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Kompliziertheit der Erlebnisse

So viel sehen wir schon, daß die denkende Seele sowohl wie die animalische und die vegetative Seele nur ein zusammenfassender Ausdruck ist für Lebensvorgänge, denen wir um so lieber eine besondere, personifizierte Ursache geben, als wir uns von dem Netzwerk ihrer wirklichen Ursachen gar kein Bild machen können. Dieses Netzwerk von Ursachen muß überaus kompliziert sein. Man bedenke einmal, wie kompliziert schon eine Maschine ist, welche irgend eine einzelne Fingerbewegung, wie z. B. das Spinnen oder das Greifen nachahmen will; man bedenke, daß die menschliche Hand eine Unzahl solcher Bewegungen und jede solche Bewegung in einer Unzahl von Stärkegraden zu leisten im stände ist. und daß wir von dem Sitze oder von der Art dieser Handseele keine Ahnung haben. Nun bedenke man weiter, daß das Hervorbringen der sprachlichen Laute mindestens ebenso kompliziert ist wie die Bewegung der Hand, daß aber die Innervation des Sprachorgans unlöslich verbunden ist mit einer ebenso komplizierten Innervation des Gehörorgans, und daß — während ich so leicht, wie ich die Lippen bewege, z. B. das Wort "Gehörorgan" ausspreche — zuletzt bei diesem Aussprechen außer der komplizierten Tätigkeit des Sprachwerkzeugs und des Gehörorgans noch die ganze Reihe von Erinnerungen oder Vorstellungen, welche sich an die Begriffe Hören und Organ knüpfen, sogleich aufgeregt werden. Schreibe ich nun gar das Wort Gehörorgan nieder, so verbinden sich mit all diesen unendlich verwickelten Komplikationen noch diejenigen der Handfertigkeit. Es ist doch gar nicht anders möglich, als daß beim Niederschreiben dieses Wortes alle Gruppen, in welchen wir die verschiedenen Vorgänge des Lebens ordentlich auseinander halten, gleichzeitig mehr oder weniger mitbeteiligt sind.

Vielleicht waren die letzten Ausführungen überflüssig. Für meinen Wegbegleiter, weil er ungeduldig keinen Umweg will. Für die Gegner, weil sie störrisch immer zu ihren Wörter zurückkehren. Ich wollte wieder an einem anderen, und diesmal an dem nächsten Beispiel zeigen, daß der oberste psychologische Begriff, der der Seele, nicht einmal klar ist in seiner Beziehung zum Lebensbegriff. Daß unter den seelischen Erscheinungen nicht einmal die bekannteste Gruppe, die des Sprachvermögens oder Sprachsinns, sich von anderen Gruppen genug loslösen läßt, um eine gesonderte psychologische, psychophysische oder gar physiologische Behandlung zuzulassen. Selbst die Forscher, die ein motorisches und ein sensorisches Sprachzentrum anatomisch behaupten, müssen zugeben, daß sie Zentren für motorische und sensorische Tätigkeit des Schreibenden oder Lesenden nicht keimen. Alle diese Vorstellungen sind übrigens ganz schematisch. Endlich wollte ich jetzt zeigen, daß wir auf diesem wohlvertrauten Sprachgebiete mit der "Empfindung" als einem Elemente des psychischen Lebens erst recht nichts anzufangen wissen. Sind die Bewegungsempfindungen beim distinkten Denken einfach, weil sie leise sind?