Kapitel XI
Als Mosgljakow aus Marja Alexandrownas Hause trat, war er anscheinend ganz getröstet. Sie hatte ihn vollständig enthusiasmiert. Zu Borodujew ging er nicht, da er das Bedürfnis hatte, allein zu sein. Die heroischen, romantischen Zukunftsträumereien, die seine Seele überfluteten, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Es schwebte ihm eine feierliche Aussprache mit Sinaida vor, dann die edlen Tränen seines allesverzeihenden Herzens, seine Blässe und Verzweiflung auf dem glänzenden Petersburger Balle, Spanien, der Guadalquivir, seine Liebe und der sterbende Fürst, der ihre Hände vor seiner Todesstunde vereinigte. Dann seine wunderschöne Frau, die ihm treu ergeben war und ihn beständig wegen seines Heroismus und seiner erhabenen Gefühle bewunderte; beiläufig im stillen auch das entgegenkommende Benehmen irgendwelcher Gräfin aus den höchsten Gesellschaftskreisen, in die er durch seine Verheiratung mit Sinaida, der Witwe des Fürsten K., unfehlbar würde aufgenommen werden; der Posten eines Vizegouverneurs, eine Menge Geld — kurz, alles, was ihm Marja Alexandrowna mit so beredten Worten ausgemalt hatte, zog noch einmal vor seiner höchst zufriedenen Seele vorüber, reizte und lockte ihn und schmeichelte vor allen Dingen seiner Eitelkeit. Aber siehe da (und ich weiß wirklich nicht, wie ich das erklären soll), als er schon von all seinem Entzücken müde zu werden anfing, da kam ihm plötzlich ein recht verdrießlicher Gedanke: nämlich daß alles dies jedenfalls erst in der Zukunft lag, er jetzt aber doch mit langer Nase abzog. Als ihm dieser Gedanke kam, bemerkte er, daß er beim Umherwandern in eine sehr abgelegene Gegend, in eine einsame, ihm unbekannte Vorstadt von Mordassow, geraten war. Es wurde dunkel. Auf den Straßen, an denen zu beiden Seiten kleine, halb in die Erde gesunkene Häuschen standen, bellten wütend die Hunde, die sich in den Provinzstädten namentlich in denjenigen Stadtteilen in schrecklicher Menge vermehren, wo nichts zu bewachen und nicht zu stehlen ist. Feuchte Schneeflocken begannen herabzufallen. Nur selten begegnete ihm ein verspäteter Kleinbürger oder ein Weib in Schafpelz und Stiefeln. Über alles dies begann sich Pawel Alexandrowitsch aus nicht recht verständlichem Grunde zu ärgern — ein recht übles Zeichen, da uns doch vielmehr, wenn die Dinge eine gute Wendung genommen haben, alles in freundlichem, rosigem Licht erscheint. Pawel Alexandrowitsch erinnerte sich unwillkürlich daran, daß er bisher beständig in Mordassow den Ton angegeben hatte; es hatte ihm Vergnügen gemacht, wenn man ihm in allen Häusern zu verstehen gegeben hatte, daß er ein willkommener Heiratskandidat sei, und ihn zu dieser Würde beglückwünscht hatte. Er war sogar stolz darauf gewesen, daß er für eine gute Partie galt. Und nun stand er auf einmal vor aller Augen als ein Abgewiesener da! Es war zu erwarten, daß darüber sehr gelacht wurde. Und er konnte doch wirklich nicht allen Leuten auseinandersetzen, daß die Sache sich ganz anders verhielt, konnte ihnen nicht von den Petersburgern Bällen mit den Säulen und vom Guadalquivir erzählen! Bei diesen trüben, verdrießlichen Überlegungen geriet er schließlich auf einen Gedanken, der schon seit längerer Zeit, ohne daß er sich dessen recht bewußt geworden wäre, an seinem Herzen genagt hatte: „Aber ist das auch alles wahr? Wird das auch alles so in Erfüllung gehen, wie Marja Alexandrowna es ausgemalt hat?“ Dabei erinnerte er sich, daß Marja Alexandrowna eine sehr schlaue Dame war, und daß sie, wie sehr sie auch der allgemeinen Hochachtung würdig war, doch vom Morgen bis zum Abend Klatschgeschichten erzählte und log. Er sagte sich, daß sie, wenn sie ihn jetzt aus dem Hause entfernt habe, wahrscheinlich ihre besonderen Gründe dafür gehabt habe, und daß Zunkunftsbilder auszumalen schließlich eine Kunst sei, die jeder verstehe. Er dachte auch an Sinaida und erinnerte sich an ihren Abschiedsblick, der ganz und gar keine verborgene, leidenschaftliche Liebe ausgedrückt hatte; und gleichzeitig fiel ihm ein, daß er doch vor einer Stunde von ihr ein Dummkopf genannt worden war. Bei dieser Erinnerung blieb Pawel Alexandrowitsch auf einmal wie angenagelt stehen und errötete vor Beschämung so stark, daß ihm beinah die Tränen kamen. Und es traf sich übel, daß ihm gerade im nächsten Augenblicke etwas Unangenehmes passierte: er stolperte und fiel von dem hölzernen Trottoir in eine Schneewehe. Während er in dem Schnee zappelte, kam eine Schar Hunde, die ihn schon lange mit ihrem Gebell verfolgt hatte, von allen Seiten auf ihn losgestürzt. Einer von diesen Kötern, ein ganz kleines, boshaftes Tier, hängte sich sogar an ihn, indem er mit den Zähnen den Schoß seines Pelzes packte. Nachdem er sich von den Hunden losgemacht hatte, schleppte sich Pawel Alexandrowitsch endlich, laut schimpfend und sein Schicksal verfluchend, mit zerrissenem Pelzschoße und mit unerträglichem Kummer im Herzen bis zur nächsten Straßenecke und bemerkte erst jetzt, daß er sich verirrt hatte. Bekanntlich kann jemand, der sich in einem unbekannten Stadtteil verirrt hat, und besonders bei Nacht, absolut nicht eine Straße entlanggehen: Alle Augenblicke ist es, als gebe ihm eine unsichtbare Kraft einen Stoß und veranlasse ihn, in allerlei Straßen und Gassen, die ihm auf seinem Wege vorkommen, einzubiegen. Nach dieser Methode verirrte sich denn auch Mosgljakow gründlich. „Hole der Teufel all diese hohen Ideen!“ sagte er bei sich und spuckte vor Ärger aus. „Und hole euch alle der Teufel mit euren hohen Gefühlen und Guadalquiviren!“ Ich sage nicht, daß Mosgljakow in diesem Augenblicke ein reizender junger Mann gewesen wäre. Endlich gelangte er nach zweistündigem Umherirren müde und matt wieder zu Marja Alexandrownas Haustür. Beim Anblick der vielen dort haltenden Schlitten wunderte er sich. „Ist denn wirklich Besuch da? Hat sie wirklich Gäste zum Abend eingeladen?“ fragte er sich. „Was hat sie dabei für eine Absicht?“ Er erkundigte sich bei einem Diener, der ihm begegnete, und erfuhr, daß Marja Alexandrowna auf dem Gute gewesen sei und Afanassi Matwejewitsch, in weißer Binde, von dort mitgebracht habe; der Fürst sei schon aufgewacht, aber noch nicht zu den Gästen heruntergekommen. Ohne ein Wort zu sagen, ging Pawel Alexandrowitsch nach oben zu seinem Onkel. In diesem Augenblicke befand er sich gerade in jener Gemütsverfassung, wo ein Mensch von schwachem Charakter imstande ist, sich aus Rachsucht zu einer schrecklichen, schändlichen Gemeinheit zu entschließen, ohne daran zu denken, daß er sie vielleicht sein ganzes Leben lang wird bereuen müssen.
Als er nach oben kam, fand er den Fürsten vor seinem Reisenecessaire auf einem Lehnstuhl sitzend, mit vollständig kahlem Kopfe, aber schon mit der Fliege und dem Backenbarte. Seine Perücke befand sich in den Händen seines alten, grauköpfigen Kammerdieners und Lieblings Iwan Pachomytsch; dieser kämmte sie mit tiefsinniger, respektvoller Miene zurecht. Was den Fürsten anbelangt, so bot er ein sehr klägliches Bild, da er sich von dem vorher genossenen Weine noch nicht recht erholt hatte. Er saß ganz zusammengesunken, matt und schlaff da, blinzelte mit den Augen und sah Mosgljakow an, als ob er ihn nicht erkenne.
„Wie befinden Sie sich, Onkelchen?“ fragte dieser.
„Wie … Ach, du bist es“, erwiderte Onkelchen endlich. „Ich war ein bißchen eingeschlafen, mein Lieber. Ach, mein Gott!“ rief er, plötzlich lebhaft werdend, „ich habe ja … keine Perücke auf!“
„Beunruhigen Sie sich darum nicht, Onkelchen! Ich … ich werde Ihnen behilflich sein, wenn es Ihnen recht ist.“
„Siehst du, da hast du nun mein Geheimnis erfahren! Ich habe doch gesagt, die Tür müßte zu-ge-schlos-sen werden. Nun, mein Freund, du mußt mir un-ver-züg-lich dein Ehrenwort darauf geben, daß du von meinem Geheimnis keinen Gebrauch machen und niemandem sagen wirst, daß ich falsches Haar trage.“
„Aber ich bitte Sie, Onkelchen! Halten Sie mich denn einer so gemeinen Handlungsweise für fähig?“ rief Mosgljakow, der sich den Fürsten gern geneigt machen wollte … im Hinblick auf seine weiteren Absichten.
„Nun ja, nun ja! Und da ich sehe, daß du ein anständig denkender Mensch bist, so werde ich dich in Gottes Namen einmal in Erstaunen versetzen … und dir alle meine Geheimnisse enthüllen. Wie gefällt dir mein Schnurrbart, lieber Freund?“
„Er sieht ausgezeichnet aus, Onkelchen! Ganz wundervoll! Wie haben Sie es nur fertiggebracht, ihn sich so lange zu erhalten?“
„Da bist du im Irrtume, mein Freund; er ist nach-ge-macht!“ erwiderte der Fürst und sah Pawel Alexandrowitsch triumphierend an.
„Wirklich? Das ist schwer zu glauben! Na, aber der Backenbart? Gestehen Sie es nur, Onkelchen, den färben Sie sich gewiß?“
„Ob ich ihn färbe? Nein, das tue ich nicht; aber er ist vollständig künstlich.“
„Künstlich? Nein, Onkelchen, da mögen Sie sagen, was Sie wollen, das glaube ich nicht. Sie machen sich über mich lustig!“
„Parole d’honneur, mon ami!“ rief der Fürst triumphierend, „und stel-le dir das vor: alle, ab-so-lut alle, lassen sich ebenso wie du täu-schen. Sogar Stepanida Matwejewna glaubt es nicht, obgleich sie ihn mir selbst manchmal anmacht. Aber ich bin davon überzeugt, mein Freund, daß du mein Geheimnis bewahren wirst. Gib mir dein Ehrenwort …“
„Mein Ehrenwort, Onkelchen; ich werde es bewahren. Ich wiederhole Ihnen noch einmal: halten Sie mich denn einer solchen Gemeinheit für fähig?“
„Ach, mein Freund, was habe ich heute, während du fort warst, für einen schweren Fall getan! Feofil hat mich wieder mit dem Schlitten um-ge-wor-fen.“
„Wieder umgeworfen! Wann denn?“
„Wir waren schon nahe beim Kloster …“
„Ich weiß, Onkelchen, heute früh.“
„Nein, nein, vor zwei Stunden; länger ist es noch nicht her. Ich fuhr nach dem Kloster, und er warf mich ohne weiteres mit dem Schlitten um; ich habe einen solchen Schreck be-kom-men; mein Herz hat sich noch immer nicht beruhigt.“
„Aber, Onkelchen, Sie haben ja doch geschlafen!“ sagte Mosgljakow erstaunt.
„Nun ja, ich habe geschlafen … aber dann bin ich gefahren. Indessen habe ich … indessen habe ich das vielleicht … ach, wie seltsam das ist!“
„Ich versichere Ihnen, Onkelchen, daß Sie das nur geträumt haben! Sie haben ganz ruhig geschlafen, gleich vom Mittagessen an.“
„Wirklich?“ Der Fürst dachte nach.
„Nun ja, ich habe es in der Tat vielleicht nur geträumt. Aber ich erinnere mich genau an alles, was mir geträumt hat. Zuerst träumte mir von einem schrecklichen Ochsen mit Hörnern; und dann träumte mir von einem Staats-an-walt, ebenfalls mit Hörnern …“
„Das war gewiß Nikolai Wassiljewitsch Antipow, Onkelchen?“
„Nun ja, vielleicht war es der. Und dann träumte mir von Napoleon Bonaparte. Weißt du, mein Freund, alle Leute sagen mir, ich hätte mit Napoleon Bonaparte Ähnlichkeit … und im Profil soll ich genau so aussehen wie ein alter Papst! Wie urteilst du darüber, mein Lieber: habe ich mit einem Papste Ähnlichkeit?“
„Ich glaube, daß Sie mehr wie Napoleon aussehen, Onkelchen!“
„Nun ja, en face. Übrigens glaube ich das auch selbst, mein Lieber. Und es träumte mir von ihm, wie er schon auf der Insel saß und weißt du, er war ein so gesprächiger, schlagfertiger, lustiger Patron, daß ich mich außer-ordentlich über ihn amüsiert …“
„Sie sprechen von Napoleon, Onkelchen?“ sagte Pawel Alexandrowitsch, indem er den Onkel nachdenklich anblickte. Ein sonderbarer Gedanke begann in seinem Kopfe zu hämmern, ein Gedanke, von dem er sich selbst noch nicht ordentlich Rechenschaft geben konnte.
„Nun ja, von Na-po-leon. Ich sprach mit ihm von Philosophie. Aber weißt du, mein Freund, es tat mir sogar leid, daß sie mit ihm so streng verfahren sind … die Eng-län-der. Gewiß, hätte man ihn nicht an die Kette gelegt gehabt, so würde er sich sogleich wieder auf die Menschen gestürzt haben. Ich hätte ihn anders behandelt. Ich hätte ihn auf eine un-be-wohnte Insel gesetzt …“
„Warum denn auf eine unbewohnte?“ fragte Mosgljakow zerstreut.
„Nun, meinetwegen auch auf eine be-wohn-te; aber sie müßte nur von vernünftigen Menschen bewohnt sein. Nun, und dann hätte ich allerlei Zer-streu-ungen für ihn eingerichtet: Theater, Musik, Ballet, und alles auf Staatskosten. Spazieren zu gehen hätte ich ihm natürlich nur unter Aufsicht erlaubt; denn sonst hätte er sich sogleich wieder da-von-ge-macht. Er aß eine gewisse Sorte von Pasteten sehr gern. Nun, da hätte ich ihm auch diese Pasteten alle Tage zubereiten lassen. Ich hätte ihn sozusagen vä-ter-lich behandelt. Er würde bei meiner Behandlung auch sein früheres Tun bereut haben …“
Mosgljakow hörte das Geschwätz des erst halb wachen alten Mannes zerstreut mit an und biß sich vor Ungeduld auf die Nägel. Er wollte gern das Gespräch auf die Heirat bringen; er wußte selbst noch nicht warum, aber in seinem Herzen kochte eine grenzenlose Wut. Auf einmal schrie der Alte vor Erstaunen auf.
„Ach, mon ami! Das habe ich ja ganz vergessen, dir zu sagen! Denke dir nur, ich habe ja heute einen Hei-rats-an-trag gemacht!“
„Einen Heiratsantrag, Onkelchen!“ rief Mosgljakow, der plötzlich lebendig wurde.
„Nun ja, einen Hei-rats-an-trag. Pachomytsch, gehst du schon? Nun gut. C’est une charmante personne … Aber … ich muß dir gestehen, mein Lieber, ich habe da un-be-dacht gehandelt. Ich komme erst jetzt zu dieser Er-kennt-nis. Ach, mein Gott!“
„Aber erlauben Sie, Onkelchen, wann haben Sie denn diesen Heiratsantrag gemacht?“
„Ich muß dir gestehen, mein Freund, ich weiß selbst nicht genau wann. Ob ich auch das nur geträumt habe? Ach, wie son-der-bar das doch alles ist!“
Mosgljakow zitterte vor Entzücken. Ein neuer Gedanke blitzte in seinem Kopfe auf.
„Aber wem und wann haben Sie denn den Heiratsantrag gemacht, Onkelchen?“ fragte er noch einmal ungeduldig.
„Der Tochter vom Hause, mon ami, … à cette belle personne … übrigens habe ich vergessen, wie sie heißt. Aber, siehst du, mon ami, ich kann ja doch gar nicht hei-ra-ten. Was soll ich nun machen?“
„Ja, Sie werden sich allerdings zugrunde richten, wenn sie heiraten. Aber erlauben Sie mir, Ihnen noch eine Frage vorzulegen, Onkelchen! Sind Sie fest davon überzeugt, daß Sie wirklich einen Heiratsantrag gemacht haben?“
„Ja, ich … ich bin davon überzeugt.“
„Aber wenn Ihnen nun das alles nur geträumt hat, ebenso wie das, daß Sie zum zweitenmal mit dem Schlitten umgeworfen seien?“
„Ach, mein Gott! In der Tat, vielleicht habe ich auch das nur geträumt! Daher weiß ich jetzt gar nicht, wie ich mich dort blik-ken las-sen soll. Könnte man wohl zu-ver-läs-sig in Erfahrung bringen, mein Freund, auf irgendwelchem in-di-rek-ten Wege, ob ich einen Heiratsantrag gemacht habe oder nicht? Denn in welcher Lage befinde ich mich sonst, denke doch nur!“
„Wissen Sie was, Onkelchen? Ich glaube, es ist da überhaupt nichts in Erfahrung zu bringen.“
„Wieso?“
„Ich glaube sicher, daß Sie es nur geträumt haben.“
„Ich selbst glaube es ebenfalls, mein Lie-ber, um so mehr, da ich oft Ähnliches träume.“
„Nun sehen Sie wohl, Onkelchen! Bedenken Sie, daß Sie beim Frühstück ein bißchen getrunken haben, und dann beim Mittagessen, und schließlich …“
„Nun ja, mein Freund, vielleicht kommt es gerade da-her.“
„Ich glaube das um so mehr, Onkelchen, da Sie, wenn sie auch noch so enthusiasmiert waren, doch unter keinen Umständen einen so unvernünftigen Heiratsantrag in wachem Zustande machen konnten. Soweit ich Sie kenne, Onkelchen, sind Sie ein im höchsten Grade vernünftiger Mensch und …“
„Nun ja, nun ja.“
„Erwägen Sie nur das eine: wenn das Ihre Verwandten erfuhren, die sowieso schon schlecht auf Sie zu sprechen sind, was würde dann wohl geschehen?“
„Ach, mein Gott!“ rief der Fürst erschrocken; „ja, was würde dann geschehen?“
„Ich bitte Sie! Ihre Verwandten würden alle wie aus einem Munde schreien, Sie hätten das nicht bei vollem Verstande getan; Sie seien betrogen worden. Und am Ende würden sie Sie irgendwo unter Aufsicht einsperren.“
Mosgljakow wußte, wodurch man den alten Mann in Angst setzen konnte.
„Ach, mein Gott!„ rief der Fürst, wie Espenlaub zitternd. „Würden sie mich wirklich einsperren?“
„Überlegen Sie daher selbst, Onkelchen: hätten Sie wohl einen so unvernünftigen Heiratsantrag in wachem Zustande machen können? Sie verstehen sich doch selbst auf Ihren Vorteil. Ich bin in vollem Ernste davon überzeugt, daß Sie das alles nur geträumt haben.“
„Sicherlich habe ich es nur geträumt, si-cher-lich habe ich es nur geträumt!“ stimmte ihm der Fürst ganz erschrocken bei. „Ach, wie verständig du das alles auseinandergesetzt hast, mein Lieber! Ich bin dir von Herzen dankbar, daß du mich darüber auf-ge-klärt hast.“
„Und ich freue mich außerordentlich, Onkelchen, daß ich heute noch einmal mit Ihnen zusammengekommen bin. Stellen Sie sich das nur vor: ohne mich hätten Sie sich tatsächlich irren und denken können, Sie seien ein Bräutigam; und dann wären Sie als Bräutigam hinuntergegangen. Stellen Sie sich das nur vor, wie gefährlich das gewesen wäre!“
„Nun ja … ja, gefährlich!“
„Denken Sie nur daran, daß dieses Mädchen dreiundzwanzig Jahre alt ist; niemand will sie zur Frau nehmen, und auf einmal erscheinen Sie, ein reicher, vornehmer Mann, und glauben ihr Bräutigam zu sein! Da würden diese Leute diesen Gedanken sofort aufgreifen, Ihnen versichern, daß Sie in der Tat ihr Bräutigam seien, und Sie mit ihr, vielleicht sogar mit Gewalt, verheiraten. Und dann würden sie darauf spekulieren, daß Sie vielleicht bald sterben werden.“
„Wirklich?“
„Und schließlich sollten Sie nicht vergessen, Onkelchen, daß ein Mann mit Ihren vortrefflichen Eigenschaften …“
„Nun ja, mit meinen vortrefflichen Eigenschaften …“
„Mit Ihrem Verstande, mit Ihrer Liebenswürdigkeit …“
„Nun ja, mit meinem Verstande, ja! …“
„Und schließlich, Sie sind ein Fürst. Würden Sie sich wohl eine solche Partie aussuchen, wenn Sie wirklich aus irgendwelchem Grunde sich genötigt sähen zu heiraten? Bedenken Sie nur: was würden Ihre Verwandten dazu sagen?“
„Ach, mein Freund, sie würden mich in Stücke reißen! Ich habe von ihnen schon soviel Tücke und Bosheit erfahren … Denke nur, ich vermute, daß sie mich ins Ir-ren-haus sperren wollten. Nun, ich bitte dich, mein Freund, hat das einen Sinn? Nun, was sollte ich denn da machen … im Ir-ren-hau-se?“
„Selbstverständlich, Onkelchen, und darum werde ich jetzt nicht von Ihrer Seite weichen, wenn Sie nach unten gehen. Es sind jetzt Gäste dort.“
„Gäste? Ach, mein Gott!“
„Beunruhigen Sie sich nicht, Onkelchen; ich werde bei Ihnen sein.“
„Aber wie dank-bar bin ich dir, mein Lieber; du bist geradezu mein Retter! Aber weißt du was? Ich werde lieber wegfahren.“
„Morgen, Onkelchen, morgen früh um sieben Uhr. Heute aber müssen Sie sich allen empfehlen und sagen, daß Sie wegfahren werden.“
„Ganz bestimmt werde ich wegfahren … zu Vater Missail … Aber, mein Freund — wenn sie mich nun dort zum Bräutigam machen?“
„Seien Sie unbesorgt, Onkelchen; ich werde bei Ihnen sein. Und schließlich: mögen die Leute Ihnen andeuten und zu Ihnen sagen, was sie wollen, sagen Sie nur geradeheraus, daß Sie das alles nur geträumt hätten … wie es ja auch wirklich der Fall gewesen ist …“
„Nun ja, ich habe es be-stimmt nur geträumt! Aber, weißt du, mein Freund, es war doch ein ent-zük-ken-der Traum! Sie ist wunderbar schön, und, weißt du, solche Formen …“
„Na, adieu, Onkelchen; ich gehe nach unten, und Sie …“
„Wie! Du willst mich allein lassen!“ rief der Fürst erschrocken.
„Nein, Onkelchen; wir wollen nach unten gehen, aber getrennt; zuerst ich und dann Sie. Das wird das beste sein.“ „Nun gut. Ich muß noch einen Gedanken niederschreiben.“
„Schön, Onkelchen; schreiben Sie Ihren Gedanken nieder, und kommen Sie dann ohne Verzug herunter. Morgen früh aber …“
„Morgen früh fahre ich zum Mönchpriester, unbedingt zum Mönch-prie-ster! Charmant, charmant! Aber, weißt du, mein Freund, sie ist wun-der-bar schön … solche Formen … und wenn ich einmal durchaus heiraten müßte, so würde ich …“
„Gott möge Sie davor bewahren, Onkelchen!“
„Nun ja, Gott möge mich davor bewahren! … Nun, dann adieu, mein Lieber; ich werde sogleich … ich will das nur erst nie-der-schrei-ben. A pro-pos, ich wollte dich schon längst fragen: hast du die Memoiren von Casanova gelesen?“
„Ja, ich habe sie gelesen, Onkelchen; wieso?“
„Nun ja … Siehst du, ich habe jetzt wieder ver-ges-sen, was ich dich fragen wollte …“
„Es wird Ihnen schon später einfallen, Onkelchen. Auf Wiedersehen!“
„Auf Wiedersehen, mein Freund, auf Wiedersehen! Aber es war doch ein entzückender Traum, ein ent-zük-ken-der Traum!“