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Weltanschauung

Wenn wir im Deutschen einem konkreten oder abstrakten Begriffe die vier Buchstaben Welt- voransetzen, so denken wir uns dabei nicht immer dasselbe; nicht einmal immer etwas Großes. Ich möchte vier Bedeutungen der Vorsilbe Welt unterscheiden. Welt bezeichnet zunächst das Weltall, den Weltbau, und weil wir von diesem Weltall nur einige genaue Kenntnisse unseres Sonnensystems und viel ungenauere Kenntnisse der übrigen Tatsachen haben, so gehört Welt in diesem Sinne der astronomischen Welt an; so sprechen wir von einer Weltachse, von den Weltkörpern. Zweitens denken wir bei Welt ausschließlich an unsere Erde; den Übergang bildet der Begriff Weltgegend oder Himmelsgegend, bei welchem wir zumeist die Richtungen der irdischen Windrose vorstellen. Ganz scharf ist diese Gleichsetzung von Welt und Erde nicht zu nehmen; besonders oft sind nur die Menschen der Erde gemeint, so in den Koppelungen Weltgeschichte, Weltalter, Weltgericht und Weltbürger; fast nur an den Erdball denkt man bei Weltmeer (ursprünglich das eine Weltmeer ohne Plural, der Okeanos) und Weltteil; weltberühmt heißt ungefähr: auf der ganzen Erde oder bei allen Menschen berühmt.

Drittens wird der Begriff noch enger, wenn man unter Welt nur einen Teil der Menschen und ihres Treibens versteht; im Mittelalter bezeichnete Frau Welt etwa das törichte Treiben der irdisch gesinnten Menschen überhaupt, später Welt (le monde) das Treiben der Oberschicht, der obern Zehntausend. Zu diesen Gruppen gehören die Koppelungen Weltlauf, Weltklugheit, Weltmann, Weltkind, auch wohl einst Weltpriester.

Ganz unbestimmt und verstiegen scheinen mir nun noch über das Bild der ersten Begriffsgruppe diejenigen Koppelungen hinauszugehen, welche die Gesamtheit des Denkens ausdrücken wollen: Weltgeist und Weltseele für den objektiven Gesamtgeist, Weltweiser, Weltweisheit und Weltanschauung für den subjektiven Gesamtgeist.

Von allen diesen Worten ist gegenwärtig keines so im Schwange wie: Weltanschauung. Der müßte schon ein ganz armseliger Tropf sein, wer heutzutage nicht seine eigene Weltanschauung hätte. Ich glaube aber schon (Kr. d. Spr. I² S. 538 und III 235) gezeigt zu haben, daß nicht nur die Weltanschauung des schlichtesten Mannes aus dem Volke, sondern auch die Weltanschauung des Dichters und Denkers identisch sei mit seinem Sprachvorrat und seinem Sprachgebrauch, daß wir diese Sprachbereitschaft oder Weltanschauung nicht immer ganz beisammen haben, daß die Weltanschauung eines Menschen von seiner allgemeinen und von seiner augenblicklichen Seelensituation abhange. In diesem Sinne darf man freilich sagen, daß jeder Tropf seine eigene Weltanschauung habe, in seiner Individualsprache nämlich.