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Schwatzvergnügen

Dieses Vergnügen ist nichts weiter als ein Spiel mit der Sprache, eines der Spiele, wie sie um ihrer geistigen Armut willen Kranken und Greisen empfohlen werden. Besonders scheint mir dieser Massengebrauch der Sprache als Schwatzvergnügen (sowohl mündlich als beim Lesen) viel Ähnlichkeit zu haben mit dem Dominospiel, wo doch auch die ganze Geistesarbeit darin besteht, an das Wertzeichen des Gegners sein Steinchen von gleichem Wert anzusetzen, solange man es aushält. Ganz wie in einer sogenannten Konversation.

Dabei ist zu beachten, daß fast jeder Dominospieler noch ein Nebenspiel betreibt, daß er nämlich die Steine zu einer Zeichnung von künstlerischer Freiheit aneinander legt. Dieses Doppelspiel gibt es auch beim Schwatzen und Zeitungsschreiben; es gibt neben der Ordnung nach dem Sinn noch eine Wortordnung zum Spaße, was dann Witz oder Stil heißen mag. Auch die wissenschaftlichen Bücher sind selten ganz frei von diesen beiden spielerischen Erscheinungen des Schwatzvergnügens. Man nennt da die heimliche Ordnung der Dominosteine: das System.

Die Menschen haben sich das Denken angewöhnt, nicht nur weil es nützlich, sondern weil es ein Vergnügen ist. Erhaltung des Individuums und Fortpflanzung der Art beruht auf einem ähnlichen unentwirrbaren Zwiespalt von Ursache und Wirkung. Macht uns das Essen Vergnügen, damit wir zu unserer Erhaltung essen oder weil wir zu unserer Erhaltung essen? Wer das wüßte, wüßte alles.

Mir macht das Denken offenbar Vergnügen, sonst würde ich mir nicht einsam den Kopf zerbrechen. Und mir macht das Sprechen offenbar Vergnügen, sonst würde ich nicht schwatzen. Dieselbe Empfindung kann man aber schon beim Kinde beobachten, das die ersten. Worte sprechen gelernt hat. Hat es den Wortklang getroffen, so hat es Freude am Sprechen. Noch mehr erfreut ist es aber, wenn ihm selbst ein richtiges "Urteil" gelungen ist, wenn es beim Anblick eines Hundes von selbst Wauwau sagen kann.

Im Reden des Eingeübten, des Selbstverständlichen besteht das Schwatzvergnügen. Ein wohlerzogener Mensch fragt und antwortet (auch als Schriftsteller) nie anders, als der zweite wohlerzogene Mensch es erwartet. Erwartet wird das Eingeübte, das Selbstverständliche, das Banale. Zwei wohlerzogene Selbstmörder, die einander auf dem letzten Gange begegneten, würden noch sagen: "Wie geht's?" und "danke, gut". Es ist eigentlich solches Reden nicht mehr als ein Grüßen, Tagzeit bieten. So kommt in den Unterhaltungen der Wohlerzogenheit am Ende noch weniger heraus als bei den Unterhaltungen der Dummheit.

Die Aufnahme einer neuen Vorstellung ins Gehirn muß eine gewisse Anstrengung sein, ein gewisser minimaler Schmerz. Die gewaltsame Bahnung eines neuen Nervenwegs ist vielleicht die Entjungferung einer Ganglienzelle. Wenn das Mikroskop im stände wäre, im Gehirn eines kleinen Kindes die Aufschließung von tausend Ganglienzellen und die Aufreißung, Festigung und Ebnung eines Netzes von Tausenden von Nervenbahnen vergrößernd zu zeigen, es müßte ein fürchterlicher Anblick sein. Kommt nun später ein Sinneseindruck hinzu, der eine geebnete Bahn und eine wohleingerichtete Ganglienzelle vorfindet, so kann ich mir recht gut vorstellen, daß es ein körperliches Behagen gewährt, ihn die Bahn entlang gleiten zu lassen und ihn in die angepaßte Zelle aufzunehmen. Wie ein Straßenbahnwagen, der nach einer Entgleisung schrecklich über das Pflaster rumpelt, knirschend und knarrend, und der dann wieder sanft summend über die Schienen läuft.

Selbstverständlich dienen die Worte dieser bequemen Einrichtung. Welcher Funktion aber entsprechen sie? Sind sie Wechselbegriffe mit den Ganglienzellen des Gehirns? (Falls nämlich die Ganglienzellen wirklich irgendwie psychische Residenzen sind.) Sind sie Signale an den Kreuzungspunkten des Netzes? Oder sind sie am Ende gar nur das plumpe rollende Material, das auf den glatten Bahnen dahin und daher läuft, und das uns Vergnügen bereitet wie eine Fahrt auf der Eisenbahn?