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Utilitarismus

Ich habe (vgl. Art. Nutzen) gezeigt, daß dieser schwerfällige Ausdruck zwar erst im Anfang des 19. Jahrhunderts geprägt wurde, daß aber die Anpreisung der Nützlichkeit so alt ist wie die menschliche Lust an der Banalität, die Gleichsetzung von nützlich und gut so alt wie die menschliche Sprache. Darum läßt sich auch der Begriff des Nutzens nicht definieren, wenn man nicht den Mut hat, die Tugend für das zu erklären, was uns etwa taugt oder nützlich ist.

Einer der ältesten und berühmtesten Anpreiser des Utilitarismus war Confuzius, der von den Chinesen ihr ungekrönter König genannt wird und doch nur ein flacher Moralprediger war. Hier möchte ich nur die prachtvolle Parabel mitteilen, in der Tschuang-Tse, der späte Schüler des Lao-Tse, der geistreiche Gegner des Confuzius, vor 2200 Jahren, das Nützlichkeitsprinzip mit heiligem Lachen verspottet hat. Man findet die Parabel vom »Heiligen Baum« in den »Reden und Gleichnissen des Tschuang-Tse« (Deutsche Auswahl von Martin Buber); nicht ein Lob des Müßiggangs ist gemeint, sondern, nach der schwer zugänglichen Lehre der chinesischen Mystik (vgl. Art. Tao), ein Verzicht auf die Anwendung menschlicher Wertbegriffe. Die Parabel aber lautet (etwas gekürzt):

Ein Zimmermann reiste nach dem Staate Tschi. Er sah einen heiligen Baum, der so groß war, daß ein Stier sich dahinter verbergen konnte; er hatte einen Umfang von hundert Spannen, ragte hoch über den Gipfel des Hügels empor und trug Äste, von denen manche der Größe nach für Kähne getaugt hätten. Eine Menschenmenge stand davor und gaffte ihn an, aber der Zimmermann achtete seiner nicht und ging des Weges weiter, ohne sich umzusehen.

»Das Holz taugt zu nichts. Mach ein Boot daraus – es wird sinken. Einen Sarg – er wird faulen. Hausrat – er wird bald zerfallen. Eine Tür – sie wird schwitzen. Einen Pfeiler – er wird von den Würmern zerfressen werden. Es ist ein Holz ohne Rang und ohne Nutzen. Darum hat es sein gegenwärtiges Alter erreicht.«

Als der Zimmermann nach Hause kam, träumte er, der Baum erscheine ihm und spreche zu ihm: »Was ist es, womit du mich vergleichst? Sind es die vornehmen Bäume? Der Kirschbaum, der Birnbaum, der Orangenbaum und andere Fruchtträger werden, sobald ihre Früchte gereift sind, geplündert und schimpflich behandelt. Große Zweige werden geknickt, kleine abgebrochen. So schädigen diese Bäume durch ihren Wert ihr eigenes Leben. Sie können ihre zugemessene Spanne nicht vollenden, sondern kommen vorzeitig in der Mitte der Bahn um, weil sie in die umgebende Welt verstrickt sind. So ist es mit allen Dingen. Eine lange Zeit war es mein Ziel, nutzlos zu werden. Mehrmals war ich in Gefahr, aber endlich ist es mir geglückt, und so kam es, daß ich heute nutzreich bin. Aber wäre ich damals von Nutzen gewesen, ich hätte jetzt nicht den großen Nutzsegen, den ich habe. Überdies gehören wir beide, du und ich, zu derselben Art von Dingen. Tue darum diese Tadelsucht von dir ab. Ist ein nichtsnutziger Mensch, dessen Zeit der Gefahren noch nicht vorüber ist, die richtige Person, von einem nichtsnutzigen Baum zu reden?«