Klagelied eines Einsamen
Nun schütteln wieder Mixer an den Tischen
den blank polierten Nickeltopf mit Eis.
Die Glastür geht. Die Droschkenautos zischen.
Man zahlt für alles den Valutapreis.
Musik steigt auf. Auf plüschbelegten Treppen
läßt sich der Zigarettenmann aus Frankfurt neppen.
Um ein Uhr kommt die grüne Polizei …
Und ich bin nicht dabei –!
Auf der Estrade steht im Reichstagssaale
ein Vollbartgreis im Gehrock – und er schwitzt.
Ein freier Mann – jedoch das Nationale
hält er steil in die Höh – der Speichel spritzt.
Die Hörerschaft spürt zwischen Schlaf und Wachen:
man muß – zur Volkswohlfahrt – Geschäfte machen.
Und man verteilt die Posten, die noch frei …
Und ich bin nicht dabei –!
Liane strahlt. Sie ist nur schwach bekleidet:
die Armbanduhr schmückt glitzernd ihr Gelenk.
Worum sie manche Frau so sehr beneidet,
beut sie den lieben Gästen als Geschenk.
Weiß hebt die Haut sich ab von grünem Rupfen.
Man sieht zwei Herrn ein Kokainchen schnupfen.
Sie tanzt. Ganz leise haucht ein kleiner Schrei …
Und ich bin nicht dabei –!
Im Kino huscht die Diva auf der Leinwand.
Ein Riesenauge, glotzt das Publikum.
Die Kohlennot ist für dies Fach kein Einwand.
Laut ist die Stadt und leider haltlos dumm …
Da draußen schwankt ein Weidenbusch im Winde.
Ein alter Herr träumt unter einer Linde,
wer heut zum Skat noch einzuladen sei …
Und ich bin nicht dabei –!
noch nicht dabei!
Die Weltbühne, 12.10.1919, Nr. 44, S. 515.