, was seinem Eigenwesen selbst angehört, zu ursprünglicher Gegebenheit komme. Wäre das der Fall, wäre das Eigenwesentliche des Anderen in direkter Weise zugänglich, so wäre es bloß Moment meines Eigenwesens, und schließlich er selbst und ich selbst einerlei. Es verhielte sich ähnlich mit seinem Leib, wenn er nichts anderes wäre als der Körper, der rein in meinen wirklichen und möglichen Erfahrungen sich konstituierende Einheit ist, meiner primordialen Sphäre zugehörig als Gebilde ausschließlich meiner Sinnlichkeit. Eine gewisse Mittelbarkeit der Intentionalität muß hier vorliegen, und zwar von der jedenfalls beständig zugrundeliegenden Unterschicht der primordialen Welt auslaufend, die ein Mit da vorstellig macht, das doch nicht selbst da ist, nie ein Selbst-da werden kann. Es handelt sich also um eine Art des Mitgegenwärtig-Machens, eine Art Appräsentation.

Eine solche liegt schon in der äußeren Erfahrung vor, sofern die eigentlich gesehene Vorderseite eines Dinges stets und notwendig eine dingliche Rückseite appräsentiert, und ihr einen mehr oder minder bestimmten Gehalt vorzeichnet. Andrerseits kann es gerade diese Art der schon die primordiale Natur mitkonstituierenden Appräsentation nicht sein, da zu ihr die Möglichkeit der Bewährung durch entsprechende erfüllende Präsentation gehört (die Rückseite wird zur Vorderseite), während das für diejenige Appräsentation, die in eine andere Originalsphäre hineinleiten soll, a priori ausgeschlossen sein muß. Wie kann in der meinen die Appräsentation einer anderen und damit der Sinn Anderer motiviert sein, und in der Tat als Erfahrung, wie es schon das Wort Appräsentation (Als-mitgegenwärtig-bewußt-Machen) andeutet? Eine beliebige Vergegenwärtigung kann das nicht. Sie kann das nur in Verflechtung mit einer Gegenwärtigung, einer eigentlichen Selbstgebung; und nur als durch sie gefordert kann sie den Charakter der Appräsentation haben, ähnlich wie in der Dingerfahrung wahrnehmungsgemäßes Dasein Mitdasein motiviert.

Den Untergrund eigentlicher Wahrnehmung bietet uns die dem allgemeinen Rahmen der beständigen Selbstwahrnehmung des Ego eingeordnete kontinuierlich fortgehende Wahrnehmung der primordial reduzierten Welt in der von uns früher beschriebenen Gliederung. Die Frage ist nun, was in dieser Hinsicht im besonderen in Betracht kommen muß und wie die Motivation läuft, wie die recht komplizierte intentionale Leistung der faktisch zustandekommenden Appräsentation sich enthüllt.

Eine erste Leitung kann uns der Wortsinn Anderer bieten — anderes Ich; alter sagt alter ego, und das Ego, das hier impliziert ist, das bin ich selbst, innerhalb meiner primordialen Eigenheit konstituiert, und zwar in Einzigkeit als psychophysische Einheit (als primordialer Mensch), als personales Ich unmittelbar waltend in meinem, dem einzigen Leib, unmittelbar auch hineinwirkend in die primordiale Umwelt; im übrigen Subjekt eines konkreten intentionalen Lebens, einer auf sich selbst und auf die Welt bezogenen psychischen Sphäre. Das alles, und zwar in der im erfahrenden Leben erwachsenden Typisierung, mit den vertrauten Verlaufs- und Komplexionsformen, steht uns zu Gebote. Durch welche ihrerseits höchst komplizierte Intentionalitäten es sich konstituiert hat, das haben wir freilich nicht untersucht — es bildet eine eigene Schicht großer Untersuchungen, auf die wir nicht eingegangen sind und nicht eingehen konnten.

Nehmen wir nun an, es tritt ein anderer Mensch in unseren Wahrnehmungsbereich, so heißt das, primordial reduziert: Es tritt im Wahrnehmungsbereich meiner primordialen Natur ein Körper auf, der als primordialer natürlich bloß Bestimmungsstück meiner selbst (immanente Transzendenz) ist. Da in dieser Natur und Welt mein Leib der einzige Körper ist, der als Leib (fungierendes Organ) ursprünglich konstituiert ist und konstituiert sein kann, so muß der Körper dort, der als Leib doch aufgefaßt ist, diesen Sinn von einer apperzeptiven Übertragung von meinem Leib her haben, und dann in einer Weise, die eine wirklich direkte und somit primordiale Ausweisung der Prädikate der spezifischen Leiblichkeit, eine Ausweisung durch eigentliche Wahrnehmung, ausschließt. Es ist von vornherein klar, daß nur eine innerhalb meiner Primordialsphäre jenen Körper dort mit meinem Körper verbindende Ähnlichkeit das Motivationsfundament für die analogisierende Auffassung des ersteren als anderer Leib abgeben kann.

Es wäre also eine gewisse verähnlichende Apperzeption, aber darum keineswegs ein Analogieschluß. Apperzeption ist kein Schluß, kein Denkakt. Jede Apperzeption, in der wir vorgegebene Gegenstände, etwa die vorgegebene Alltagswelt ohne weiteres auffassen und gewahrend erfassen, mit einem Blick ihren Sinn mit seinen Horizonten verstehen, weist intentional auf eine Urstiftung zurück, in der sich ein Gegenstand ähnlichen Sinnes erstmalig konstituiert hatte. Auch die uns unbekannten Dinge dieser Welt sind, allgemein zu reden, ihrem Typus nach bekannte. Wir haben dergleichen, obschon gerade nicht dieses Ding hier, früher schon gesehen. So birgt jede Alltagserfahrung eine analogisierende Übertragung eines ursprünglich gestifteten gegenständlichen Sinnes auf den neuen Fall, in seiner antizipierenden Auffassung des Gegenstandes als den ähnlichen Sinnes. Soweit Vorgegebenheit, soweit solche Übertragung; wobei sich das in weiterer Erfahrung als wirklich neu Herausstellende des Sinnes wieder stiftend fungieren und eine Vorgegebenheit reicheren Sinnes fundieren mag. Das Kind, das schon Dinge sieht, versteht etwa erstmalig den Zwecksinn einer Schere, und von nun ab sieht es ohne weiteres im ersten Blick Scheren als solche; aber natürlich nicht in expliziter Reproduktion, Vergleichung und im Vollziehen eines Schlusses. Doch ist die Art, wie Apperzeptionen entspringen und in weiterer Folge in sich, durch ihren Sinn und Sinneshorizont, auf ihre Genesis intentional zurückweisen, eine sehr verschiedene. Den Stufenbildungen der gegenständlichen Sinne entsprechen die der Apperzeptionen. Letztlich kommen wir immer zurück auf die radikale Unterscheidung der Apperzeptionen in solche, die ihrer Genesis nach rein der primordialen Sphäre zugehören, und solche, die mit dem Sinn alter ego auftreten und auf diesem Sinn dank einer höherstufigen Genesis neuen Sinn aufgestuft haben.