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Revolution beim preussischen Kommiss

»Das Ganze halt –!«

Als wir aus Bukarest wegfuhren – unser Hauptmann war schon vorher ausgekniffen –, da blieben wir in Hermannstadt stecken. Die Gleise waren verstopft – und wir saßen im Hotel, lasen die ersten Revolutionsnachrichten aus der Heimat und überdachten die Lage.

Revolution –? Hier war jedenfalls nur wenig davon zu spüren. Der alte Mackensen hatte in letzter Minute den Rumänen noch einmal den Krieg erklärt – es muß ihm da irgendein kleines Malheur passiert sein, aber dieser kleine private Kriegszustand hatte wirklich einen ganzen Nachmittag lang bestanden, und alle Kommandostellen, die davon erfuhren, lachten sich blau. 's war eben ein forscher Reitergeneral – da kannst nix machen. Inzwischen fingen die einzelnen Formationen an, sich sachte aufzulösen. Geschlossen oder einzeln ließen die Mannschaften unbeliebte Offiziere im Stich, winkten mit der Hand: Auf Wiedersehen! und fuhren ab nach Kassel.

Wir saßen in Hermannstadt (das heute den Rumänen gehört) und sahen uns die hübschen deutschen Straßen und Plätze an und sprachen mit den Deutschen, die dort unten seit langen Jahrhunderten sitzen. Sie sprechen einen Dialekt, der ein wenig an das alemannische anklingt, und manche Worte waren zu verstehen.

Weiter kamen wir zunächst nicht. Einmal ging ich einen ganzen Sanitätszug ab, der auch die Helferinnen transportierte. Der Kommandeur war sehr freundlich. Nein, mitnehmen könne er uns nicht. Eine Exzellenz fuhr im Zug. In einem Abteil erster Klasse, eine Umgebung, in der sich gut Krieg führen ließ. »Und denken Sie!« sagte der Kommandeur des Zuges, »Exzellenz haben schon einen Herrn ins Coupé genommen!« – Und Staunen malte sich auf dem preußischen Gesicht … Exzellenz konnten nicht die Beine auf die Polster legen … ! Weltuntergang.

Also blieben wir da. Es waren unvergeßlich schöne Tage. Am schönsten wurde es, als größere Stäbe in die Stadt rückten.

Man stelle sich die Situation genau vor: Zu Hause ging alles drunter und drüber – Ludendorff hatte seine kleine Erholungsreise nach Schweden angetreten, andere Deserteure waren nach Holland gefahren, nicht ohne einige Automobile dabei zu unterschlagen, die ihnen zu dienstlichem Gebrauch überlassen waren – die Republik war ausgerufen – in Hermannstadt ging alles seinen alten Gang.

Ich sehe noch einen schlanken, jungen Etappenhauptmann auf uns zugehen, der uns auseinandersetzte, dass sein Stab unter allen Umständen bis drei Uhr nachmittags unsere Zimmer benötigte – denn seine Formation – und unsere Formationen … ! Er blitzte uns durch ein Monokel an, durch das er immer und überall nur seinen Kasernenhof, aber niemals die Welt gesehen hatte. Und ein Stänkern hub in dem friedlichen Hermannstadt an und ein Ressortgeschiebe und ein Herumwirtschaften und ein Regieren, als ob nichts geschehen sei.

Rührend war es mit anzusehen, wie in dem vollkommenen Durcheinander der alte idiotische Dienstbetrieb aufrechterhalten wurde. Sie hatten nichts gemerkt: nichts von der Blamage, nichts von dem unglaublichen Abgang, den sich die Armee in Rumänien gemacht hatte. (Ein bukarester Witzblatt brachte ein paar Wochen später ein Bild, auf dem sich zwei Droschken begegneten. In einer saß ein deutscher Offizier mit viel Gepäck. »Weich aus!« rief der Kutscher. »Siehst du nicht, dass ich den Sieger zur Bahn fahre?«) – Sie hatten nichts gemerkt. Sie waren alle wie der eiserne Hindenburg: vernagelt.

Und was eben noch, bei Nacht und Nebel und ganz klein und leise, aus Rumänien herausgerollt war, das trug in Hermannstadt den Kopf schon wieder so hoch wie je und wollte nichts von Revolution wissen und hielt die Zeitungsnachrichten für Enten. Und spielte weiter Krieg, wie es vier Jahre lang Krieg gespielt hatte.

Und dann fuhren wir nach Budapest. Und in Budapest gingen wir auf eine Dienststelle, von der kein Mensch wußte, was sie da eigentlich trieb. Und da riet uns ein schwarzberockter deutscher Regierungsrat, assistiert von einem jungen Herrn, wir sollten möglichst in Zivil und möglichst schäbig über die Grenze gehen. Die Ungarn seien uns nicht grün. Soweit der Mannesmut im Sturmgebraus.

Wir fuhren in voller Kriegsbemalung los, und kein Mensch tat uns etwas. Ich bin überzeugt, dass der Regierungsrat und sein junger Herr bis auf den heutigen Tag glauben, ihre Aufgabe janz vorzüglich durchjeführt zu haben. Jott segne sie.

Und eines muß ich noch sagen:

Ich habe an keiner Stelle damals – weder von den Mannschaften noch von den Offizieren – etwas davon gehört, dass die Heimat uns erdolcht hätte. Kein Flugblatt, keine Agitatoren, keine Reden – nichts. Das ist erst später aufgekommen, als Ludendorff in freudigem Schreck erkannt hatte, dass er seinen Hals noch hatte.

Damals erkannten alle, alle die denken konnten, woran sie waren und wer schuld war:

Eine größenwahnsinnige, aufgeplusterte, untüchtige und elende Führung.

Ignaz Wrobel
Vorwärts, 09.11.1922.