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Schweigen

In einem kleinen Aufsatz über das Schweigen hat Maeterlinck sowohl die Tiefe seiner Andacht als die Grenzen seines Denkens verraten. Ich entnehme ihm einige Sätze, welche seiner Überzeugung von dem Unwert der Sprache hübschen Ausdruck geben. "Man muß nicht glauben, daß die Sprache jemals der wirklichen Mitteilung zwischen den Wesen diene. Die Worte können die Seele nur in der gleichen Weise vertreten, wie z. B. eine Ziffer im Kataloge ein Bild bezeichnet; sobald wir uns aber wirklich etwas zu sagen haben, sind wir gezwungen zu schweigen.... Wir reden nur in den Stunden, wo wir nicht leben, in den Augenblicken, wo wir unsere Brüder nicht wahrnehmen wollen und wo wir uns in einer großen Entfernung von der wirklichen Welt empfinden. Und sobald wir sprechen, verrät uns irgend etwas, daß irgendwo göttliche Pforten sich schließen. Auch sind wir sehr geizig mit dem Schweigen; und die Unklügsten unter uns schweigen nicht mit dem ersten besten.... Ich denke hier nur an das aktive Schweigen; es gibt aber auch ein passives Schweigen, welches nichts ist als der Eeflex des Schlummers, des Todes oder des Nichtseins.... Sobald zwei oder drei Menschen sich begegnen, denken sie nurdaran, den unsichtbaren Feind zu verscheuchen; denn die meisten gemeinen Freundschaften haben keinen anderen Grund als den Haß gegen das Schweigen.... Sobald die Lippen schlafen, erwachen die Seelen und gehen ans Werk; denn das Schweigen ist voll von Überraschungen, von Gefahren und von Glück.... Willst du dich wahrhaft einem Menschen hingeben, so schweige: und wenn du Furcht davor hast, dich mit ihm auszuschweigen, so flieh ihn; denn deine Seele weiß bereits, woran sie ist.... Wir kennen uns noch nicht, schrieb mir jemand, den ich vor allen liebte, wir haben noch nicht gewagt, zusammen zu schweigen.... Man wägt die Seelen im Schweigen, wie man das Gewicht von Gold und Silber in reinem Wasser prüft; und die Worte, welche wir aussprechen, verdanken ihren Sinn nur dem Schweigen, in welchem sie sich baden."

Immer kehrt der Gedanke wieder, daß zwei menschliche Wesen einander durch die Sprache nichts Wesentliches sagen können. Über diese ethisch-poetische Betrachtung der Sprache gelangt Maeterlinck nicht hinaus; niemals kommt ihm auch nur von ferne der Einfall, es werde sich durch die Sprache auch Erkenntnis nicht ausdrücken lassen. Mit dem naiven Vertrauen eines Dichters verachtet er die Sprache nur, soweit er selbst mit ihr zu tun hat, traut ihr aber auf fremdem Gebiet alle möglichen Fähigkeiten zu. Ein klarer Denker ist er nicht. Und so ist es kein Wunder, daß er auf seinem eigensten Gebiete den Fehler begeht, durch welchen die menschliche Sprache für die Erkenntnis überhaupt unfähig geworden ist, ich meine nicht geworden nach einem früheren besseren Zustande, sondern geworden von Anfang an. Wie nämlich die menschliche Sprache in Bildern entstand, aus Bildern geworden ist, und wie insbesondere in den Wissenschaften der Schein, welchen wir die Gesetze, die Ursachen u. s. w. nennen, von uns in die Wirklichkeit hinein personifiziert ist, so wird dem Dichter Maeterlinck das Schweigen selbst zu einer Personifikation, zu etwas Wirklichem, zu einer positiven Macht. Lächelnd rächt sich die Sprache an ihrem Verächter und läßt ihm das einzige Wort, bei welchem ein Nichtdichter ganz sicherlich an keine Personifikation denken kann, läßt ihm das Schweigen zu einem mystischen Etwas, zu einer Gottheit, werden. Das kommt wohl davon, daß auch Maeterlinck nicht stolz genug ist, um ehrlich zu schweigen, daß er eitel genug ist, über das Schweigen zu reden. Eitel? So eitel wie diese Sätze. Nicht prahlerisch; eher vergeblich.

Für diesen eitlen Gebrauch der falschen Sprache finde ich bei Maeterlinck kein besseres Beispiel als (in dem Drama Aglavaine und Selysette) einen Satz, der je nach der Stimmung des Lesers zum Nachdenken oder zum Lachen auffordern kann: "II n'y a rien de plus beau qu'une clef, tant qu'on ne sait pas ce qu'elle ouvre." Das Schönste auf der Welt ist also ein Schlüssel, solange man nicht weiß, was er aufschließt. Man könnte Maeterlincks Sprache nicht plastischer zeichnen, man könnte sich nicht feiner über sie lustig machen. Er predigt das Schweigen, aber sein Predigen ist natürlich Sprache. Er lehrt, daß die Sprache die Menschen trenne, anstatt sie zu verbinden, daß sie zwischen den Menschen sei, aber nicht als eine Brücke, sondern als eine Wand. Sehr schön, und ich berufe mich gern darauf, daß diese Abwendung von der Sprache durch ihn eine Sekte zu bilden beginnt. Doch — wie gesagt — in der poetischen Praxis spricht er, zwischen den Worten, wie er meint, aber die Poeten aller Zeiten haben ihr Bestes immer zwischen den Worten hören oder lesen lassen. Und so kehren wir zu der ersten Frage zurück: Gewähren uns die Worte, selbst in der Sprache der Poeten, irgendwelche ohne Anschauung? Fassen wir die beiden extremsten Fälle ins Auge: Der Dichter soll einmal das Unsagbarste ausdrücken wollen, eine Landschaftsstimmung, das andere Mal das Sagbarste, einen sogenannten konkreten Gegenstand.