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Monarchie und Republik

1911. Prämiierung des schwersten Zuchtbullen auf der Landwirtschaftlichen Ausstellung zu Belgard in Pommern. Schwarz-weiß-rote Fahnen, Musik und der Landrat im Zylinder. Er hält eine Rede, worin er die Schaffenskraft unsrer Landwirtschaft, ihre Bedeutung für das Gemeinwohl und das vitale Interesse, das der Staat an ihr hat, auf das schärfste hervorhebt. Und während der geduldig käuende Bulle so gefeiert wird, benutzt der monarchistische Staat die Gelegenheit, den Bullen und die landwirtschaftliche Woche, um für sich und seine Tendenzen eine Reklame zu machen, die auf die Beteiligten um so stärker wirken muß, als man sie ihnen unvermutet, hinterrücks, leise und vorsichtig eingibt. In ihren zukünftigen Gedankengängen bildeten fortan Bulle, Landwirtschaft und Monarchie eine untrennbare Einheit.

Und so war es nicht nur in Belgard. So war es auch im Kino, in den Varietés, wo die schwitzenden Komiker unsern herrlichen Kaiser hochleben ließen; so war es auf allen offiziösen Veranstaltungen, auf Erinnerungsfeiern, Gedenktagen, Bällen und Kongressen – überall verstand es der alte preußische und auch der deutsche Staat, für sich und seine Grundtendenz eine geschickte Propaganda zu machen. Er erzwang sie sich oft – aber er machte sie. Und er schlug den richtigen Weg ein: er beeinflußte die Menschen nicht mit dem Räsonnement, sondern auf dem Wege des Gefühls. Denn nur so sind Menschen in einer Masse zu beeinflussen.


Die Republik ist noch nicht hinter die allereinfachsten Grundsätze der menschlichen Psychologie gekommen. Daß sie nicht immer so kann, wie wir gern möchten: das scheint bei ihrer Zusammensetzung kein Wunder. Aber dass sie die allereinfachsten Erfordernisse ihres Selbsterhaltungstriebes außer acht läßt –: das ist freilich eins.

Sie wird täglich und stündlich beschimpft und bespieen, verhöhnt und mißachtet. Heute sind Kino und Varieté, Generalanzeiger und Feste aller Art die Hochburgen reaktionärer Propaganda und Politik. Und die Republik? Schweigt.

Der Pressedienst tuts nicht, und die offiziellen Büros tuns auch nicht. (Wie ja denn überhaupt eine Propaganda, der man an der Nase ansieht, dass sie eine ist, nichts taugt.) Bei den ganz großen Gelegenheiten tritt dann wirklich einmal Schwarz-Rot-Gold in die Erscheinung. Für hohe Sonn- und Feiertage.

Aber die Republik vergißt, dass das Leben der Menschen aus dem Alltag schöpft, und dass die meisten Ideen durch kleine, fast kaum wahrnehmbare Sinneseindrücke suggeriert werden. Ein Witz im richtigen Moment, eine Fahne an der richtigen Stelle, ein Film in der richtigen Stadt – das ist alles viel wichtiger als Parlamentsreden, die kein Mensch liest.

Vom Erzberger-Mord über die Kronprinzen-Memoiren bis zum Attentat auf Scheidemann ist keine Gelegenheit ausgewertet worden. Da waren tausend Dinge, die dazu hätten dienen können, der republikanischen Sache durch die Dummheit und die Schlechtigkeit ihrer Gegner zu nützen. Nichts. Aber hier ist der Hebel – hier, und nicht in langweiligen Etatschriften oder Broschüren mit abstraktem Inhalt, hier und nicht in Publikationen, die die Leute bis zur Bewußtlosigkeit langweilen. Kennt die Wilhelmstraße ihr eignes Land nicht? Weiß sie nicht, wie abgestumpft die Massen sind und wie abgekämpft, und dass sie nur noch auf das reagieren, was man ihnen so beiläufig, leise und verstohlen, bunt und amüsant einträufelt?

Mit pathetischen Maßlosigkeiten ist da nichts getan – und mit langweiligen Zahlenreihen auch nichts. Wer auf andre Leute wirken will, der muß erst einmal in ihrer Sprache mit ihnen reden.

Was tut eigentlich die Republik für die Republik?

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 15.06.1922, Nr. 24, S. 609.