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Kantianismus

Kantianismus ist die Philosophie Kants (1724-1804) und seiner Anhänger. Kant hat in seiner philosophischen Entwicklung drei Stufen durchgemacht. Zuerst (1755-1760) war er Wolfianer, schloß sich aber in der Naturwissenschaft schon enger an Newton an. Dann (1760-1770) sagte er sich vom Wolfischen Rationalismus los und neigte dem englischen Empirismus zu. Zuletzt von 1770 ab bildete er, in gewisser Beschränkung zum Rationalismus zurückkehrend, seine eigene kritische Philosophie aus. Nur diese letztere kann Kantianismus heißen. Der Kantianismus besteht im Rationalismus: Kant erkennt zwar das Wissen a posteriori, das Wissen aus der Erfahrung an, ihm ist aber die Philosophie lediglich Wissenschaft aus Begriffen a priori; – im Formalismus: Kant scheidet Form und Stoff der Erkenntnis. Alles Wissen a priori umfaßt nur die Form der Dinge, Raum, Zeit, Quantität, Qualität, Relation und Modalität; das Sittengesetz ist formal, die Schönheit ist nur Zweckmäßigkeit der Form der Dinge; – im Kritizismus: Die Vernunft ist im Gebiete der Erfahrung, aber (im theoretischen Gebrauche) nicht über dasselbe hinaus gesetzgebend; – im Phänomenalismus: Zeit und Raum sind a priori: die Welt der Erkenntnis ist nur die Welt der Erscheinungen, nicht die Welt an sich; – im Idealismus: Die Dinge an sich bilden eine intelligible Welt; – im Indeterminismus (Eleutherismus): Es gibt eine intelligible Freiheit des Willens und Unabhängigkeit vom Kausalitätsgesetz; – im Ethizismus: Die praktische Vernunft hat den Vorrang (Primat) über die theoretische Vernunft; – im Dualismus: Es gibt eine sinnliche (der Kausalität unterworfene) und eine intelligible (freie) Welt. – Der Kantianismus ist die Philosophie, welche die neueren Richtungen die von England einerseits und Frankreich und Deutschland andrerseits im XVII. und XVIII. Jahrhundert ausgegangen waren, die empiristische und die rationalistische zu vereinigen strebte und am Schluß der Entwicklung des Rationalismus diesen in die gebührenden Schranken zurückwies, aber an ihm prinzipiell festhielt. Der Kantianismus versucht festzustellen, was reine Vernunft für sich zu leisten vermag, und beantwortet die Fragen: „Was kann ich wissen?“ „Was soll ich tun?“ „Was darf ich hoffen?“, soweit reine Vernunft die Antwort darauf geben kann. (Kr. d. r. V. S. 805). Hierdurch ist seine gegensätzliche Stellung bedingt. Er steht im Gegensatz zum Sensualismus und Empirismus, zum Skeptizismus und Dogmatismus, zum Realismus und Materialismus, zum Determinismus und Intellektualismus, und ihm fehlt die strengere monistische Abschließung. Vgl. Fr. Paulsen, Immanuel Kant 2. u. 3. Aufl. 1899. S. 114-123. Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnistheorie. Leipzig 1875. A. Riehl, Der philosophische Kritizismus, Leipzig 1876 ff. Joh. Volkelt, Immanuels Kants Erkenntnistheorie, Leipzig 1879. Konrad Dieterich, Die Kantische Philosophie, Freiburg u. Tübingen 1885.