Die Brückensymbolik und die Don Juan-Legende

(1922)


In einer kurzen Mitteilung über ›Die Symbolik der Brücke‹ versuchte ich unlängst, die vielfachen Schichten der Bedeutung aufzudecken, die die Brücke im Unbewußten gewonnen hat. Nach dieser Deutung ist die Brücke 1) das männliche Glied, das das Elternpaar beim Geschlechtsverkehr miteinander verknüpft und an das sich das kleine Kind anklammern muß, soll es im ›tiefen Wasser‹, über das diese Brücke gelegt ist, nicht umkommen. 2) Insofern es dem männlichen Glied zu verdanken ist, daß man aus jenem Wasser überhaupt zur Welt gekommen ist, ist die ›Brücke‹ ein wichtiges Beförderungsmittel zwischen dem ›Jenseits‹ (dem Noch-nicht-geboren-Sein, dem Mutterleib) und dem ›Diesseits‹ (dem Leben). 3) Da sich der Mensch auch den Tod, das Jenseits nach dem Leben, nicht anders als nach dem Vorbild der Vergangenheit, also als eine Rückkehr in den Mutterleib (ins Wasser, in die Muttererde) vorstellen kann, bekommt die Brücke auch die symbolische Bedeutung eines Beförderungsmittels in den Tod. 4) Schließlich kann die Brücke zur formalen Darstellung von ›Übergängen‹, ›Zustandsänderungen‹ überhaupt benützt werden.  

Nun sind in der ursprünglichen Fassung der ›Don Juan-Legende‹ die unter 1 bis 3 hervorgehobenen Motive mit einem überdeutlichen Brükkensymbol so innig verknüpft, daß ich es für erlaubt halte, diese Verknüpfung als eine Bestätigung meiner Deutung auszulegen.  

Der berühmte Frauenjäger Miguel Monara Vicentello de Leco (Don Juan) zündete der Sage nach über den Guadalquivir hinweg seine Zigarre an der Zigarre des Teufels an. Er begegnete einmal seinem eigenen Begräbnis und wollte in der Krypta der von ihm erbauten Kapelle bestattet werden, damit man ihn mit Füßen trete. Erst nach dem ›Begräbnis‹ bekehrt er sich und wird zum reuigen Sünder.  

a) Die über den Fluß hinweg angezündete Zigarre möchte ich als Variante des Brückensymbols auslegen, in der (wie das bei Varianten oft der Fall ist) vieles vom Unbewußt-Verdrängten wiederkehrt. Die Zigarre erinnert durch ihre Form und das Brennen an das vor Begierde brennende männliche Genitalorgan. Die riesenhafte Geste - das Anzünden über den Fluß hinweg - paßt sehr gut zur Vorstellung von der riesigen Potenz eines Don Juan, dessen Glied man sich in kolossaler Erektion repräsentieren mochte.  

b) Das Dem-eigenen-Begräbnis-Beiwohnen wird erklärlich, wenn man sich zur Annahme entschließt, daß diese Doppelgängerphantasie eigentlich die Personifikation des so wesentlichen Bestandteils von Don Juans leiblichem Ich, seines Genitales nämlich, darstellt. Das Genitale wird bei jedem Geschlechtsverkehr tatsächlich ›begraben‹, und zwar am selben Ort, der auch die Geburtsstätte ist, und das übrige ›Ich‹ mag diesem ›Begräbnis‹ ängstlich zusehen. Die Psychoanalyse zahlreicher Träume und der neurotischen Klaustrophobie erklärt die Angst vor dem Lebendig-begraben-Werden als den in Angst verwandelten Wunsch nach Rückkehr in den Mutterleib. Vom narzißtischen Standpunkt gesehen ist übrigens jeder Geschlechtsverkehr, jedes Opfer an das Weib, ein Verlust, eine Art Kastration im Sinne Stärckes1), auf den das gekränkte Ich mit Todesangst reagieren kann. Auch Gewissensskrupel und Strafphantasien mögen dazu beitragen, daß ein Don Juan bei jedem geschlechtlichen Akt sich der Hölle, der Vernichtung näher fühlt. Wenn wir mit Freud den Don Juan-Typus im Liebesleben, den Zwang zur Reihenbildung, zur Eroberung unzähliger Frauen (Leporello-Album!) damit erklären, daß dies nur ein Ersatz für die eine Liebe ist, die auch dem Don Juan versagt bleibt (Ödipus-Phantasie), so wird uns jene Strafphantasie erst recht verständlich; sie ahndet ja die ›Todsünde‹ par excellence.  

Selbstverständlich meine ich nicht, in diesen wenigen Zeilen den versteckten Inhalt der Don Juan-Legende enthüllt zu haben, die noch viele unerklärliche Züge hat (ich verweise z. B. auf die wahrscheinlich homosexuelle Bedeutung des Anzündens einer Zigarre an einer anderen); ich wollte nur eine Bestätigung der phallischen, respektive Leben-Tod-Bedeutung der Brücke durch ihr Auftauchen mitten unter den typischen Symbolen des Todes, der Geburt und der Sexualität erbringen.

 

1) ›Der Kastrationskomplex.‹


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