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Mai 1918

Ein Staatsstreich

In dem Staat, in dem für Papiergeld die Bedeckung des Goldes fehlt und für Zeitungspapier die der Wahrheit (aber nicht die der Valuta), kann es sogar geschehen, daß eine Redaktion coram publico einen Meinungswechsel nicht allein vornimmt, sondern ankündigt, also die Absicht einbekennt, statt der ihr bisher honorierten Meinung fortan eine neue, von einem andern Geldgeber bestellte, zu vertreten. Es versteht sich in Anbetracht des Umstandes, daß die Gehirnerweichung der Leser mit der Charakterlosigkeit der Schreiber gleichen Schritt gehalten hat, von selbst, daß dem unveränderten redaktionellen Ensemble auch eine kaum alterierte Abonnentenliste entsprechen wird. Die österreichische Spezialität dieser Erscheinung wäre aber nicht apart genug, wenn sich der Gesinnungswechsel auf alle Fragen des öffentlichen Lebens gleichmäßig erstrecken müßte. Der neue Geldgeber hat vielmehr beschlossen, die Weltanschauung seines Personals, die in eine Stellung zur inneren Politik und eine Stellung zum Ministerium des Äußern zerfallt, nur bezüglich des Herrn Seidler zu verändern, bezüglich des Grafen Czernin aber auf sich beruhen zu lassen, so daß die Leser, die ja doch hauptsächlich erfahren wollen, wer wo abgestiegen ist und welche was angehabt hat, in den politischen Begleiterscheinungen unseres Kulturlebens nur einen geringen Unterschied merken werden, den sie vielleicht überhaupt nicht merken würden, wenn man sie nicht darauf aufmerksam gemacht hätte. Wie man sieht, handelt es sich um das »Fremdenblatt« und es ist vielleicht wirklich ungerecht, bei einem solchen Blatt von Gesinnungswechsel zu sprechen. Aber unser Ministerium des Äußern, das die Ehrlichkeit hat, sich einer journalistischen Beziehung, die es unterhält, nicht zu schämen, hat es sich nicht nehmen lassen, den Umschwung der Dinge in einer feierlichen Note zu proklamieren. Und zwar so:

Das »Fremdenblatt«, das bis vor kurzem als offiziöses Organ der österreichischen Regierung galt,

(vermutlich der österreichischen Regierung, die das nicht genau wußte)

wird nunmehr zu den Fragen der inneren Politik selbständig

(es dürfte dies das einzige Selbstbestimmungsrecht sein, das in unzweideutiger Weise zugestanden wird)

und nach einem von ihm heute veröffentlichten Programm Stellung nehmen und kann daher jetzt in diesen Angelegenheiten nicht mehr als offiziös angesehen werden. Die Stellung dieses Blattes zu Fragen der auswärtigen Politik, in welchen es wiederholt die Ansichten des Ministeriums des Äußern zum Ausdruck bringt, bleibt unberührt. Ohne hiemit für alle die Außenpolitik betreffenden Äußerungen des »Fremdenblattes« eine Haftung zu übernehmen, erklärt das Ministerium des Äußern, daß es jede Verantwortung für die Ausführungen der genannten Zeitung ablehnt, welche die innere Politik und die Verwaltung betreffen.

Aber wer ist denn dann für die in dieses Ressort fallenden Überzeugungen verantwortlich? Doch nicht am Ende die Redaktion, die schreibt, oder gar der verantwortliche Redakteur, der nicht liest? Jedenfalls nicht mehr das Ministerratspräsidium, denn das »Fremdenblatt« hat sich gegen die innere Regierung freie Hand vorbehalten, soweit das einer Hand möglich ist, die gegenüber der äußern Regierung offen bleibt. Das »Fremdenblatt« hat aber die neue Ära wirklich mit einer schwungvollen Attacke gegen den Herrn Seidler eingeleitet, und ließ dieser geradezu ein Programm folgen, aus dem hervorging, daß es die Ordnung der innern Dinge nunmehr selbst in die Hand nehmen wolle. Wenn man sich gerade im Ausland aufhält, da solch ein Staatsstreich sich begibt, so erfährt man es natürlich als eine hochoffizielle Meldung:

Wien, 1. Febr. (W.K.-B.) Das »Fremdenblatt« kennzeichnet in seinem heutigen Leitartikel seine künftige Stellung zur inneren Politik. Die Ereignisse der letzten Jahre hätten bewiesen, daß das deutsche Volk in Österreich der Eckpfeiler dieses Staates ist. Dem Heldenmut in der Feldschlacht kam die Opferwilligkeit im Hinterland gleich. Es liegt uns fern — — aber niemand kann leugnen — — Durchhalten — — Was wir dazu beitragen können, damit dem deutschen Volke werde, was ihm zukommt ... werden wir tun. Das Blatt erklärt sodann, mit aller Kraft und Entschiedenheit die höchsten staatlichen Interessen gegen die umstürzlerischen, auf die Zerreißung Österreichs hinzielenden Bestrebungen verteidigen, auf die Förderung der erwerbenden Klassen durch den Staat hinwirken und den modernen Geist des Wirtschaftslebens auf das kräftigste unterstützen zu wollen.

Und natürlich auch vom modernen Geist des Wirtschaftslebens auf das kräftigste unterstützt werden zu wollen. Daß ein solches Papier, das von einer Aktiengesellschaft redigiert wird und dessen nationalökonomischer Fachmann von Partezetteln Tantiemen nimmt, an der Wiedergeburt dieses Staates beteiligt sein will, ist wahrhaft tröstlich.

Es schließt: Ein Österreich, das in der Welt geachtet wird, das in der Monarchie den ihm zustehenden Einfluß besitzt, in welchem die Deutschen die ihnen gebührende Stellung, in dem alle Völker die Gewähr für ihre wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung finden, in dem allen zerstörenden Kräften entschlossen entgegengetreten wird, ein solches Österreich, denken wir, daß aus dem Kriege entstehe. An der Erreichung dieses Zieles, erklärt das Blatt, mit voller Objektivität, aber auch mit der nötigen Entschiedenheit mithelfen zu wollen.

Daß ich in einem Österreich, an dessen Sicherung das »Fremdenblatt« mitgewirkt hat, nicht lange durchhalten werde, das kann man sich schon denken. Das sympathische Wiener Korrespondenzbüro hat nichts eiligeres zu tun, als dem ungeduldigen Ausland zu versichern, daß nunmehr das »Fremdenblatt« die Konsolidierung unserer Verhältnisse in die Hand genommen hat, es also mit den bekannten Aufteilungsplänen unserer Feinde wieder einmal Essig ist (den wir aber leider noch immer nicht hereinkriegen können). Jedoch schon um der Eventualität, daß das »Fremdenblatt« Ordnung machen könnte, vorzubeugen, sollten sich die Nationen so schnell als möglich versöhnen, denen ohnedies reichlich übel davon sein dürfte, fortwährend von der ihnen gebührenden Stellung und von der Gewähr für ihre wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung lesen zu müssen, wobei selbstverständlich immer den Deutschen, deren kulturelle Entwicklung ja bereits abgeschlossen ist, die Stellung gebührt. Aber den Scherz solcher Programmatik beiseite: sollte denn das Blutopfer nicht wenigstens die eine Entschädigung bringen, daß jene Profession, die es bewirkt hat, mundtot gemacht wird? Sollte es möglich sein, daß wir über Leichenberge geschritten sind, um von einer Papier-, Zucker- oder Waffenfabrik gemietete Talente sich als Geburtshelfer der Zukunft uns vorstellen zu lassen? Ich für meine Person lege gar keinen Wert darauf, daß das Gerücht von einem Besitzwechsel des »Fremdenblatts« auf Wahrheit beruhe. Ich räume gern ein, daß die Redakteure einer Wiener Zeitung nicht so gesinnungslos sind, sich vom Morgenblatt zum Abendblatt einem neuen Geldgeber anzupassen, und daß der Überzeugungswechsel also vielmehr im Auftrag des alten Geldgebers erfolgt sein kann, der nur eine neue Gesinnung hat, weil er nämlich einen schwerindustriellen Zuschuß bekommt. Fern sei es von mir, selbst einer Aktiengesellschaft zuzutrauen, daß sie ihr geistiges Inventar so ohneweiters an eine andere verkaufe, da ja auch in ihrem eigenen Schoße das Bedürfnis nach einer politischen Neuorientierung rege werden mag. Wie dem immer sei und wenn selbst die Redakteure den Abschied nahmen, weil sie zu charaktervoll sind, um einen politischen Standpunkt, der ihnen durch Jahrzehnte »stagelgrün auflag«, mit einem ganz ungewohnten zu vertauschen, der Hauptspaß bleibt doch, daß die Abonnenten bleiben und daß die Wiener Idiotie das Vertrauen jener norddeutschen Konsortien, die jetzt hierzulande umgehen, nicht enttäuscht. Wenn dieses Gesindel von Meinungsaufkäufern die Wahl hat, zur Durchsetzung ihrer schuftigen Wünsche, zur Propagierung des Gedankens, daß der Krieg bis zur völligen Auspoverung Österreichs fortgesetzt werden muß, neue Blätter in Wien zu gründen oder einen Stock von Abonnenten schon vorzufinden, so wären sie noch dümmer als dieser Stock, wenn sie sich nicht fürs zweite entschieden. Die unsägliche Schmach, daß die Empfänglichkeit des Zeitungslesers gekauft werden kann, ohne daß sie gefragt wird, dürfte kaum ein Abonnent des »Fremdenblatts« fühlen — der frißt, wenn nur der Druck der gleiche bleibt, die Weltanschauung des Siegers von Königgrätz so gern wie die des Besiegten, und der Regierung fällt es nicht ein, die geistige Wehrlosigkeit gegen diese neuestens so smart betriebene Ausbeutung zu schützen, im Gegenteil, das Ministerium des Äußern bleibt mit dem »Fremdenblatt« auf Gedeih und Verderb verbunden. Was aber das Innere anlangt, so will ja der neue Kurs unter Umständen gar oppositionell sein, und das »Fremdenblatt« wird lieber gratis in allen Hotelzimmern als gegen Bezahlung in einem Kabinett aufliegen, in dem keine Ordnung herrscht, und an Kraft und Entschiedenheit mit den strengsten Masseusen, deren Annoncen es bringt, wetteifern. Es gibt nun leider kein Preßgesetz, das eine Redaktion, wem immer sie gehöre, auf wessen Wink immer sie Meinungen apportieren mag, zwingen könnte, mit einem feierlichen politischen Programm auch die Photographien der Leute, die es verfaßt haben, zu veröffentlichen. Die Kirche hat längst auf die Initiative verzichtet, am Glück des Staates mitzuwirken, aber daß die Leute, die den Krummstab im Gesicht tragen, dazu kapabel sind, das scheint einem offiziellen Nachrichtenbüro keinen Augenblick zweifelhaft. So habe ich es im Ausland gelesen und infolgedessen den Entschluß gefaßt, zurückzukehren. Im Ausland schämt man sich hin und wieder, ein Österreicher zu sein, und da geht der Patriot lieber gleich dorthin, wo man sich nicht mehr schämt.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 474-483, XX. Jahr
Wien, 23. Mai 1918.