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Einigkeit!

Als ich neulich aus einer Volksversammlung, die über die Sowjetbedingungen beraten hatte, nach Hause kam, standen an einer Ecke sechs Arbeiter und redeten wild aufeinander ein. Ich trat hinzu und hörte, daß zwei für Annahme waren und zwei für Ablehnung, und zwei wußten nicht recht, was sie wollten, und schrien infolgedessen am lautesten.

Inzwischen kamen von der nächsten Straßenecke in einer langen Reihe über die ganze Breite des Trottoirs hinweg, eingehakt, junge Leute daher mit hohen weißen Kragen, Schmissen im Gesicht, wie der Laternenschein zeigte – so schaukelten sie heran. Sie schlucksten fröhlich und sangen ebenso laut wie falsch ein schönes Lied mit vielen Strophen vom Wirtshaus an der Lahn. Die Arbeiter gingen ruhig vom Trottoir herunter und disputierten auf dem Asphalt weiter. »Räteorganismus … Lenin … « Das hörte einer der Studenten – es mußten wohl Studenten gewesen sein –, drehte sich verachtungsvoll nach der Gruppe um und sagte zu seinen Kommilitonen: »Sieh mal die roten Schweine!«

Die Arbeiter achteten nicht auf sie. Und fester eingehakt, enger aneinandergeschmiegt, noch mehr geeint durch das gemeinsame Bewußtsein, einen Feind zu haben: den Proletarier – so zogen die Herren Studenten weiter und sangen taktmäßig und mit den Absätzen knallend von ihrer Frau Wirtin, die auch eine Magd hatte … Die waren eins.

Auf dem Damm aber standen immer noch die sechs und redeten wild ineinander herein und aneinander vorbei, von »Diktatur des Proletariats … « und von »Volkskommissaren … « und von »Verräter an der gemeinsamen Sache«. Und schienen nicht zu wissen, wie da eben ihr großer Feind vorübergegangen war: einig, fest und stark.

Peter Panter
Freiheit, 25.09.1920, Nr. 403, S. 2.