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Geist der Sprache

Dieser Zusammenhang mußte von den neueren Sprachforschern schon geahnt worden sein, als sie die Forderung aufstellten, um Sprachwissenschaft zu werden, müßte Philologie und Linguistik sich mit dem "Sprachgeist" befassen, anstatt mit etymologischer Sprachvergleichung. Eine Zeitlang hatte man ja diese Sprachvergleichung (weil das Spiel noch neu war) für den höchsten Geistesgenuß gehalten. Da "verwandelte" sich lateinisches f in spanisches h, li in spanisches j, die lateinische Endung us in o; hatte man also die Aufgabe, filius ins Spanische zu "verwandeln", so brauchte man sich nur der Regeln zu erinnern und hatte hijo beisammen. Erst als man nach beinahe hundert Jahren des Spiels müde wurde, fingen einzelne an einzusehen, dass bei solchen Vergleichungen ein "Gesetz", eine Begründung nie herauskomme. Mir scheint sogar, dass die Entdeckung von der Verwandtschaft zwischen filius und hijo nicht gar wertvoller sei, als das Bewußtsein von der Ähnlichkeit zwischen der Aussprache Wurst und der Aussprache Wurscht. Geistig kam wirklich nichts dabei heraus. Man wollte also in den Geist der Sprache eindringen, wissenschaftlich.

Ich will nicht lachen; ich will nur die Worte festhalten. Das Wissen von der Sprache kennen wir schon als unsere Erinnerung an die Erinnerungszeichen; die Sprachwissenschaft ist also schon genötigt, sich selbst über die Achsel zu gucken. Wollen wir aber gar etwas vom "Geiste" der Sprache wissen, so suchen wir uns allerdings unter unseren Erinnerungszeichen gerade deren zu erinnern, deren wir uns nicht mehr erinnern, die wir uns nicht mehr vorstellen können, und die wir darum den Geist nennen.

Freilich wird die Forderung, die Sprachwissenschaft solle den Sprachgeist studieren, erst neuerdings erhoben, seitdem es auf dem alten Wege nicht mehr recht vorwärts gehen will. Man hatte die Teile in seiner Hand, es fehlte leider nur das geistige Band. Man hatte sich zu sehr um das Gegenteil von Sprachgeist gekümmert: um den Sprachkörper. Und es ist in Übereinstimmung mit der gegenwärtigen Auffassung von der Würde der Wissenschaft, dass man sich jetzt um den unkörperlichen Geist bekümmert.

Und sollte es ein Zufall sein, dass die Sprachwissenschaft bei ehrgeizigen kleinen Völkern aufkam, wie denn auch bei solchen Sprachreinigkeit und dergleichen im höchsten Ansehen steht? Die Griechen und die Römer trieben niemals Sprachvergleichung, weil ihnen die Völker, deren Sprachen sie doch verstanden und vielfach redeten, als Barbaren erschienen oder doch als Besiegte verächtlich waren. Sollte es ein Zufall sein, dass unsere moderne Sprachvergleichung (die etymologische sowohl wie die grammatische) zuerst, und zwar in Sajnovicz' Buche vom Jahre 1770, bei den Ungarn aufkam, die in ihrer Isolierung irgend einem anderen europäischen Volke verwandt sein wollten, dass das gewöhnlich nach Jakob Grimm getaufte Lautverschiebungsgesetz zuerst von einem Dänen, Rasmus Ch. Rask (im Jahre 1818), aufgestellt worden ist, der die Bedeutung Skandinaviens für die indoeuropäischen Stämme nachweisen wollte?

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