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Georg Lukács hat die weittragende Bemerkung gemacht, das deutsche Bürgertum hätte seinen ersten Gegner – den Feudalismus – noch nicht zu Boden gerungen, als schon das Proletariat – sein letzter – vor ihm gestanden habe. Die Zeitgenossen Metternichs haben davon ein Lied singen können. Man braucht nur die »Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts« des nie genug geschätzten Gervinus zu öffnen und dort zu lesen, was auch der emeritierte Haus-, Hof- und Staatskanzler noch kurz vor seinem Tode hat lesen können: »Es hat große Staatslenker gegeben, die drückender als Metternich regierten, aber durch Verdienste um den Staat ihre Härte vergüteten, die, selbst wenn sie wie Metternich ihre persönlichen Interessen dem Staatswohl voranstellten, doch, wo ihr Eigennutz nicht im Spiele war, das Gute aus Klugheit förderten oder in natürlicher Neigung und in dem gemeinen Trieb zur Tätigkeit. Nicht so war Metternich. Sein Interesse war die Untätigkeit, und es war daher immer im Spiele und mit dem Staatswohle immer im Streit.« Es war aber nicht sie allein, die dem Gestürzten jene Souveränität schenkte, die dieser Brief des Einundachtzigjährigen so sichtlich atmet, und auch nicht nur der ungestörte Genuß unabsehbarer Reichtümer, die sich der Fürst, wie man sagte, durch die »Kursgewinne und Teilungsverträge mit den Geldkönigen, die Dienste um Dienste, die Gewinne aus teuren Verkäufen... und wohlfeilen Käufen, ... die Entschädigungs-, Friedens-, Evakuations-, Ausgleichungs-, Erwerbungs- und Schiffahrtsmillionen« in einem dreißigjährigen Frieden zu verschaffen gewußt hatte, sondern die denkwürdige politische Konfession, die sich in den acht Bänden seines handschriftlichen Nachlasses kaum irgendwo gültiger formuliert finden wird als in diesem vermächtnisartigen Schreiben an den Grafen von Prokesch- Osten, seinen einzigen Schüler und damaligen österreichischen Bundestagspräsidialgesandten in Frankfurt. Man kann von diesem Brief getrost den Bogen über ein halbes Jahrhundert schlagen und wird den Vorbehalt, der mehr noch als in allen seinen Worten in Metternichs vieldeutigem Lächeln lag – einem Lächeln, das dem Marschall Lannes kriechende Schmiegsamkeit zeigte, dem Freiherrn Hormayr List und Lüsternheit, dem Lord Russell nichtssagende Gewohnheit – man wird den Vorbehalt und dieses Lächeln bei Anatole France wiederfinden, der sagt: »Alle Augenblicke spricht man von ›Zeichen der Zeit‹. Aber die sind sehr schwer ausfindig zu machen. Nicht selten schien mir aus einigen kleinen Szenen, die unter meinen Augen sich abspielten, das Eigentümlichste unserer Epoche zu sprechen. In solchen Fällen aber geschah es neunmal von zehnen, daß ich genau das Gleiche mit entsprechenden Begleitumständen in alten Memoiren oder Chroniken wiederfand.« Das ist es; und darum wird das Leben stets von jenen destruktiv gestimmten Geistern – mögen sie als Grandseigneurs feudalistisch oder als Bürger anarchistisch gesinnt sein – am liebsten mit dem Spiel verglichen werden. Der Doppelsinn des Wortes ist ganz am Platze. Im folgenden Schreiben ist es das der Bühne mit seiner ewigen Wiederkunft alles Gleichen, in einem beinahe gleichzeitigen der Hasard, wobei »die Rücksichten auf Moral- und Rechtsbegriffe in den Skat« gehören. »Lackierten Staub« hat ein russischer Staatsrat den Fürsten genannt. Er hätte sein Lächeln darum nicht abgelegt: die Staatskunst war ihm ein Menuett, wonach im Sonnenlicht Stäubchen tanzen. So gab er von einer Politik sich Rechenschaft, die auch das Bürgertum in seiner großen Zeit nicht meistern konnte, ohne sie als Illusion zu durchschauen.

Fürst Clemens von Metternich an den Grafen Anton von Prokesch-Osten

Wien, 21. Dezember 1854.

Lieber General!
Ich benütze die erste sichere Gelegenheit, um Ihnen für Ihre freundschaftliche Erinnerung an den 23. November zu danken. Der Tag hat sich zum 81. Mal eingestellt, und er bietet mir also kaum andere Blicke als in die Vergangenheit; die Zukunft gehört mir nicht mehr, und die Gegenwart bietet mir wenig Befriedigung.
Ich bin ein geborener Feind der Nacht und Freund des Lichts. Zwischen der totalen Finsternis und dem Zwielicht mache ich einen geringen Unterschied, denn in dem letzteren fehlt ebenfalls die belebende Helle. Wo wird hell gesehen? Wenn Sie es wissen, so sind Sie begabter als ich es bin. Ich sehe in allen Richtungen Widerspruch in den Worten und den Taten, den ehrlich aufgestellten Vorsätzen und den eingeschlagenen Wegen, dem Verständlichen in den Zwecken und dem Unverständlichen in der Wahl der Mittel! Irgend Neues vermag ich in den Objekten nicht zu entdecken, die Sachen sind die alten, und sie sind selbst nicht in einem neuen Gewand aufgestellt, das Handgreifliche in der Lage sind die gewechselten Rollen unter den Darstellern des Schaustückes. Daß dasselbe mit Flugwerken und kostbarer mise en scène ausgestattet wurde, hieran ist kein Zweifel. Man führe mir nur das Stück nicht als ein neues an und erlaube mir, die Entwicklung zum Ausspruch über die Behandlung des Stoffes abzuwarten.
Wahrhaft Neues liegt in der Art der Kriegführung der Seemächte, und es zeigt sich in der Dampfkraft. Ein Unternehmen wie das in der Krim wäre vor wenigen Jahren unmöglich gewesen, und es gehört unzweifelhaft zu den großen Experimenten. Wird der Nutzen den Kosten entsprechen? Dies wird auch die Zukunft lehren, welcher viele große Aufklärungen anheimgestellt bleiben. Der Himmel lenke sie zum besten!
Im Jahre 1855 wird sich vieles deutlicher zeigen, als ich es heute zu erkennen vermöchte. Ich hoffe Sie in dessen Verlauf zu sehen. Pläne mache ich nie über eine oder höchstens zwei Jahreszeiten hinaus; ich habe mich in allen Zeiten und Lagen nach der Decke zu strecken gewußt, und je älter meine Decke wird, um so mehr verkürzt sie sich.
Erhalten Sie mir Ihre Gefühle, wie Sie der meinigen versichert sein können.

Metternich.