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Wortkunst

Die letzte Entwickelung der europäischen Poesie hat sich revolutionär vollzogen, ohne dass irgend einer der Dichter oder der Theoretiker vermutet hätte, dass der Umschwung in irgend einem Zusammenhange stände mit den erkenntnistheoretischen Fragen unserer Zeit. Ich möchte die Aufgabe, diesem Zusammenhange nachzuforschen, einem Leser dieser Sprachkritik stellen. Die begabtesten unter den modernen Dichtern verzichten auf die allein selig machende Handlung sogar im Drama, geschweige denn im Roman, und lassen die Handlung mehr aus der Stimmung ihrer Personen erraten, welche sie doch allein kennen; und wieder die Charaktere dieser Personen schildern sie nur indirekt, weil die Sprache nicht mehr vermag; und sie haben es aufgegeben, Musterbilder von Menschengruppen aufzustellen, weil sie doch nur Individuen kennen und weil es eine typische Sprache für Typen gar nicht gibt, sondern nur Individualsprachen. Es wäre traurig, wenn die Probe auf das Exempel nicht gestimmt hätte, wenn die neue Entwickelung der Wortkunst der Sprachkritik widerspräche. (Gerhart Hauptmann.)

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