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Kapitel XII

„Wir kommen alle zu Ihnen, alle! Auch Praskowja Jljinitschna wird kommen, und Luisa Karlowna wollte ebenfalls kommen,“ zwitscherte Anna Nikolajewna beim Eintritt in den Salon und sah sich neugierig nach allen Seiten um. Sie war ein recht hübsches kleines Dämchen, bunt, aber reich gekleidet, und sie wußte auch selbst recht wohl, daß sie hübsch war. Sie hatte erwartet, den Fürsten mit Sinaida in irgendeiner Ecke versteckt zu erblicken.

„Auch Katerina Petrowna wird kommen, und Felissata Michailowna wollte gleichfalls hier sein“, fügte Natalja Dmitrijewna hinzu, eine Dame von kolossalem Körperbau, deren Formen dem Fürsten so gefallen hatten, und die auffallend einem Grenadier glich.

Sie trug ein winziges rosa Hütchen, das ganz auf dem Hinterkopfe saß. Schon seit drei Wochen war sie Anna Nikolajewnas intimste Freundin, nachdem sie schon lange um sie herumscherwenzelt und ihr den Hof gemacht hatte. Dem äußeren Ansehen nach zu urteilen, konnte man glauben, daß sie imstande war, ihre Freundin auf einen Schluck zu verschlingen, mitsamt allen Knöchelchen.

„Ich will gar nicht von dem (ich kann wohl sagen) Entzücken reden, daß ich darüber empfinde, Sie beide bei mir zu sehen, und noch dazu für einen Abend“, ließ sich Marja Alexandrowna in verbindlichster Manier vernehmen, nachdem sie von dem ersten Erstaunen wieder zu sich gekommen war; „aber sagen Sie mir, bitte, welches Wunder Sie heute zu mir geführt hat, nachdem ich schon ganz daran verzweifelt war, diese Ehre zu haben.“

„O mein Gott, Marja Alexandrowna, wie Sie aber auch sind!“ sagte Natalja Dmitrijewna in einem affektierten, süßlichen, piepigen Tone, der einen merkwürdigen Gegensatz zu ihrem Äußeren bildete.

„Mais, ma charmante“, zwitscherte Anna Nikolajewna, „es ist ja doch notwendig, unbedingt notwendig, daß wir endlich einmal mit unseren Vorbereitungen zu dieser Theatervorstellung fertig werden. Noch heute sagte Pjotr Michailowitsch zu Kaliist Stanislawitsch, er bedauere sehr, daß diese unsere Angelegenheit nicht vom Fleck komme und wir uns immer nur miteinander stritten. Da sind nun heute wir vier zusammengekommen und haben gedacht: wir wollen zu Marja Alexandrowna fahren und alles mit einemmal in Ordnung bringen! Natalja Dmitrijewna hat auch den andern davon Mitteilung gemacht. Sie werden sämtlich kommen. Da können wir uns nun über alles einigen, und die Sache wird gut gelingen. Man soll nicht sagen, daß wir uns immer nur stritten, nicht wahr, mon ange?“ fügte sie neckisch hinzu und küßte Marja Alexandrowna. — „Ach, mein Gott! Sinaida Afanasjewna! Aber sie werden ja von einem Tage zum andern immer schöner!“

Anna Nikolajewna eilte auf Sinaida zu, um sie zu küssen.

„Sie hat ja auch weiter nichts zu tun, als schöner zu werden“, fügte Natalja Dmitrijewna süßlich hinzu und rieb sich die großen, plumpen Hände.

„Ach, hole diese Bande der Teufel! An die Theatervorstellung habe ich ja gar nicht gedacht! Das haben sie schlau gemacht, diese nichtswürdigen Weiber!“ sagte Marja Alexandrowna im stillen für sich; sie war außer sich vor Wut.

„Und zu unserem Entschlusse herzukommen, mein Engel“, fügte Anna Nikolajewna noch hinzu „hat auch noch der Umstand wesentlich mitgewirkt, daß Sie jetzt diesen lieben Fürsten bei sich im Hause haben. Sie wissen ja, in Duchanowo war unter den früheren Besitzern ein Theater. Wir haben uns schon erkundigt und haben erfahren, daß da all diese alten Dekorationen, ein Vorhang und sogar Kostüme noch irgendwo aufbewahrt werden. Der Fürst war heute bei mir; aber ich war von seiner Ankunft so überrascht, daß ich ganz vergessen habe, von diesen Dingen mit ihm zu reden. Jetzt wollen wir die Rede absichtlich auf das Theater bringen; Sie werden uns dabei helfen, und der Fürst wird Befehl geben, uns diesen ganzen alten Kram herzuschicken. Bei wem könnte man denn auch hier so etwas wie eine Dekoration machen lassen? Die Hauptsache ist aber: wir wollen auch den Fürsten selbst für unsere Theatervorstellung interessieren. Er muß unbedingt subscribieren; es ist ja zum Besten der Armen. Vielleicht übernimmt er sogar eine Rolle; er ist ja so liebenswürdig und mit allem einverstanden. Dann wird sich alles wunderschön machen!“

„Gewiß wird er eine Rolle übernehmen. Man kann ihn ja jede beliebige Rolle spielen lassen“, fügte Natalja Dmitrijewna mehrdeutig hinzu.

Anna Nikolajewna hatte zu Marja Alexandrowna nicht die Unwahrheit gesagt: alle Augenblicke kamen noch mehr Damen angefahren. Marja Alexandrowna fand kaum Zeit, sie zu begrüßen und diejenigen Ausrufe zu tun, die in solchen Fällen von dem Anstande und dem feinen Tone verlangt werden.

Ich unternehme es nicht, alle Besucherinnen zu schildern. Ich sage nur, daß in dem Blicke einer jeden eine ganz besondere Tücke lag. Allen stand eine starke Spannung und eine lebhafte Ungeduld auf dem Gesichte geschrieben. Einige der Damen waren mit der entschiedenen Absicht gekommen, Zeuginnen eines ungewöhnlichen Skandals zu werden, und würden sich sehr geärgert haben, wenn sie hätten wieder auseinandergehen müssen, ohne einen solchen mitangesehen zu haben. Äußerlich benahmen sich alle äußerst liebenswürdig; aber Marja Alexandrowna bereitete sich festen Mutes darauf vor, von ihnen angegriffen zu werden. Sie wurde mit Fragen nach dem Fürsten überschüttet, die durchaus harmlos zu sein schienen; aber doch steckte in einer jeden eine Andeutung, ein geheimer Nebensinn. Es wurde Tee gebracht, und alle nahmen Platz. Eine Gruppe okkupierte den Flügel. Sinaida antwortete auf die Aufforderung zu spielen und zu singen in trockenem Tone, sie fühle sich nicht ganz wohl. Die Blässe ihres Gesichtes bestätigte das. Sogleich regnete es bedauernde Fragen, und sogar dabei fand sich die Möglichkeit, sich nach diesem und jenem zu erkundigen und Anspielungen zu machen. Manche fragten auch nach Mosgljakow und wandten sich mit diesen Fragen speziell an Sinaida. Marja Alexandrowna verzehnfachte sich in dieser kritischen Zeit; sie sah alles, was in jeder Ecke des Zimmers vorging, hörte, was jede der Besucherinnen sagte, obgleich ihrer etwa zehn waren, und antwortete sofort auf alle Fragen, wobei sie selbstverständlich bewies, daß sie nicht auf den Mund gefallen war. Sie ängstigte sich um Sinaida und wunderte sich darüber, daß diese nicht hinausging, wie sie es bisher immer bei so zahlreichem Besuche getan hatte. Auch Afanassi Matwejewitsch erregte die Aufmerksamkeit der Damen. Sie pflegten sich sonst immer alle über ihn lustig zu machen, um Marja Alexandrowna durch den Spott über ihren Gatten zu kränken. Jetzt aber hielten sie es für möglich, von dem beschränkten und offenherzigen Afanassi Matwejewitsch einiges in Erfahrung zu bringen. Marja Alexandrowna beobachtete mit Unruhe, wie ihr Gatte von den Damen umlagert wurde. Zudem gab er auf alle Fragen sein „Hm“ mit einer so unglücklichen, gezwungenen Miene zur Antwort, daß sie allen Grund hatte, wütend zu werden.

„Marja Alexandrowna! Afanassi Matwejewitsch will überhaupt nicht mit uns reden!“ rief ein keckes Dämchen mit scharfen Augen, das sich entschieden vor niemand fürchtete und nie verlegen wurde. „Befehlen Sie ihm doch, gegen Damen höflicher zu sein!“

„Ich weiß wirklich selbst nicht, was mit ihm heute ist“, antwortete Marja Alexandrowna heiter lächelnd, indem sie ihr Gespräch mit Anna Nikolajewna und Natalja Dmitrijewna unterbrach; „er ist so wortkarg! Auch mit mir hat er kaum ein Wort geredet. Warum antwortest du denn Felissata Michailowna nicht, Athanase? Wonach haben Sie ihn denn gefragt?“

„Aber … aber … Mütterchen, du hast doch selbst …“, murmelte Afanassi Matwejewitsch ganz erstaunt und verwirrt. Er stand in diesem Augenblicke gerade an dem geheizten Kamin, hatte die eine Hand in einer malerischen Pose, die er sich selbst ersonnen hatte, in die Weste gesteckt und hielt in der andern die Teetasse. Die Fragen der Damen hatten ihn so verlegen gemacht, daß er rot geworden war wie ein junges Mädchen. Als er seine Rechtfertigung begann, begegnete er einem so furchtbaren Blicke seiner erzürnten Gattin, daß er vor Schreck beinahe das Bewußtsein verlor. Da er nicht wußte, was er tun sollte, sich aber zunächst einigermaßen zu erholen und sich dann in der Achtung zu restituieren wünschte, so wollte er seinen Tee schlürfen, aber der Tee war sehr heiß. Weil er den Schluck nicht richtig bemessen hatte, verbrannte er sich furchtbar, ließ die Tasse fallen, verschluckte sich und hustete so heftig, daß er sich genötigt sah, das Zimmer auf eine Weise zu verlassen, was bei allen Anwesenden Erstaunen hervorrief. Kurz, für Marja Alexandrowna war alles klar: Sie merkte, daß ihre Gäste schon alles wußten und mit den schlimmsten Absichten bei ihr zusammengekommen waren. Die Lage war gefährlich. Sie konnten den geistesschwachen alten Fürsten in seinem Vorhaben, Sinaida zu heiraten, irre machen, ihm in ihrer eigenen Gegenwart davon abraten. Sie konnten ihn sogar noch an diesem selben Abend mir ihr veruneinigen, ihn ihr abspenstig machen und mit sich fortlocken. Es war von ihnen alles zu erwarten. Aber das Schicksal hielt für sie noch eine andere Prüfung bereit: die Tür öffnete sich, und es erschien Mosgljakow, den sie bei Borodujew glaubte, und den sie an diesem Abend absolut nicht erwartete bei sich zu sehen. Sie fuhr zusammen, wie wenn ihr jemand einen Stich versetzt hätte.

Mosgljakow blieb in der Tür stehen und ließ, etwas verlegen, seinen Blick bei allen Anwesenden herumgehen. Er war nicht imstande, seine Aufregung zu unterdrücken, die sich deutlich auf seinem Gesichte ausprägte.

„Ach, mein Gott! Pawel Alexandrowitsch!“ riefen mehrere Damen.

„Ach, mein Gott! Da ist ja Pawel Alexandrowitsch! Und Sie sagten doch, Marja Alexandrowna, er wäre zu Borodujew gegangen? Es wurde uns gesagt, Sie hätten sich bei Borodujew versteckt, Pawel Alexandrowitsch!“ sagte Natalja Dmitrijewna mit ihrer piepigen Stimme.

„Versteckt?“ erwiderte Mosgljakow mit einem schiefen Lächeln. „Ein sonderbarer Ausdruck! Entschuldigen Sie, Natalja Dmitrijewna! Ich verberge mich vor niemand und beabsichtige niemand zu verbergen,“ fügte er mit einem bedeutsamen Blick auf Marja Alexandrowna hinzu.

Marja Alexandrowna begann plötzlich zu zittern.

„Wie? Sollte auch dieser Tölpel rebellisch werden?“ dachte sie und sah Mosgljakow forschend an. „Das wäre das Schlimmste von allem …“

„Ist das wahr, Pawel Alexandrowitsch, daß Sie den Abschied bekommen haben … ich meine natürlich im Dienste?“ erlaubte sich die dreiste Felissata Michailowna zu fragen und sah ihm spöttisch gerade ins Gesicht.

„Den Abschied? Wieso den Abschied? Ich lasse mich einfach versetzen. Ich bekomme eine Stelle in Petersburg“, antwortete Mosgljakow trocken.

„Nun, dann wünsche ich Ihnen Glück“, fuhr Felissata Michailowna fort. „Und wir bekamen schon einen Schreck, als wir hörten, daß Sie es auf eine Stelle bei uns hier in Mordassow abgesehen hätten. Hier bieten die Stellen keine Sicherheit, Pawel Alexandrowitsch; man wird im Handumdrehen abgehalftert.“

„Höchstens noch die Lehrerstellen an der Kreisschule; da ist es noch möglich, eine Vakanz zu finden“, bemerkte Natalja Dmitrijewna.

Die Anspielung war so plump und deutlich, daß Anna Nikolajewna verlegen wurde und ihre boshafte Freundin heimlich mit dem Fuße stieß.

„Glauben Sie wirklich, daß Pawel Alexandrowitsch sich dazu entschließen würde, eine Lehrerstelle anzunehmen?“ warf Felissata Michailowna dazwischen.

Aber Pawel Alexandrowitsch fand darauf keine rechte Antwort. Er drehte sich um und stieß auf Afanassi Matwejewitsch, der ihm die Hand entgegenstreckte. Mosgljakow aber nahm höchst dummerweise diese Hand nicht, sondern machte ihm spöttisch eine tiefe Verbeugung. Im höchsten Grade gereizt ging er geradewegs zu Sinaida hin und flüsterte, indem er ihr wütend ins Gesicht sah:

„Das alles habe ich Ihnen zu verdanken. Warten Sie, ich werden Ihnen noch heute abend zeigen, ob ich ein Dummkopf bin oder nicht.“

„Wozu wollen Sie das aufschieben? Das sieht man ja auch jetzt“, antwortete Sinaida laut und maß voller Widerwillen ihren früheren Bewerber mit den Augen.

Erschrocken darüber, daß sie so laut gesprochen hatte, wandte sich Mosgljakow eilig von ihr ab.

„Kommen Sie von Borodujew?“ entschloß sich Marja Alexandrowna endlich zu fragen.

„Nein, ich komme von meinem Onkel.“

„Von Ihrem Onkel? Also sind Sie jetzt beim Fürsten gewesen?“

„Ach, mein Gott! Also ist der Fürst schon aufgewacht? Und uns wurde gesagt, er schliefe noch!“ fügte Natalja Dimitrijewna mit einem boshaften Blick auf Marja Alexandrowna hinzu.

„Beunruhigen Sie sich nicht wegen des Fürsten, Natalja Dimitrijewna!“ antwortete Mosgljakow; „er ist aufgewacht und Gott sei Dank jetzt wieder bei vollem Verstande. Vorher war er betrunken gemacht worden, zuerst bei Ihnen und dann hier vollends, so daß er ganz den Gebrauch der Denkkraft verloren hatte, die bei ihm sowieso nicht die stärkste ist. Aber jetzt haben wir, Gott sei Dank, uns miteinander ausgesprochen, und er hat wieder angefangen vernünftig zu denken. Er wird sogleich herkommen, um sich von Ihnen, Marja Alexandrowna, zu verabschieden und Ihnen für all Ihre Gastfreundschaft zu danken. Morgen aber werden wir bei Tagesanbruch zusammen nach dem Kloster fahren, und ich werde ihn dann unfehlbar selbst nach Duchanowo begleiten, um ein nochmaliges Umwerfen mit dem Schlitten, wie es sich heute ereignet hat, zu verhüten; dort aber wird ihn aus meinen Händen Stepanida Matwejewna in Empfang nehmen, die dann gewiß schon aus Moskau zurückgekehrt sein wird und ihn künftig um keinen Preis noch einmal wird wegreisen lassen — dafür übernehme ich jede Garantie.“

Während Mosgljakow das sagte, blickte er Marja Alexandrowna grimmig an. Diese daß da, als ob sie vor Überraschung die Sprache verloren hätte. Mit Betrübnis gestehe ich, daß meine Heldin, vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben, es mit der Angst bekam.

„Also morgen bei Tagesanbruch wird er wegfahren? Wie geht das zu?“ fragte Natalja Dimitrijewna, sich an Marja Alexandrowna wendend.

„Wie geht das zu?“ wurde unter den Besucherinnen in naivem Tone gefragt. „Und wir hatten gehört, daß … Nein, das ist doch wirklich sonderbar!“

Aber die Hausfrau wußte nicht mehr, was sie antworten sollte. Auf einmal wurde die allgemeine Aufmerksamkeit in einer höchst ungewöhnlichen, exzentrischen Weise hiervon abgelenkt. Aus dem anstoßenden Zimmer wurde ein auffallender Lärm und eine scharfe, laute Stimme vernehmbar, und plötzlich kam völlig unerwartet Sofja Petrowna Karpuchina in Marja Alexandrownas Salon hereingestürzt. Sofja Petrowna war unstreitig die exzentrischste Dame in ganz Mordassow, so exzentrisch, daß sogar unlängst in Mordassow der Beschluß gefaßt worden war, sie in Gesellschaft nicht mehr zu empfangen. Ich muß noch bemerken, daß sie regelmäßig jeden Abend Punkt sieben Uhr etwas Likör genoß (um des Magens willen, wie sie sagte) und sich nachher jedesmal in einem höchst emanzipierten Geisteszustande befand, um keinen stärkeren Ausdruck zu gebrauchen. Gerade jetzt, wo sie so unerwartet zu Marja Alexandrowna hereingestürzt kam, befand sie sich wieder in diesem Geisteszustande.

„Ah, also so machen Sie es, Marja Alexandrowna“, schrie sie so laut, daß es alle im Zimmer Anwesenden hörten, „also so behandeln Sie mich! Lassen Sie sich nicht stören; ich bin nur auf ein Augenblickchen herangekommen; ich werde mich bei Ihnen nicht hinsetzen. Ich bin expreß hergefahren, um zu hören, ob das wahr ist, was man mir gesagt hat. Ah! also bei Ihnen finden Bälle, Bankette und Verlobungsfeiern statt; aber Sofja Petrowna kann bei sich zu Hause sitzen und Strümpfe stricken! Die ganze Stadt haben Sie eingeladen, aber mich nicht! Und vorhin, als ich hergekommen war, um Ihnen zu erzählen, was Natalja Dimitrijewna bei sich zu Hause mit dem Fürsten anstellte, da nannten Sie mich Ihre liebe Freundin und mon ange. Und jetzt sitzt diese selbe Natalja Dimitrijewna, auf die Sie vorhin mit den schärfsten Ausdrücken geschimpft haben, und die selbst auf Sie geschimpft hat, die sitzt jetzt bei Ihnen als Gast. Beunruhigen Sie sich nicht, Natalja Dimitrijewna! Ich brauche Ihre Schokolade à la santé nicht, die Tafel zu zehn Kopeken. Ich trinke bei mir zu Hause öfter als Sie welche!“

„Auch anderes; das sieht man!“ bemerkte Natalja Dimitrijewna.

„Aber, ich bitte Sie, Sofja Petrowna“, rief Marja Alexandrowna, die vor Ärger ganz rot geworden war, „was ist denn mit Ihnen? So kommen Sie doch zur Besinnung!“

„Beunruhigen Sie sich nicht um mich, Marja Alexandrowna; ich weiß alles, alles; ich habe alles erfahren!“ schrie Sofja Petrowna mit ihrer scharfen, kreischenden Stimme, umringt von allen Besucherinnen, die sich, wie es schien, an dieser unerwarteten Szene höchlichst ergötzten. „Ich habe alles erfahren! Ihre Nastasja ist zu mir gelaufen gekommen und hat mir alles erzählt. Sie haben diesen Fürsten geangelt, ihn betrunken gemacht und ihn dazu veranlaßt, Ihrer Tochter einen Heiratsantrag zu machen, die schon kein Mann mehr heiraten mag; und nun hoffen Sie auch selbst ein großes Tier zu werden, eine Herzogin in einem Spitzenkleide, pfui Teufel! Beunruhigen Sie sich nicht; ich bin selbst eine Frau Oberst! Wenn Sie mich nicht zu der Verlobungsfeier eingeladen haben, so spucke ich darauf! Ich habe mit feineren Leuten verkehrt, als Sie sind. Ich habe bei der Gräfin Salichwatskaja diniert, und der Oberkommissar Kurotschkin hat sich um meine Hand beworben! Da habe ich wohl Ihre Einladung sehr nötig; pfui Teufel!“

„Hören Sie, Sofja Petrowna“, antwortete Marja Alexandrowna, die ganz außer sich war; „ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß man nicht in dieser Weise in ein anständiges Haus eindringt, und noch dazu in solchem Zustande, und daß, wenn Sie mich nicht sofort von Ihrer Gegenwart und von Ihrem Wortschwall befreien, ich unverzüglich meine Maßregeln ergreifen werde.“

„Ich weiß, Sie werden Ihren Domestiken Befehl geben, mich hinauszufüren! Seien Sie unbesorgt, ich werde den Weg auch allein finden. Leben Sie wohl; bringen Sie unter die Haube, wen Sie wollen; Sie aber, Natalja Dimitrijewna, brauchen nicht über mich zu lachen; ich spucke auf Ihre Schokolade! Wenn ich hier auch nicht eingeladen worden bin, so habe ich doch auch vor keinem Fürsten den Kosakentanz getanzt. Und Sie, Anna Nikolajewna, warum lachen Sie? Suschilow hat sich das Bein gebrochen; jetzt eben hat man ihn nach Hause gebracht! Und wenn Sie, Felissata Michailowna, Ihrer barfüßigen Matroschka nicht befehlen, Ihre Kuh rechtzeitig hereinzulassen, damit sie nicht jeden Tag vor meinen Fenstern brüllt, so werde ich Ihrer Matroschka die Beine entzweischlagen. Leben Sie wohl, Marja Alexandrowna; lassen Sie es sich gut gehen! Pfui Teufel!“

Sofja Petrowna verschwand. Die Damen lachten. Marja Alexandrowna war äußerst verlegen.

„Ich glaube, sie hatte getrunken“, äußerte Natalja Dimitrijewna in süßem Tone.

„Aber trotzdem, welche Dreistigkeit!“

„Quelle abominable femme!“

„Na, Sie hat uns wieder einmal zum Lachen gebracht!“

„Ach, was für unpassende Dinge sie geredet hat!“

„Aber was hat sie da von einer Verlobungsfeier gesagt? Was ist das für eine Verlobungsfeier?“ fragte Felissata Michailowna spöttisch.

„Aber das ist ja entsetzlich!“ brach endlich Marja Alexandrowna los. „Diese Ungeheuer sind es, die mit vollen Händen die absurdesten Gerüchte aussäen! Das Erstaunliche, Felissata Michailowna, ist nicht, daß sich solche Damen in unserer Gesellschaft befinden; nein, das Allererstaunlichste ist, daß man die Dienste dieser Damen annimmt, sie anhört, sie unterstützt, ihnen glaubt, sie …“

„Der Fürst, der Fürst!“ riefen auf einmal alle Besucherinnen.

„Ach, mein Gott! Ce cher prince!“

„Na, Gott sei Dank! Jetzt werden wir das ganze Geheimnis erfahren!“ flüsterte Felissata Michailowna ihrer Nachbarin zu.