Zum Hauptinhalt springen

Paupertas, Armut

Paupertas, Armut. Sie ist, gleich der Dürftigkeit, ein großes Hausmittel, besonders wenn sie schnell auf Reichtum und Wohlleben folgt. Die Schreckenszeit der französischen Revolution, wo so Viele heute im Überfluss lebten, und morgen als Bettler das Vaterland verlassen mussten, um nur das nackte Leben zu retten, — diese Zeit hat durch schnellen Wechsel vom Reichtum zur Armut Tausende von Hypochondern und Hysterischen radikaliter kuriert. Auch ist Armut das beste Schutz- und Heilmittel vor und gegen Gicht und Podagra, diesen Attributen des vornehmen Standes, welche vor allem dem Müßiggang, der Weichlichkeit und den Schwelgereien der Tafel ihren Ursprung verdanken. Wer von solchen unangenehmen Gästen verschont bleiben und seinen Kindern kein peinliches Erbteil hinterlassen will, der muss nicht gegen die Gesetze der Natur handeln, sonst wird er dafür bestraft und beklagt sich dann mit Unrecht darüber. „Wir kennen“ — sagt sehr richtig Hilarius Sincerus (Schweriner Abendblatt, Nr. 1250 von 1842) — „ein untrügliches Mittel zur Verhütung der Gicht und ihrer Kinder, wirksamer als jedes andere aus allen drei Reichen der Natur; es heißt: naturgemäße Lebensordnung, oder deutlicher: große Mässigkeit, freie Luft, leichte Arbeit, wenig Sorgen, geringe Kost, namentlich mehr Früchte und Pflanzen als Fleisch, und zum Getränk Wasser. Mögen die Verehrer der Venus oder des Bachus, die Freunde des Sehmausens und der Üppigkeit immerhin die vornehmen Nasen rümpfen über so gemeine Hausmittel, es gibt nun einmal keine andere, und die vornehme Welt muss entweder ihre unnatürliche Lebensweise mit einer naturgemäßen vertauschen oder sich nach wie vor mit dem Zipperlein plagen. Beides nach eigner Wahl und Belieben“. Dass strenge Enthaltsamkeit das beste Schutzmittel gegen die Gicht sei, wusste man schon vor Jahrhunderten. Wir erinnern nur an Petrarca’s Worte: „Armut, das beste Reinigungsmittel des menschlichen Körpers, soll Viele von der Gicht gänzlich befreit haben, Andere Frugalität, welche ich als freiwillige Armut bezeichnen möchte. Damit man aber nicht allein vor dieser, sondern auch vor vielen anderen Krankheiten Ruhe habe, muss man neben dem Wein auch der Liebe entsagen.“ Ein reicher Engländer, der seine Gichtschmerzen nicht los werden konnte, fragte unwillig seinen Arzt, ob er denn gar kein Mittel gegen diesen Plagegeist wisse? „Allerdings“ antwortete letzterer, aber es steht dahin, ob Sie es gebrauchen werden.“ „Ich werde es tun“ — „Gut dann, so gehen Sie hin, stehlen Sie ein Pferd und lassen sich dabei ertappen. Man wird Sie ins Gefängnis schleppen, und Ihre Kost wird Wasser und Brot sein.“ — So lange freiwillige Armut und eine solche Enthaltsamkeit zu den frommen Wünschen gehört, wird es auch an würdigen Gichtkandidaten nicht fehlen, und diese mögen sich dann, wenn sie für ihre Sünden leiden, in Geduld und Flanell hüllen. Sie mögen sich damit trösten, dass der arge Peiniger im Grunde doch ihr bester Freund ist und ihn ja nicht durch nasse äußerliche Mittel von seinem Sitze verscheuchen. Spirituöse und kampferhaltige Einreibungen lindern zwar schnell die empfindlichsten Schmerzen, aber sie sind misslich, ja gefährlich, weil die Gicht dadurch nicht selten auf Innere edle Teile: Magen, Hirn, Lungen u. g. w. versetzt und leicht tödlich werden kann. Also Geduld und Flanell, was schon Cullen empfahl, überhaupt trockene Wärme, am besten frische Kammwolle aufgelegt und geduldig ausgehalten, bis der Gichtanfall, d. h. das heilsame Naturbestreben, den vorhandenen Gichtstoff aus dem inneren Körper und den edleren Organen nach außen zu treiben, ausgetobt hat. — Wachstaffet ist nicht zu empfehlen, weil er eine große Menge Feuchtigkeit auf der Haut fest hält, die beim Abtrocknen gefährliche Erkältung veranlassen kann. Das beste Mittel in der Gicht und beim Podagra ist eine magere Diät, die man eigentlich Zeit seines Lebens beibehalten sollte, um gegen neue Anfälle gesichert zu sein. Brunnenwasser, Zwieback, Hafergrütze oder Graupenschleim, gekochtes Obst, Butterbrot, Spinat, junge Gartenfrüchte, Brot- und Wasser-, auch Biersuppen, höchstens dünne Brühe von weißem Fleisch, weiter ist nichts gestattet, und von allem nur wenig. Geringe Kost und kaum satt! Da habt Ihr Hausmittel, wenn Euch verdientermaßen das Podagra peinigt und Ihr keinen Arzt deshalb zu Rate ziehen wollt.

Ein auffallend linderndes Mittel im Podagra und überhaupt bei Gichtschmerzen ist der Roggenkaffee, den auch der Wasserheiland Priesnitz seinen Patienten statt des gewohnten Mokkatranks zu trinken verstattet. Wir verdanken dies unschädliche Linderungsmittel dem vormals berühmten Professor Hofmann in Halle, dem es in seinem 70sten Jahre die peinlichsten Gichtschmerzen gleichsam wegzauberte. Hören wir ihn selber: „Indessen aber bekam ich das Gonagra in das rechte Knie, welches mir höllische Schmerzen verursachte, welche sich zugleich in das Schienbein herunterzogen; diese Schmerzen waren eben, als wenn mir beständig kochend heißes Wasser auf das Knie und Schienbein geschüttet würde und fingen präzise des Abends um neun Uhr an und dauerten ohne Unterlass sechs Stunden, bis Morgens um drei Uhr, da es dann leidlicher wurde. Alles, was sonst anderen Kranken Linderung brachte, half mir nichts, also musste ich mit Geduld meine höllischen Schmerzen ertragen. Indessen fiel mir ein, dass ich Nachts um zwölf Uhr mir etliche Tassen Roggenkaffee machen ließ, wovon ich vier trank. Kaum war eine halbe Viertelstunde vorbei, so verloren sich alle Schmerzen und ich schlief sanft ein. Ich regardierte gar nicht darauf, dass diese Linderung ein Effekt des Roggenkaffees sein möchte. Daher fing ich meinen Kaffee gleich an zu trinken, als sich die Schmerzen anfingen zu melden, und der Effekt war derselbe, wie der vorige; ich blieb nach einer halben Viertelstunde von den Schmerzen völlig frei. Nun stand ich in Bedenken, ob nicht vielleicht der Schmerz völlig ausbleiben würde, wenn ich etwa meinen Kaffee eine Stunde vor dem Anfall tränke? Gesagt, getan! Und da blieb der Schmerz völlig aus. Daher ließ ich mir alle Abend um sieben Uhr eine Suppe von gebranntem Roggen geben. Da ich nachher keinen weitern Anfall von Schmerzen empfunden.“ Dies erzählt Hofmann in seiner Abhandlung von der gewissen Vorhersagung des Todes in Krankheiten. Aus dem Lateinischen übersetzt von Dr. Rödder. 2. Aufl. Leipz. 1777. S. 160. (Vgl. Art. Patientia.)