Darf man tippen –?
Der große Graphologe Max Pulver sagte mir eines Tages: »Sie schreiben Ihre Briefe mit der Maschine? Das ist ja unerhört! Das Persönlichste, das es gibt, ist der Brief. Gewiß, Geschäftsbriefe … Aber die an Ihre Freunde auch? Wie? Liebesbriefe auch … ?« Und legte nicht schlecht los.
Nun ist dieser Mann, der nicht Schriften deutet, sondern Menschen, und der Menschen nicht nur deutet, sondern ihnen durch die Deutung auch ein gut Stück weiterhelfen kann, in die Schrift vernarrt, er ist ein von der Schrift Besessener … der darf das sagen. Wie ist es denn nun damit:
Darf man tippen –?
Über die Geschäftskorrespondenz braucht nicht gesprochen zu werden. Wir empfinden einen langen Geschäftsbrief, der mit der Hand geschrieben ist, als eine Belästigung – man mag das nicht. Gut. Aber das Private –?
Ich halte die Frage ›Darf man tippen?‹ für nicht richtig gestellt. Man müßte ganz anders fragen: Darf man diktieren?
Und hier allerdings ist zu scheiden zwischen ›dienstlich‹ und ›privat‹, eine Unterscheidung, die mitunter zu grotesken Albernheiten führt. Die Vorstellung von dem Mann oder der Frau, die sich ihre Briefe auf der Maschine allein schreiben, ist noch nicht in das Allgemeingefühl gedrungen; das Gefühl, nicht der Verstand, nimmt zutiefst an, ein getippter Brief sei diktiert. »Schreiben Sie, Frollein … auf Ihr geehrtes gestriges … « Das ist eine Film-Vorstellung. Viele schreiben sich ihrs auf der Schreibmaschine allein.
Briefe, in denen das Herz spricht, zu diktieren: das ist wohl nur in ganz seltenen Ausnahmefällen möglich. Sich aber einer Maschine zu bedienen, um sein Herz auszuschütten – trennt das? Steht die Maschine zwischen dem Herzen und dem Empfänger?
Ich meine: nein.
Regeln lassen sich dafür nicht aufstellen – es gibt da alle Arten von Schreibern und Lesern, und wir wollen keinen neuen Reichsverband gegen oder für gründen. Ich kenne Schriftsteller, die verabscheuen die Maschine, und ich kenne nur einen dieser Gattung, dessen Handschrift der Setzer nicht verabscheut; es gibt Briefempfängerinnen, die nehmen es einem todübel, wenn sie einen Brief bekommen, der die Worte
Mein geliebtes Herz
getippt enthält … Aber es kommt wohl darauf an, ob man fremde Handschriften lesen mag. Wer es gern tut, dem erscheint die Maschine kalt, gläsern, stählern und unpersönlich; wer es nicht gern tut, der empfindet Maschinenschrift als Erlösung. Man weiß doch, wo und wie …
Es ist auch von Wichtigkeit, zu wissen, ob der Briefempfänger gleichfalls Maschine schreibt. Tut er es und ist ihm die Schreibmaschine auch auf seinen Reisen eine Selbstverständlichkeit, dann wird er sich gewiß über einen getippten Brief nicht aufhalten. Tut ers nicht, dann ist er leicht beleidigt: »Ich bin doch kein Zahnbürstengeschäft, an das man schreibt … !«
Alle Maschinenschreiber werden mich verstehen: Eine Maschine kann einem so vertraut werden wie ein Federhalter. Das Glöckchen zirpt; wir kennen jeden Hebel; wir wissen Bescheid, und wenn die Typenhebel rauschen, so ist das süße Musik zur Arbeit der Gedanken. Und wir wären sehr erstaunt, wenn uns jemand sagte: Wie unpersönlich –! Unpersönlich? Es ist doch unsere, unsere alte und treue Maschine. Und man kann alles lesen.
Da habe ich eine Braut, die schreibt mir alle Jahre einen langen Brief; sie ist längst anderweit verheiratet, wir sehen uns nur sporadisch, und so ist es denn ein großes Glück. Die Briefe sind, glaube ich, sehr zärtlich; ich weiß es nicht, denn ich kann sie nicht lesen. Aber ich beantworte sie immer, das ist Liebe, und es muß auch stimmen, was ich schreibe, denn die Braut findet alles ganz in der Ordnung, das ist wahre Liebe.
Mir scheint: die Abneigung gegen Maschinenschrift ist wie die zunächst berechtigte oder doch verständliche Abneigung, langsam fahrende Autos in Trauerkondukten zu sehen. Es widerstrebt da etwas in einem … Und doch ist dies Gefühl anachronistisch, wie alle solchen Gefühle. Wer hätte sich früher, als die Telefongespräche noch anfingen: »Hier Müller. Wer dort?« getraut, eine Liebeserklärung durchs Telefon zu machen? Heute? Gehen Sie nur an die nächste Fernsprechzelle, die Wände sind dünn, und da kann man etwas zu hören bekommen …
Man darf tippen.
Man darf immer tippen.
Man darf nur dann nicht tippen, wenn es besser ist, mit der Hand zu schreiben.
Soll man aber gleich in die Schreibmaschine hineindichten, dass es nur so klingelt? Sehe ich mir die Tagesliteratur an, dann denke ich manchmal: Das haben sich die Schreibmaschinen allein gedichtet. Aber macht es denn für den Wert einer Dichtung etwas aus, ob sie mit der Rechten geschrieben ist oder mit acht Fingern? Nein, es macht nichts für den Wert aus. Tippt, tippt.
Peter Panter
Vossische Zeitung, 01.01.1931, Nr. 1.