Zum Hauptinhalt springen

Die beleidigten Hotels

In Berlin sind mehrere große Hotels von der Polizei durchsucht worden, ob sie vielleicht Schleichhändlerwaren verkauften. Darob ungeheuerliches Gezeter in den Hoteldirektionen und in der bürgerlichen Presse. Die brachte mehr und längere Berichte über diese Vorfälle als zum Beispiel über die Ermordung von 32 Kriegsteilnehmern durch einen jungen, größenwahnsinnigen Lümmel aus dem preußischen Offizierkorps. Marloh … das ist ja auch nicht so schlimm. Aber keine Beefsteaks mehr? Det geht doch zu wie im Bolschewismus.

Die Durchsuchung der Berliner Hotels war rechtmäßig. Aber auch fruchtlos und in ihren letzten Motiven nicht zu billigen.

Damit hier keine Mißverständnisse aufkommen: Hätten wir eine staatlich geregelte Bewirtschaftung der Lebensmittel, so wäre es selbstverständlich, daß die großen Hotels ihr ebenso unterliegen müßten wie alle andern Einzelpersonen und Gruppen. Dann wäre über den polizeilichen Eingriff gar nicht zu reden, denn es ist durchaus nicht einzusehen, warum die rohe Macht des Geldes Vorschriften für die Allgemeinheit durchbrechen soll. Der Fall liegt aber verwickelter.

Ein Staat, der nicht die Macht hat, den Gutsbesitzer und den Kleinbauern zur Ablieferung von Lebensmitteln zu menschenmöglichen Preisen zu zwingen, soll seine lächerliche Maschinerie, die immer mehr zum Selbstzweck für die Gehaltsempfänger wird, nicht nur an den wehrlosen letzten Gliedern der Schieberkette auslassen. Es ist ökonomisch falsch gesehen, dass der Staatsanwalt schlafen muß, wenn der Bauer nicht oder zuwenig abliefert; dass er schlafen muß, wenn der Aufkäufer auf dem Lande schwarzgeschlachtete Ware zusammenkauft; dass er schlafen muß, wenn die Ware in die Stadt befördert wird; dass er schlafen muß, wenn sie hier an vielen Stellen verkauft wird – und dass er nun plötzlich an einer Stelle aufwacht.

Dazu kommt der groteske Umstand, dass der gesamte Polizeiapparat, vom Unterwachtmeister bis herunter zum Staatsanwalt, eben denselben Schleichhandel täglich benutzt und teilweise benutzen muß. Natürlich verzehrt der dicke Wachtmeister nach so einer erfolgreichen Razzia, von der Kälte und seinem aufgeplusterten Diensteifer gerötet, nachher in einer Kneipe beim Glase Bier eine Wurst, die womöglich demselben Schwein entstammt, dessen Schinken er im Adlon soeben beschlagnahmt hat. Natürlich »besorgte« sich der Staatsanwalt, der gegen die Hotelbetriebsgesellschaft vorgeht, seine Butter im Laufe der letzten fünf Jahre nicht immer auf die Speisefettkarte. Hier stimmt etwas nicht.

Dieser Staat hat strenggenommen kaum ein moralisches Recht, plötzlich einen kleinen Dieb zu hängen.

Das entschuldigt noch lange nicht den Tubaton der Entrüstung, der da von den Hotelbesitzern in höchster Not ausgestoßen wird. Vorschriften, sagen sie, mag ja der Staat erlassen, soviel er will – aber für uns gelten sie nicht. Schon schwillt die deutsche Männerbrust, schon verzweifeln sie an den höchsten Gütern der Menschheit und drohen mit Schließung der Betriebe, was Schieber, Staatsanwälte, Ententekommissionen und Kokotten gleichmäßig treffen würde. Es ist nicht leicht: Allemal derjenige, der diese Gesetze der Zwangswirtschaft nun auch wirklich befolgen soll, wehrt sich mit Zähnen und Klauen bis zum äußersten und beweist dir klipp und klar, dass es die andern nicht besser machen und dass er jedenfalls die Vorschriften keinesfalls befolgen könne, wolle er nicht untergehen.

Und so lastet denn die Zwangswirtschaft zu ihrem schlechten Teil auf dem letzten, den die Hunde beißen, auf dem, der sich durch keine Schmiergelder und keine Entrüstung seiner Fachgruppe wehren kann: auf dem Arbeiter und dem Kleinbürger. Der muß. Die andern tuns nicht und schreien.

Lustig ist in diesem Falle die Haltung der bürgerlichen Presse. Sie steht zwischen zwei Feuern: auf der einen Seite die von ihr verehrte Obrigkeit – auf der andern Seite gute Inserenten und gute Abonnenten. Hin und her geschleudert von den erregten Zuschriften der kriegführenden Parteien, bemüht sie sich schon wegen des darbenden kleinbürgerlichen Lesers, ein frommes Einerseits-Anderseits zu blasen.

Daß die Beamten der Polizei beim Vorgehen wiederum mehr ihrem Machtkoller als dem Paragraphen gehorchten, ist in Deutschland selbstverständlich. Sie nahmen entgegen den Vorschriften eine Haussuchung ohne Vorlage des schriftlichen Befehls vor und drohten, jeden niederzuschießen, der sich ihnen entgegenstellte. Sie werden sowenig bestraft werden wie jeder, der in diesem Kasernenhoflande seine Waffe dazu benutzt, um seinen Sadismus austoben zu lassen.

Der Hotelkampf wird nicht ausgefochten werden. Nach ein paar Geldstrafen, Protesten und Formalurteilen wird sich die Staatsanwaltschaft beruhigen, und nach wie vor werden die weitsichtigen Leiter der großen Betriebe ihren kargen Unternehmerlohn im Eden-Hotel bei Wasser, Brot, Seezunge und Sekt verzehren können. Das walte Gott. Amen.

Ignaz Wrobel
Freie Welt, 14.11.1920, Nr. 43, S. 2.