Zur Psychogenese der Mechanik

 

Mit all diesen Bemerkungen will ich den großen Wert und die Bedeutsamkeit der Machschen Arbeit durchaus nicht schmälern, mein Zweck war nur, an einem Beispiel zu zeigen, welch reiche Erkenntnisquellen unsere Gelehrten durch die Nichtberücksichtigung der Psychoanalytik vor sich verschließen. Auch wir Psychoanalytiker wünschen nichts sehnlicher als die von Mach in diesem Werk geforderte Zusammenarbeit der Psychologie mit den exakten Wissenschaften, verlangen aber, daß die exakten Wissenschaften in Fragen der Psychogenetik auch unsere psychologischen Untersuchungsmethoden anwenden und die sie interessierenden psychologischen Probleme vom übrigen seelischen Material nicht künstlich isolieren sollen. Mach selbst erachtet es für einen Fehler, »aus der Fülle der auf das Individuum einwirkenden Eindrücke... gerade die mechanischen zu verfolgen, während in der Natur, im Leben, die verschiedenartigsten instinktiven und empirischen Einblicke sich zweifellos mit- und auseinander dereinst entwickelt haben« (und darum gibt es in dieser Arbeit Beispiele nicht nur mechanischer, sondern auch metallurgischer, chemisch-technologischer, ja sogar biologischer und toxikologischer Entdeckungen).

An anderer Stelle des Buches betont er, daß die ganze Mechanik eine Idealisierung ist, eine Abstraktion, die die nicht umkehrbaren (thermo-dynamischen) Prozesse exakt darzustellen nicht imstande ist. Mit derselben Unparteilichkeit aber, mit der Mach die Grenzen seines Spezialgebietes absteckt, könnte er sich auch eingestehen, daß die aus dem übrigen seelischen Zusammenhang gelöste Betrachtung der Entwicklung unserer mechanischen Fähigkeiten, wie er sich ausdrücken würde, »durch Außerachtlassung und Übersehen notwendig an Wahrscheinlichkeit verlieren« und eine der Realität entrückte Idealisierung bleiben muß.

Nur noch zu einer Anregung Machs möchten wir Stellung nehmen. »Ein hervorragend wichtiges Hilfsmittel einer experimentellen Ethnographie«, meint Mach, »wäre die Beobachtung isolierter, ihrer Umgebung schon in allerersten Anfängen entzogener und möglichst sich selbst überlassener Kinder. Da erfahrungsgemäß Elementarkenntnisse auch von älteren Individuen in kürzester Zeit nachgeholt werden, würde dies keinesfalls einen Eingriff in das Leben des einzelnen bedeuten; anderseits steht bei dem ausschlaggebenden und richtungsbestimmenden Einfluß des Charakters der ersten Entwicklungsperiode auf das ganze Leben zu erwarten, daß durch ein solches Verfahren gegenteilig hervorragende Qualitäten des einzelnen geweckt und hiedurch neue Werte von großer Tragweite geschaffen würden.«

Ich glaube endlich das entscheidende Argument gegen die Realisierbarkeit dieses, bei Poeten und Philosophen immer und immer wiederkehrenden (weil einem tiefen, eigenen, unbewußten Wunsche entspringenden) Planes der Züchtung von solchen unkultivierten ›Naturkindern‹ gefunden zu haben. Einen kleinen Urmenschen zu erziehen ist darum unmöglich, weil wir den Neugeborenen - soll er von der Kultur absolut nicht berührt werden - sofort nach der Geburt in ein Urmenschenmilieu versetzen müßten, etwa in eine Urmenschenfamilie vor der Erfindung der ersten mechanischen Werkzeuge. Daß dies undurchführbar ist, wird wohl jeder ohneweiters einsehen. Höchstens könnte man ihn von einer Draviden- oder Südseeinsulanerfamilie adoptieren lassen; das ist aber durchaus überflüssig, es gibt ja ohnehin Kinder bei den Draviden und Insulanern, der Ethnograph braucht nur hinzureisen, um sie beobachten zu können. Die Idee aber, ein Kind ›ohne Milieu‹ sich selbst zu überlassen, ist widersinnig; nie noch hat es ein menschliches, auch kein urmenschliches Wesen ohne entsprechendes Milieu gegeben, das ihm die schon gewonnene, wenn auch noch so bescheidene Kultur übermittelte. Die Anfänge der Kultur findet man schon bei unseren tierischen Vorfahren, Mach selbst schreibt ja den Affen mechanische Begabung zu. Die vorgeschlagene Art experimenteller Ethnographie wird also niemals zur Tat werden können; auch bin ich nicht sicher, ob aus dem Kinde, das ›ohne Milieu‹ sich selbst überlassen bliebe, nicht ein Imbeciler würde. Auch die Begabung bedarf ja der Anregung von außen. Die Junglebook-Phantasie bleibt also besser den Poeten überlassen.

Trotz diesen, zum Teil übrigens unwesentlichen Einwendungen muß ich auch nach der Lektüre des Buches Mach für einen Psychoanalytiker erklären, mag sich der kritische Verfasser des Werkes ›Erkenntnis und Irrtum‹ dagegen noch so scharf verwahren und die Psychoanalyse als ›Mystik‹ abweisen.

»Wohl unbewußt fußen Empfindung und Verständnis in unserer oder unserer Ahnen Erinnerung« ... »Kindheits- und Ahnengefühle lassen uns die archaisch angehauchten Kunstwerke so tief ergreifend finden.« Dies sind Sätze, die ebensowohl in einem psychoanalytischen Aufsatz vorkommen könnten - sicher auch schon vorgekommen sind; auch ist es die Psychoanalyse allein, die für die Tatsächlichkeit dieser Behauptungen exakte Beweise anzuführen imstande ist.

»Von dem Kulturstadium, in das wir hineingeboren sind, aufgenommen, durcheilen wir in einer kurzen Lernzeit (ähnlich wie im fötalen Zustande) ungeheure Arbeits- und Entwicklungszeiten ...« Ginge die Kultur plötzlich verloren, so müßten die Maschinen, von den einfachsten Fertigkeiten des Naturmenschen ausgehend, - wieder in der alten Reihenfolge aufgebaut werden. Mach scheint hier den unerbittlichen Instanzenzug, der im Psychischen (vielleicht im Organischen überhaupt) herrscht und den Freud zuerst demonstrieren konnte, genial erfaßt zu haben. Er beschreibt die komplizierte mechanische (und anderweitige) Kultur als höchste Blüte menschlichen Könnens, die aber auch heute noch in einfachsten Betätigungstrieben wurzelt und nur aus ihnen regeneriert werden kann.  

Darum macht auch Mach - den bisher nur jene Gedankenarbeit beschäftigte, die sich in der wissenschaftlichen Literatur der Mechanik vollzieht - nunmehr den einfachen Arbeiter, das Kind, den Urmenschen zum Objekt seiner Untersuchung; er hat eingesehen, daß die Kenntnis einfacherer Verhältnisse »die notwendig vorausgehende Grundlage und Bedingung« für das Verständnis des Komplizierteren ist. Auch hierin möchten wir einen Parallelismus mit dem Arbeitsplan der Psychoanalytiker erblicken, die ja überhaupt aus dem kindlichen oder in Traum und Krankheit zur Kindheit regredierten Seelenleben das Verständnis für die verwickeltsten Kulturleistungen des wachen Normalmenschen holen wollen.

Nicht unerwähnt darf ich den freien animistischen Geist lassen, der dieses Werk eines so hervorragenden Kenners der physischen Welt durchweht. Er scheut sich nicht einzubekennen, daß ein Mechanismus für sich unbeweglich sein müßte, da »erst durch die Kraft Bewegung in ein mechanisches System kommt«; Leibniz aber sprach das glückliche Wort aus: »die Kraft sei etwas der Seele Analoges.«

Wann werden der Physiker, der im Mechanismus die Seele findet, und der Psychoanalytiker, der in der Seele Mechanismen sieht, einander die Hände reichen und an einer von Einseitigkeiten und ›Idealisierungen‹ freien Weltanschauung mit vereinten Kräften arbeiten?

 


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