Zur Begriffsbestimmung der Introjektion

(1912)


Dr. A. Maeder bezieht sich in einem Aufsatz1 auf meine Arbeit über Introjektion2), und indem er diesen Begriff mit dem von ihm vorgeschlagenen Begriff der Exteriorisation vergleicht, gelangt er zur Schlußfolgerung, daß beide so ziemlich dasselbe bedeuten. Wäre dem wirklich so, so müßten wir uns nunmehr darüber einigen, welcher der beiden Termini fallen zu lassen sei.  

Die wiederholte Lektüre beider Aufsätze überzeugte mich aber, daß die Identifizierung beider Begriffe nur infolge mißverständlicher Auslegung der in meiner Arbeit entwickelten Idee erfolgen konnte.

Ich beschrieb die Introjektion als Ausdehnung des ursprünglich autoerotischen Interesses auf die Außenwelt durch Einbeziehung deren Objekte in das Ich. Ich legte das Schwergewicht auf dieses ›Einbeziehen‹ und wollte damit andeuten, daß ich jede Objektliebe (oder Übertragung), beim Normalen sowohl als auch beim Neurotiker (natürlich auch beim Paranoischen, insofern er deren fähig ist), als eine Ausweitung des Ichs, d. h. als Introjektion auffasse.

Im Grunde genommen kann der Mensch eben nur sich selbst lieben; liebt er ein Objekt, so nimmt er es in sein Ich auf. Gleichwie die arme Fischersfrau im Märchen, der infolge einer Verwünschung die Wurst an die Nase angewachsen ist, deren Berührung sie wie die der eigenen Haut verspürt und sich gegen das Abschneiden des unliebsamen Auswuchses energisch wehren muß: so spüren wir alles Leid, das den von uns geliebten Objekten angetan wird, als unser eigenes. Solches Anwachsen, solche Einbeziehung; des geliebten Objektes in das Ich nannte ich Introjektion. Ich stelle mir - wie gesagt - den Mechanismus jeder Übertragung auf ein Objekt, also jeder Objektliebe als Introjektion, als Ichausweitung vor.

Die exzessive Ubertragungsneigung der Neurotischen aber beschrieb ich als unbewußte Übertreibung desselben Mechanismus, also als Introjektionssüchtigkeit, während die Paranoiker3) die Tendenz haben, ihre Liebe den Objekten zu entziehen, und falls sie wiederkehrt, sie in die Außenwelt zu projizieren (Projektionssucht). Ein echter Paranoiker könnte ein Stück der eigenen Nase (der eigenen Persönlichkeit) für eine ›Wurst‹ ansehen, abschneiden und wegwerfen; keinesfalls aber läßt er daran etwas Fremdes anwachsen.  

Ich weiß es nur zu gut, und habe auch in meiner zitierten Arbeit oft darauf hingewiesen, daß dieselben Mechanismen auch beim Normalen vorkommen.4) Sicher ist auch, daß die Projektion auch in manchen Fällen der Neurose in Gang gesetzt wird (z. B. bei den hysterischen Halluzinationen); auch fehlt die Fähigkeit zum Übertragen (Introjizieren) nicht in jedem Fall von Paranoia. Immerhin spielt die Projektion bei der Paranoia und die Introjektion bei der Neurose eine um so viel bedeutsamere Rolle als andere Mechanismen, daß man sie als für diese klinischen Krankheitsbilder charakteristisch ansehen kann.5)

Wenden wir uns nun zur Exteriorisation Maeders. Sie besteht nach seiner Beschreibung darin, daß einzelne Organe des Körpers mit Gegenständen der Außenwelt identifiziert und als solche behandelt werden. (Der Paranoide F. B. sieht in den Äpfeln des Obstgartens Vervielfältigungen seiner Genitalien. Ein anderer hält die Wasserleitung für sein eigenes Blutgefäß.)  

Maeder hält dies für einen Projektionsvorgang. Nach meinen vorangesetzten Ausführungen müßte man aber diese Fälle folgendermaßen auffassen: Die Paranoischen machten vielleicht auch in diesen Fällen einen Versuch zur Projektion des Gefallens an den eigenen Organen, sie brachten aber bloß eine Verschiebung dieses ihnen subjektiv erhalten gebliebenen Interesses zustande. Den eigenen Körper kann das Ich als zur Außenwelt gehörig, also objektiv, betrachten. Bei der ›Exteriorisation‹ Maeders wurde also das Interesse nur von einem Objekt der Außenwelt (dem Organ) auf ein anderes ähnliches (die Wasserleistung, das Obst) verschoben. Die Verschiebung kennen wir aber schon als einen Spezialfall des Introjektionsmechanismus, der Übertragung, wobei zur Sättigung der ›frei flottierenden‹ Libido an Stelle des zensurierten Objektes ein anderes, ähnliches, in den Interessenkreis einbezogen wird. Maeders Exteriorisation ist also kein Projektions-, sondern ein Introjektionsvorgang.

Bei der wirklich gelungenen paranoischen Projektion (z. B. beim Verfolgungswahn) wird hingegen einem Teil der psychischen Persönlichkeit selbst (der Homosexualität) die Zugehörigkeit zum Ich, gleichsam das Bürgerrecht, entzogen und da er sich doch nicht aus der Welt schaffen läßt, wieder als etwas Objektives, Ichfremdes, behandelt. Eine solche Umwandlung des rein Subjektiven in etwas Objektives darf als Projektion bezeichnet werden. Ich stehe nicht an, die ›exteriorisierenden‹ Paranoiker, die immerhin noch ein wenn auch verschobenes Interesse an den Dingen der Außenwelt nehmen, die also noch introjizieren und auf diesem Umwege sich sozial betätigen können, als den Neurotikern näher stehend und vielleicht auch therapeutisch günstiger zu beurteilen.  

Nach alledem kann ich Maeders Exteriorisierung nur als eine übrigens auch bei Normalen vorkommende6) spezielle Art der Introjektion, nicht aber als Projektion auffassen; den Begriff der Introjektion aber, der unseren bisherigen Erfahrungen gerecht wird, glaube ich auch in Hinkunft festhalten zu sollen.

 

1) A. Maeder, ›Zur Entstehung der Symbolik im Traum, in der Dementia praccox usw.‹

2) ›Introjektion und Übertragung‹.

3) Die Existenz einer Paranoia ohne Demenz ist mir im Gegensatz zu Maeder nicht zweifelhaft.

4) Den dort gebrachten Beispielen hierfür könnte: ich sogar weitere anfügen. Man kann z. B. die metaphysischen Systeme der Philosophie als Projektions- und als Introjektionssysteme klassifizieren. Der Materialismus, der das Ich ganz in der Außenwelt aufgehen läßt, bezeichnet das Maximum der denkbaren Projektion; der Solipsismus, der die ganze Außenwelt in das Ich aufnimmt, das Maximum der Introjektion.

5) Nach neueren Erfahrungen wird die Paranoia nebst dieser pathognomonischen Form auch durch einen pathognomonischen Inhalt (Homosexualität) charakterisiert. (S. Freud, ›Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiographisch beschriebenen Fall von Paranoia‹, 1912, und Ferenczi, ›Rolle der Homosexualität in der Pathogenese der Paranoia‹.)

6) S. den Hinweis auf die mythische Vermenschlichung unbelebter Dinge in meiner Arbeit ›Introjektion und Übertragung‹.

 


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