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Ignorabismus

Ich bin weit abgekommen, bin bis auf ein Gebiet geraten, wo wir auf dem weiteren Wege die ältesten Stützen der Grammatik und damit der Logik werden zusammenbrechen sehen. Und ich wollte doch nur das feierliche Wort Ignorabimus einmal so gründlich analysieren, als es die Mittel der Sprachkritik zulassen. An dieser Stelle will ich aber dem Wegbegleiter noch nicht das Äußerste zumuten: das Zugeständnis, daß wir uns mit den Eigenschaften oder Qualitäten (weil sie Übersetzungen der Quantitäten aus der Wirklichkeitswelt in die Sprache der menschlichen Sinne sind) nur metaphorisch unsere menschliche Erscheinungswelt aufbauen können, daß wir uns mit den aus den Eigenschaftswörtern entstandenen Substantiven und Verben gerade nur praktisch in der jeweiligen Gegenwartswelt orientieren können, daß insbesondere die nach kümmerlicher Analogie gebildeten komplizierten Tempusformen der Verben nichts besagen, wenn wir sie auf die schwierigsten Fragen der psychologischen Spekulation anwenden. An dieser Stelle mag es genügen, die historische Perfektform der Worte für "wissen" festzuhalten. Im Deutschen, im Lateinischen wie im Griechischen heißt wissen so viel wie gesehen haben, bemerkt haben. Die Etymologie von ignorare ist nicht ganz sicher (ignarus?); jedenfalls ist es eine Negation des lateinischen Wortes für wissen. Lassen wir nun, um uns nicht zu verlieren, die schielende Bedeutung der Negation und die (wie sich ergeben wird) ebenso schielende Bedeutung der Futurumsform beiseite, so bleibt doch als schlichter Sinn des lapidaren Wortes Ignorabimus nur übrig: "Wir werden nicht gesehen haben, wir werden nicht bemerkt haben." Allerdings, wir werden den Übergang des Körperlichen in das Seelische niemals gesehen haben. Aber wir werden den Übergang des Unorganischen ins Lebendige ebensowenig jemals sehen oder gesehen haben. Nur ein Rhetor der Akademie kann hier das Rätsel leugnen, dort das applauslüsterne Abgangswort "Ignorabimus" rufen. Du Bois-Reymond war vorsichtiger, als er die schwächere Fortsetzung seiner Rede, den Vortrag über die sieben Welträtsel, mit dem anderen Worte schloß: Dubitemus.