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»Ritter ist Ritter und wir sind nur Knappen. Selbst Baader ist nur sein Dichter«, schreibt Novalis am 20. Januar 1799 an Caroline Schlegel. Was Ritter und Novalis miteinander verband, ist von der Art, daß dies Wort mehr enthält als eine Rangbestimmung von Ritters Tätigkeit für die Romantisierung der Naturwissenschaften; es zielt zugleich auf die menschliche Haltung, die wohl bei keinem Romantiker vornehmer und gegenwartsfremder zugleich war. Im Grunde haben beide, menschlicher Rang und wissenschaftliche Haltung des Physikers, bei Ritter sich aufs innigste durchdrungen, wie es in dem Selbstzeugnis sich bekundet, in welchem er den greisen Herder zum Urahnen seiner Forschung gemacht hat: Herder, den man als Schriftsteller häufig habe treffen können, »besonders in der Woche; als Menschen aber, weit über alle seine Werke erhaben, habe man ihn Sonntags finden können, wo er, seinem Schöpfer folgend, ruhte und den Tag im Schoße seiner Familie verbrachte; nur ›Fremde‹ durften dann nicht bei ihm sein. Gleich herrlich und göttlich sei er erschienen, wenn er, was er sehr liebte, an einem schönen Sommertage eine ländliche Gegend, zum Beispiel das schöne Wäldchen an der Ilm zwischen Weimar und Belvedere, besuchte, wohin dann aber außer seiner Familie ihm nur folgen durfte, wen er ausdrücklich einlud. An solchen Tagen dann, den einen oder andern, sei er wirklich wie ein Gott erschienen, der von seinen Werken ruhe, nur doch als Mensch, die seinigen nicht, sondern die des Gottes selbst erhebend und preisend. Mit Recht dann habe über ihm der Himmel zum Dome sich gewölbt, und selbst des Zimmers starre Decke habe nachgegeben; aber der Priester darin sei nicht aus diesem Land noch dieser Zeit gewesen; Zoroasters Wort stand auf in ihm, und strömte Andacht, Leben, Friede und Freude in die ganze Umgebung; so ward in keiner Kirche Gott gedient, wie hier, – wo sich erwies, daß nicht das Volk, sondern der Priester, sie fülle. Hier – wiederholte N. unzählige Male – hier habe er gelernt, was die Natur, der Mensch in ihr, und eigentliche Physik, seien, und wie die letztere Religion unmittelbar.« Der N., von dem hier die Rede ist, ist Ritter selbst, wie er in seiner ebenso rückhaltlosen wie keuschen, schwerfälligen wie abgründigen Natur in der Vorrede der »Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers« (Heidelberg 1810) sich dargestellt hat. Der unverwechselbare Ton dieses Mannes, der diese verschollene Vorrede zur bedeutendsten Bekenntnisprosa der deutschen Romantik macht, findet sich auch in seinen Briefen, von denen nicht viele sich scheinen erhalten zu haben. Der folgende ist an den Philosophen Franz von Baader gerichtet, der während seiner zeitweilig einflußreichen Stellung in München etwas für den schwer kämpfenden Jüngeren zu tun unternahm. Und gewiß war es nicht leicht, für einen Mann zu wirken, der von seinen »Fragmenten« sagen durfte, daß es bei ihnen »schon von selbst ehrlicher gemeint sein mußte, als es so leicht gemeint ist, wenn man bloß für das Publikum, also öffentlich, arbeitet. Denn so sieht eigentlich niemand zu, als, wenn es erlaubt ist, ihn zu nennen, der liebe Gott, oder, ist's anständiger, die Natur. Andere ›Zuschauer‹ haben noch nirgends viel getaugt, und auch ich habe mit vielen andern empfunden, daß es Werke und Gegenstände gibt, die nicht gelungener ausgeführt werden, als wenn man tut, als schreibe man für gar niemand, auch nicht einmal für sich selber, sondern eben für den Gegenstand selbst.« Ein schriftstellerisches Credo dieser Art hat schon damals seinen Bekenner in Not gebracht. Aber er fühlte nicht sie allein, sondern, wie der folgende Brief erweist, auch das Recht, sich auszusprechen, das sie verleiht und die Kraft dazu: amor fati.

Johann Wilhelm Ritter an Franz von Baader

Den 4. Januar 1808.

Für Ihr Schreiben von voriger Woche sage ich Ihnen den verbindlichsten Dank. Sie wissen ein für allemal, daß ich Erinnerungen, wie es enthält, immer am liebsten von Ihnen erhalte. Hier kommen sie mir wie im eigenen Gemüt entstanden vor, und ich behandle sie auch so.
Mit nichts belegen Sie besser, daß Sie mich kennen, als wenn Sie das alles, worin Sie mich unmäßig schelten müssen, doch noch Studien nennen. Ich habe vielleicht fast alles erlebt, was man bis zu meinen Jahren erleben kann; vieles habe ich nie gesucht, aber dagegen oft auch absichtlich mich nicht zurückgehalten, dies und jenes geschehen zu lassen. Ich suchte wahrscheinlich in allen nur das Eine, Bleibende, ohne was kein ehrlicher Mensch sein kann, nur daß ich um so vorbereiteter dazu kommen wollte, je verwickelter ich es – mir – seit der frühesten Besinnung voraussah. Auch halte ich es von größerem Lohn, »gelebt«: als bloß gewußt zu haben.
Was Sie von Zulassung äußerer Überreizungen sagen, gehört zum Teile auch dahin; ich will keineswegs sagen: ganz. Es können wenige, nach dem, was ich sehe, die natürliche Geschichte des männlichen Lebens ernstlicher, tiefer, ehrlicher vor Gott, und sich selbst eingestehender, begonnen und fortgesetzt haben als ich. Suchen Sie in dieser Äußerung nichts weniger als Eigendünkel, sondern bloßes Resultat aus einer nicht ganz beschränkten Beobachtung, erlaubt, es auszusprechen, wo es nötig ist. – Übrigens sehe ich das Ganze so als notwendigen Teil in das Fatum meines Strebens verwebt, daß ich ihn noch dazu als den vornehmsten, den im Geheimen Basis gebenden betrachten muß. Ob unter solchen Umständen ich hier unmäßig werden und gewesen sein könne, will ich selbst zwar nicht entscheiden, schwer zu glauben aber wird es mir.
Nach Allem habe ich somit wohl Grund, die letzte Ursache meiner Kränklichkeit, die erst seit einigen Jahren angefangen hat, tiefer zu suchen. Ich glaube sie äußerst leicht angeben und treffen zu können. Kummer und Sorge sind es; meine ökonomischen Verhältnisse drücken mich. Das hat trotz alles Gegenstrebens, endlich auch den Körper getroffen. Sobald sich hierfür eine radikale Kurmethode entdeckt, sobald auch werde ich durchgängig geheilt sein. – Wie ich zu meinen Schulden gekommen, davon weiß ich die Rechenschaft und die Rechtfertigung wohl, aber sie läßt sich nicht jedem geben. Glücklich, daß ich selbst sie mir geben kann. Sie verstehen mich hier gewiß. Es gibt Dinge, die um keinen Preis zu teuer sind; es gibt ein Gut, um dessenwillen man selbst Menschen, dem Scheine nach, betrügen kann. Ich sage ausdrücklich: dem Scheine nach. Der Betrug ist gar nicht höher als der des Kaufmanns, der für eine gewiß durchgehende Spekulation von mehr Kredit Gebrauch macht, als ihm sonst zukäme.
In praktischen Arbeiten war ich auch gehindert, da man hier bekanntlich noch gar nicht weiß, was man sich dergleichen muß kosten lassen. Wie viele schöne Arbeiten liegen entworfen da! Aber mit 100, auch 300 fl. sind sie noch nicht auszuführen, die Gulden aber selbst schon Summen, vor denen man an einem Orte erschrickt, an welchem nie ein wissenschaftliches Corps und ein Esprit desselben gedeihen kann. Was unter solchen Umständen kann mir aus Vorlesungen, jetzt, für irgend ein echter Nutzen entstehen! Ich weiß, daß ich Zuhörer haben würde, wie Sie und Schelling, und vielleicht ein Dritter noch, und mit Freuden wollte ich sehen, ob ich nicht alles liegen lassen könnte, wären Sie allein diese meine Zuhörer. Aber Sie allein werden das nicht sein; gerade was ohne Frage den Ausschlag geben soll, ist eine große Anzahl anderer Personen, die nicht sind, wie Sie, die genannten Drei; sage ich denen, was Sie verstehen, so verstehen sie wieder nichts, und spreche ich, daß diese es verstehen, so wird mir Angst, Sie nur im Zimmer zu sehen, etwas, das ich schon aus mehreren Anwandlungen kenne. Was übrig bleibt, ist immer ein bloßes »seine Künste sehen lassen«.
Aber es ist Zeit, daß ich schließe. Verzeihen Sie den langen Brief. Es kam mir diesmal das Schreiben schicklicher vor als das Sprechen, zumal Sie wie ich verhindert waren, Gelegenheit zum letzteren zu geben.