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III. Psychologische Terminologie

Psychologie ohne Psyche

Man kann wirklich die Geschichte der Psychologie oder Seelenkunde kurz dahin zusammenfassen, daß seit der Ausbildung dieser Wissenschaft zu einer besonderen Disziplin, also seit ungefähr dreihundert Jahren, auf diesem Gebiete immer weniger "gewußt" wird. Die Psychologen vermeiden bereits, ihre Werke einfach "Psychologie" zu nennen, und es wird wohl nicht lange dauern, bis der Gegenstand dieser Wissenschaft, die menschliche Seele, aus der Reihe der technischen Ausdrücke ausgeschieden sein wird. Man wird bald einsehen müssen, daß alle physiologischen Tatsachen, durch welche man die Vorstellungen und die Willensakte des Menschen beschreiben will, durch die Einführung des Seelenbegriffs nur verwirrt werden. Nichts aber kann dem Sprachkritiker ferner liegen als das Protzentum der Materialisten, welche seit hundert Jahren vorgeben, den Mechanismus von Vorstellen und Wollen zu kennen, weil sie anstatt Seele Gehirn sagen. Sie sind das Seelengespenst los geworden, aber nur um es durch ein paar Dutzend andere Wortgespenster zu ersetzen; so mag ein frommer Mann in einem verwunschenen Schlosse sich dabei beruhigen, wenn er gegen das Schloßgespenst ein paar wundertätige Heiligenbilder aufgehängt hat. Nach wie vor werden die Abstraktionen der alten Psychologie scholastisch durcheinander gemengt, von den Materialisten erst recht. Die alten Worte sind ihnen wie der Zopf, an welchem Münchhausen sich selbst aus dem Sumpf zog; nur daß ich den Vergleich vielleicht schon zu oft herangezogen habe. Ich will das Bild durch ein moderneres zu ersetzen suchen. Die Sprache ist den Materialisten wie allen Systemmachern eine so trügerische Stütze, wie es die Lenkstange dem Anfänger im Radfahren ist. Auch der Anfänger im Radfahren klammert sich, wenn er schwankt, an die Lenkstange und behält sie im Fallen krampfhaft in der Hand; er vergißt, daß die Lenkstange zu seiner Maschine gehört, also keinen Stützpunkt außer ihr abgeben kann.

Nach Absterben des Seelenbegriffs werden wir also eine Seelenlehre, eine Psychologie ohne Seele, ohne Psyche haben. Die Titelfrage ist unerheblich. An einem ähnlichen Gebrechen — daß ihnen der Kopf abhanden gekommen ist — leiden viele tüchtige Disziplinen. Wir wissen jedoch ungefähr, historisch, à-peu-près, was gemeint ist, wenn von Sprachwissenschaft, von Himmelskunde, von Entwicklungslehre die Rede ist. Nur schwerer definierbar ist die Psychologie geworden, seitdem die Tautologie, sie sei die Lehre vom Seelenleben, ganz komisch geworden ist.

Geht nun die Psychologie nicht mehr von der Seele aus, die man einst so genau zu kennen vermeinte, so bleiben ihr zwei Wege offen. Sie kann synthetisch, in diesem Falle eigentlich immer sensualistisch, von den sogenannten Elementarerscheinungen des geistigen Lebens, z. B. den Empfindungen ausholen; oder sie kann nach Preisgabe der Seele verzweifelt an den nächst hohen Begriffen festhalten, den Seelenvermögen. Beide Wege werden betreten. Der zweite nicht mehr ganz so brutal, aber immer noch so wortgläubig wie in Galls Phrenologie oder besser Kranioskopie. Diese berühmte Verirrung war übrigens doch schon aus der Ahnung hervorgegangen, daß man sich wissenschaftlich von dem Seelengespenst befreien müsse.