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Kapitel VI

Die Frau Oberst Sofja Petrowna Karpuchina glich nur geistig einer Elster. Körperlich hatte sie mehr Ähnlichkeit mit einem Sperling. Sie war eine kleine, fünfzigjährige Dame mit scharfen, kleinen Augen und mit Sommersprossen und gelben Flecken über das ganze Gesicht. Ihr kleines, ausgetrocknetes Körperchen, das auf dünnen, aber kräftigen Sperlingsbeinchen ruhte, steckte in einem dunklen Seidenkleide, das fortwährend raschelte, weil die Frau Oberst auch nicht zwei Sekunden lang ruhig bleiben konnte. Sie war eine höchst boshafte, rachsüchtige Klatschbase und maßlos stolz darauf, daß sie eine Frau Oberst war. Mit ihrem Manne, einem pensionierten Oberst, wurde sie sehr oft handgemein und zerkratzte ihm das Gesicht. Außerdem trank sie jeden Morgen vier Gläser Schnaps und jeden Abend ebensoviel und hatte einen wütenden Haß auf Anna Nikolajewna Antipowa, von der sie in der vorigen Woche aus den Hause hinausgejagt worden war, und desgleichen auf Natalja Dmitrijewna Paskudina, die dabei assistiert hatte.

„Ich bin nur auf ein Augenblickchen zu Ihnen gekommen, mon ange,“ plapperte sie. „Es hat eigentlich keinen Zweck, daß ich mich hingesetzt habe. Ich bin nur herangekommen, um Ihnen zu erzählen, was für wunderliche Dinge bei uns geschehen. Die ganze Stadt hat geradezu den Verstand verloren infolge der Ankunft dieses Fürsten! Unsere Schlaubergerinnen (vous comprenez!) machen auf ihn Jagd, schleppen ihn um die Wette zu sich, setzen ihm Champagner vor —Sie werden es gar nicht glauben! Sie werden es gar nicht glauben! Wie haben Sie ihn nur von sich weglassen können? Wissen Sie auch wohl, daß er jetzt bei Natalja Dmitrijewna ist?“

„Bei Natalja Dmitrijewna?“ rief Marja Alexandrowna und sprang von ihrem Stuhle ein wenig in die Höhe. „Aber er wollte doch nur zum Gouverneur fahren und dann vielleicht zu Anna Nikolajewna, und zwar nicht auf lange!“

„Na ja, nicht auf lange! Nun können Sie ihm nachpfeifen! Den Gouverneur hat er nicht zu Hause getroffen; darauf ist er zu Anna Nikolajewna gefahren und hat ihr sein Wort gegeben, bei ihr zu Mittag zu speisen; Natalja Dmitrijewna aber, die jetzt immer bei ihr zu finden ist, hat ihn zu sich nach Hause geschleppt, damit er vor dem Mittagessen bei ihr frühstücke. So macht es der Fürst!“

„Aber was tut denn Mosgljakow dabei? Er hatte mir doch versprochen …“

„Bleiben Sie mir mit Ihrem gepriesenen Mosgljakow vom Leibe! Der ist ja auch mit ihnen mitgefahren! Passen sie auf: Wenn man ihn dort an den Kartentisch setzt, verspielt er wieder alles wie im vorigen Jahre! Und auch den Fürsten werden sie an den Kartentisch setzen und ratzekahl ausplündern. Und was sie für Geschichten erzählt, diese Natalja Dmitrijewna! Sie macht ein großes Geschrei, als ob Sie den Fürsten an sich lockten, na, nämlich … in gewisser Absicht — vous comprenez? Sie setzt es ihm selbst auseinander. Er versteht natürlich nichts von dem, was sie ihm sagt, sondern sitzt da wie eine nasse Katze und sagte zu allem: ‚Nun ja, nun ja!‘. Und sie selbst, wie macht sie es selbst! Sie hat ihre Sonja hereinkommen lassen — stellen Sie sich das vor: Die ist doch schon fünfzehn Jahre alt, und sie läßt sie immer noch in kurzen Kleidern gehen! Nur bis ans Knie, denken Sie nur! Und dann hat sie auch dieses Waisenkind, die Maschka, holen lassen, ebenfalls in einem kurzen Kleide, das aber noch nicht einmal bis zum Knie herabreichte — ich habe es mir durch meine Lorgnette angesehen. Auf die Köpfe setzte sie den beiden so eine Art von roten Mützen mit Federn — ich weiß nicht, was das vorstellen sollte! Und dann mußten die beiden Mädchen nach dem Klavier dem Fürsten den Kosakentanz vortanzen! Na, Sie kennen wohl die Schwäche des Fürsten? Er war ganz hin vor Entzücken: ‚Diese Formen‘, sagte er, ‚diese Formen!‘. Ich habe mir die Tänzerinnen durch die Lorgnette angesehen; sie taten ihr Bestes, bekamen ganz rote Köpfe und renkten sich die Beine aus — kurz, es war schon nicht mehr schön! Pfui, so ein Tanz! Ich habe selbst den Schaltanz getanzt, als ich aus dem vornehmen Pensionat von Madame Jarni abging; aber mein Tanz machte einen wahrhaft vornehmen Eindruck! Sogar Senatoren klatschten mir Beifall! Das war ein Institut, in dem Fürsten- und Grafentöchter erzogen wurden! Aber dies hier war geradezu ein Cancan! Ich glühte vor Scham, ich glühte, glühte nur so! Es war mir einfach unmöglich, bis zu Ende dabeizusitzen! …“

„Aber … sind Sie denn selbst bei Natalja Dmitrijewna gewesen? Sie sind ja doch …“

„Nun ja, sie hat mich in der vorigen Woche beleidigt. Ich sage das allen Leuten ganz offen. Mais, ma chère, ich wollte doch gar zu gern diesen Fürsten sehen, und wäre es auch nur durch die Türritze gewesen, und so fuhr ich denn hin. Wo hätte ich ihn denn auch sonst sehen können? Wäre es nicht um dieses widerwärtigen Fürsten willen gewesen, so würde ich ganz bestimmt nicht zu ihr gefahren sein! Denken Sie sich: Allen wurde Schokolade gereicht, nur mir nicht, und die ganze Zeit über hat sie mit mir auch nicht ein Wort gesprochen. Das war von ihr entschieden Absicht … So ein Trampeltier! Aber ich werde es ihr heimzahlen! Aber nun leben Sie wohl, mon ange; ich bin jetzt eilig, sehr eilig … Ich muß unbedingt zu Akulina Panfilowna und ihr erzählen … Aber die Hoffnung, den Fürsten wiederzusehen, geben Sie nur auf! Der wird jetzt nicht mehr zu Ihnen kommen. Wissen Sie, er hat ja kein Gedächtnis, und da wird ihn Anna Nikolajewna sicherlich zu sich schleppen und bei sich festhalten! Alle fürchten, daß Sie … hm … Sie verstehen? In bezug auf Sinaida …“

„Quelle horreur!“

„Ich versichere Ihnen, daß es so ist! Die ganze Stadt macht davon Geschrei. Anna Nikolajewna will ihn durchaus zum Mittagessen bei sich behalten, und dann für immer. Das tut sie, um Sie zu ärgern, mon ange. Ich habe bei ihr auf dem Hofe durch den Türspalt in die Küche gesehen. Da herrscht ein eifriges Treiben: Ein großartiges Diner wird zugerüstet; es wird mit Messern gehackt; es ist nach Champagner geschickt worden. Beeilen Sie sich, beeilen Sie sich, und fangen Sie ihn unterwegs ab, wenn er zu ihr fährt. Sie sind ja doch die erste gewesen, der er zum Mittagessen zugesagt hat! Bei Ihnen ist er zu Gaste und nicht bei ihr! Dieses schlaue Weib, diese Intrigantin, diese Rotznase soll nicht über uns lachen! Sie ist nicht soviel wert wie meine Schuhsohle, wenn sie auch eine Frau Staatsanwalt ist! Ich selbst bin eine Frau Oberst! Ich bin in der vornehmen Pension der Madame Jarni erzogen worden … Mais adieu, mon ange! Ich habe meinen Schlitten vor der Tür; sonst würde ich mit Ihnen mitfahren …“

Die zweibeinige Zeitung eilte davon; Marja Alexandrowna zitterte vor Aufregung; aber der Rat der Frau Oberst war sehr einleuchtend und praktisch. Es war keine Zeit zu verlieren. Aber es blieb noch die größte Schwierigkeit zu überwinden. Marja Alexandrowna eilte in Sinaidas Zimmer.

Sinaida ging mit verschränkten Armen und mit gesenktem Kopfe, blaß und verstört, im Zimmer auf und ab. Die Augen standen ihr voll Tränen; aber in dem Blicke, den sie auf ihre Mutter richtete, funkelte eine feste Entschlossenheit. Eilig verbarg sie ihre Tränen, und auf ihren Lippen erschien ein spöttisches Lächeln.

„Mama“, sagte sie, ihrer Mutter zuvorkommend, „Sie haben soeben viel, gar zu viel Beredsamkeit an mich verschwendet. Aber Sie haben mich nicht verblendet. Ich bin kein Kind. Mir selbst einzureden, daß ich die Großtat einer Barmherzigen Schwester vollbrächte, während ich doch dazu nicht den geringsten Beruf habe, und eine unwürdige, nur aus Egoismus ausgeführte Handlung mit edlen Zielen zu entschuldigen — das alles ist ein Jesuitismus, der mich nicht täuschen konnte. So hören Sie also: Das hat mich nicht täuschen können, und ich will, daß Sie das unter allen Umständen wissen!“

„Aber, mon ange! …“ rief Marja Alexandrowna beängstigt.

„Reden Sie doch nicht, Mama; haben Sie die Geduld, mich bis zu Ende anzuhören. Obwohl ich mir völlig bewußt bin, daß das alles nur Jesuitismus ist, und obwohl ich der völligen Überzeugung bin, daß ein solches Verfahren ganz unehrenhaft ist, nehme ich dennoch Ihren Vorschlag vollständig an, hören Sie: vollständig und erkläre Ihnen, daß ich bereit bin, den Fürsten zu heiraten, und sogar bereit bin, alle Ihre Bemühungen zu unterstützen, um ihn dahin zu bringen, mir einen Heiratsantrag zu machen. Warum ich das tue, das brauchen Sie nicht zu wissen. Es muß Ihnen genügen, daß ich mich dazu entschlossen habe. Ich habe mich zu allem entschlossen: Ich werde ihm die Stiefel reichen, ich werde seine Magd sein, ich werde ihm zu seinem Vergnügen etwas vortanzen, um meine Gemeinheit in seinen Augen wieder gutzumachen; ich werde alles, was nur irgend möglich ist, tun, damit er es nicht bereut, mich geheiratet zu haben! Aber zum Lohn für meinen Entschluß verlange ich, daß Sie mir aufrichtig sagen, auf welche Weise Sie das alles zustande bringen wollen. Wenn Sie in so energischer Manier davon zu reden angefangen haben, so werden Sie (darin kenne ich Sie) das nicht getan haben ohne einen festen Plan im Kopfe. Seien Sie wenigstens ein einziges Mal im Leben aufrichtig; Aufrichtigkeit, das ist die Bedingung, die ich mit aller Bestimmtheit stelle! Ich kann mich nicht entschließen, wenn ich nicht sicher weiß, wie Sie das alles ins Werk setzen werden.“

Marja Alexandrowna war durch Sinaidas unerwarteten Entschluß so überrascht, daß sie eine Weile stumm und regungslos vor Erstaunen ihr gegenüberstand und sie mit großen Augen anstarrte. Sie war darauf gefaßt gewesen, mit der hartnäckigen romantischen Anschauungsweise ihrer Tochter, deren strenges Anstandsgefühl sie beständig fürchtete, einen harten Kampf bestehen zu müssen, und nun hörte sie auf einmal, daß die Tochter mit ihr vollständig einverstanden und zu allem, sogar gegen ihre Überzeugung, bereit war! Dadurch wurde also die ganze Sache auf feste Beine gestellt — und die Freude funkelte ihr aus den Augen.

„Liebste Sinaida!“ rief sie ganz entzückt, „liebste Sinaida! Du bist mein Fleisch und Blut!“

Mehr konnte sie nicht herausbringen; sie stürzte zu ihrer Tochter hin, um sie zu umarmen.

„Ach, mein Gott! Ich wünsche Ihre Umarmungen nicht, Mama!“ rief Sinaida voll nervösen Widerwillens. „Ich kann solche Ausbrüche Ihres Entzückens nicht leiden! Ich verlange von Ihnen eine Antwort auf meine Frage, weiter nichts.“

„Aber Sinaida, ich liebe dich ja! Ich vergöttere dich, und du stößt mich zurück … ich gebe mir ja alle diese Mühe nur um deines Glückes willen …“

Und in ihren Augen glänzten unverstellte Tränen. Marja Alexandrowna liebte Sinaida wirklich, wenn auch auf ihre besondere Art, und diesmal hatten der Erfolg und die Aufregung sie besonders gefühlvoll gemacht. Sinaida sah zwar zur Zeit die Sache nur mit beschränkter Zustimmung an; aber sie begriff doch, daß die Mutter sie liebte, und - fühlte sich durch diese Liebe bedrückt. Es wäre ihr sogar leichter ums Herz gewesen, wenn die Mutter sie gehaßt hätte …

„Nun, seien Sie mir nicht böse, Mama; ich bin so aufgeregt“, sagte sie, um sie zu beruhigen.

„Ich bin nicht böse, ich bin nicht böse, mein Engelchen!“ fiel Marja Alexandrowna, die sofort wieder ganz munter wurde, eilig ein; „ich sehe ja selbst, daß du aufgeregt bist. Siehst du, liebes Kind, du verlangst Aufrichtigkeit. Nun gut, ich werde aufrichtig sein, vollkommen aufrichtig, versichere ich dich! Nur mußt du mir dann auch glauben! Erstens also muß ich dir sagen, daß ich einen vollständig bestimmten, das heißt einen in allen Einzelheiten ausgearbeiteten Plan noch nicht habe, liebe Sinaida, und einen solchen auch noch nicht haben kann; du hast ja ein kluges Köpfchen und wirst den Grund verstehen. Ich sehe sogar einige Schwierigkeiten voraus … Da hat mir zum Beispiel diese Klatschbase soeben allerlei vorgetratscht … (Ach, mein Gott! Ich müßte mich ja eigentlich beeilen!) Siehst du, ich bin vollkommen aufrichtig! Aber ich versichere dich, ich werde das Ziel erreichen!“ fügte sie ordentlich begeistert hinzu. „Meine Überzeugung hat nicht das geringste mit poetischer Schwärmerei zu schaffen, wie du vorhin sagtest, mein Engel; sie gründet sich auf Tatsachen. Sie gründet sich auf die vollständige Geistesschwäche des Fürsten; er ist sozusagen ein Kanevas, auf dem man alles Beliebige sticken kann. Die Hauptsache ist, daß man uns nicht stört! Aber diese dummen Frauenzimmer sollen mich nicht überlisten!“ rief sie; sie schlug mit der Hand auf den Tisch, und ihre Augen funkelten. „Dafür werde ich schon sorgen. Zu diesem Zwecke aber ist das Notwendigste, daß wir die Sache möglichst schnell in Angriff nehmen; es muß sogar gleich heute die Hauptsache, wenn irgend möglich, ins reine gebracht werden.“

„Gut, Mama; aber hören Sie noch ein offenherziges Geständnis: Wissen Sie wohl, warum ich mich mit solchem Interesse nach Ihrem Plane erkundige und kein Vertrauen auf sein Gelingen setze? Weil ich mich nicht auf mich selbst verlassen kann. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich mich zu dieser unwürdigen Handlungsweise entschlossen habe; aber wenn die Einzelheiten Ihres Planes gar zu abstoßend, gar zu schmutzig sein sollten, dann kündige ich Ihnen an, daß ich das nicht ertragen, sondern die ganze Sache wieder hinwerfen werde. Ich weiß, daß das eine neue Schändlichkeit ist: sich zu einer Gemeinheit zu entschließen und sich vor dem Schmutze zu fürchten, in dem sie schwimmt; aber was soll ich machen? Ich werde das ganz bestimmt tun! …“

„Aber, liebste Sinaida, um was für eine besondere Gemeinheit handelt es sich denn hier, mon ange?“ erwiderte Marja Alexandrowna schüchtern. „Es handelt sich doch nur um eine vorteilhafte Heirat, und da verfahren doch alle so! Man braucht die Sache nur von diesem Gesichtspunkte aus anzusehen, dann erscheint alles als durchaus anständig …“

„Ach, Mama, ich bitte Sie inständig, lassen Sie doch mir gegenüber diese schlauen Manöver beiseite! Sie sehen, ich bin mit allem einverstanden, mit allem! Was wollen Sie noch mehr? Bitte, erschrecken Sie nicht, wenn ich die Dinge mit ihrem wahren Namen nenne. Vielleicht ist das jetzt mein einziger Trost.“

Ein bitteres Lächeln spielte um ihre Lippen.

„Nun, nun, gut, mein Engelchen, man kann ja verschiedener Ansicht sein und einander doch achten. Aber wenn du dich um die Einzelheiten beunruhigst und fürchtest, sie könnten schmutzig sein, so überlaß alle diese Sorgen mir; ich schwöre dir, daß auf dich auch nicht ein Tröpfchen Schmutz spritzen wird. Will ich dich etwa vor allen Leuten bloßstellen? Verlaß du dich nur auf mich, und alles wird in ganz vorzüglicher, höchst anständiger Weise arrangiert werden; was die Hauptsache ist: in höchst anständiger Weise! Es wird keinen Skandal geben; und wenn es doch ein kleines, unvermeidliches Skandälchen dabei geben sollte, nun … sei es drum! Dann sind wir ja schon weit weg! Wir werden ja doch nicht hier bleiben! Mögen sie aus voller Kehle schreien; was scheren wir uns darum! Sie werden es ja nur tun, weil sie uns beneiden! Es ist ja nicht der Mühe wert, sich um diese Leute Sorgen zu machen! Ich wundere mich sogar über dich, liebe Sinaida (aber sei mir nur nicht böse!), daß du bei deinem Stolze sie fürchtest.“

„Ach, Mama, ich fürchte sie durchaus nicht! Sie verstehen mich eben gar nicht!“ antwortete Sinaida gereizt.

„Nun, nun, mein Herzchen, sei nicht böse! Ich meine nur, daß sie selbst alle Tage Schändlichkeiten begehen und du es nur ein einziges kleines Mal in deinem Leben tust … aber was rede ich Törin! Es ist ja überhaupt keine Schändlichkeit dabei! Was ist dabei für eine Schändlichkeit? Im Gegenteil, die Sache ist höchst anständig. Ich werde dir das klar beweisen, liebe Sinaida. Erstens wiederhole ich noch einmal: Es kommt alles darauf an, von welchem Gesichtspunkte aus man die Sache betrachtet …“

„So hören Sie doch mit Ihren Beweisen auf, Mama!“ rief Sinaida zornig und stampfte ungeduldig mit dem Fuße.

„Nun, mein Herzchen, ich bin ja schon still, ich bin ja schon still! Ich war wieder ins Reden hineingekommen …“

Es trat ein kurzes Stillschweigen ein. Marja Alexandrowna blickte voller Demut und Unruhe ihre Tochter nach den Augen, wie ein kleines Hündchen, das etwas begangen hat und nun nach den Augen seiner Herrin blickt.

„Ich verstehe gar nicht, wie Sie die Sache angreifen wollen“, fuhr Sinaida mit einer Miene des Ekels fort. „Ich bin davon überzeugt, daß dabei für Sie nichts weiter als eine Beschämung herauskommen wird. Ich verachte die Meinung dieser Leute; aber Sie werden sich dabei Schande zuziehen.“

„Oh, wenn dich weiter nichts beunruhigt, mein Engel — bitte, beunruhige dich nicht! Ich bitte dich, ich flehe dich an! Wenn wir beide nur miteinander einig sind; um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ach, wenn du wüßtest, aus was für Fährlichkeiten ich mir in meinem Leben schon mit heiler Haut herausgeholfen habe! Und was habe ich nicht schon alles zustande gebracht! Na, laß es mich nur wenigstens probieren! Jedenfalls müssen wir vor allen Dingen dafür sorgen, daß wir möglichst bald mit dem Fürsten allein zusammen sind. Das ist das allererste! Alles übrige wird davon abhängen! Aber auch von dem übrigen habe ich schon so eine Ahnung. Alle Weiber in der Stadt werden empört sein; aber das tut nichts! Ich werde ihnen schon gehörig dienen! Ein bißchen Sorge macht mir Mosgljakow …“

„Mosgljakow?“ fragte Sinaida geringschätzig.

„Nun ja, Mosgljakow; aber habe du keine Bange vor ihm, liebe Sinaida! Ich versichere dich auf das bestimmteste: Ich werde es dahin bringen, daß gerade er uns noch helfen wird! Du kennst mich noch nicht, liebe Sinaida! Du weißt noch nicht, was ich auf praktischem Gebiete leisten kann! Ach, liebe Sinaida, mein Herzchen! Als ich vorhin von der Ankunft dieses Fürsten hörte, da flammte mir sogleich ein Gedanke im Kopfe auf! Es kam auf einmal über mich eine Art Erleuchtung von oben. Und wer, wer hätte auch erwarten können, daß er gerade zu uns kommen werde? Eine solche günstige Gelegenheit wird ja in tausend Jahren nicht wiederkehren! Liebe Sinaida! Mein Engelchen! Nicht das ist ehrlos, daß du einen alten Mann und Krüppel heiraten wirst; ehrlos wäre es, wenn du jemanden heiratetest, den du nicht leiden kannst, und dessen Frau du doch in Wirklichkeit sein würdest! Dem Fürsten aber wirst du keine wirkliche Frau sein. Das ist ja keine richtige Ehe. Das ist einfach ein häuslicher Kontakt! Er, der Dummkopf, hat den Vorteil davon; ihm, dem Dummkopf, wird ein solches unschätzbares Glück zuteil! Ach, wie schön du heute bist, liebe Sinaida! Geradezu von einer idealen Schönheit! Wenn ich ein Mann wäre, würde ich dir ein halbes Königreich verschaffen, wenn du es verlangtest! Esel sind sie alle, die Männer! Ist es nicht ein Genuß, dieses Händchen zu küssen?“ Und Marja Alexandrowna drückte heiße Küsse auf die Hand ihrer Tochter. „Das ist ja mein eigener Leib, mein Fleisch und Blut! Mit Gewalt muß man ihn nötigenfalls verheiraten, den Dummkopf! Und was für ein schönes Leben werde ich dann bei dir führen, liebe Sinaida! Du wirst ja doch deine Mutter nicht von dir jagen, wenn du glücklich geworden sein wirst? Wenn wir uns auch manchmal gestritten haben, mein Engelchen, so hast du doch keine bessere Freundin als mich; ich bin doch …“

„Mama, wenn Sie sich nun einmal dazu entschlossen haben, so sollten Sie nicht zögern, etwas zu tun. Sie verlieren hier nur Ihre Zeit!“ sagte Sinaida ungeduldig.

„Ja, es ist Zeit, liebe Sinaida, es ist Zeit! Ach, ich war so ins Reden hineingekommen!“ erwiderte Marja Alexandrowna, zur Besinnung kommend. „Sie wollen uns dort den Fürsten ganz und gar abspenstig machen. Ich werde mich sogleich in den Schlitten setzen und hinfahren! Ich werde vorfahren und Mosgljakow herausrufen lassen und dann … Nötigenfalls werde ich ihn mit Gewalt wegholen! Lebewohl, liebe Sinaida, lebewohl, mein Täubchen, habe keine Angst, zweifle nicht am Gelingen, und sei nicht traurig; vor allen Dingen sei nicht traurig! Es wird alles auf die schönste, anständigste Weise in Ordnung gebracht werden! Die Hauptsache ist, von welchem Gesichtspunkte aus man die Sache ansieht … nun, lebe wohl, lebe wohl! …“

Marja Alexandrowna bekreuzte Sinaida, eilte aus dem Zimmer, drehte sich in ihrem eigenen Zimmer einen Augenblick vor dem Spiegel herum und fuhr schon zwei Minuten darauf in ihrer Schlittenkutsche durch die Straßen von Mordassow; denn diese Kutsche stand alle Tage um diese Stunde angespannt bereit für den Fall, daß Marja Alexandrowna ausfahren wollte. Ja, Marja Alexandrowna lebte en grand.

„Nein, ihr sollt mich nicht überlisten!“ dachte sie, während sie so in ihrer Kutsche saß. „Sinaida ist einverstanden, also ist die halbe Arbeit schon getan, und euch gegenüber sollte ich den kürzeren ziehen? Unsinn! Nein, diese Sinaida! Endlich hat auch sie sich einverstanden erklärt! Also auch auf dein Köpfchen können mancherlei Berechnungen wirken! Ich habe ihr aber auch eine verlockende Perspektive hingemalt! Die hat’s gemacht! Aber es ist zum Erstaunen, wie schön sie heute ist! Wenn ich ihre Schönheit besäße, würde ich halb Europa nach meiner Pfeife tanzen lassen! Na, warten wir es ab … Der Shakespeare wird sich schon verflüchtigen, wenn sie erst Fürstin sein und etwas von den Genüssen des Lebens kennengelernt haben wird. Was kennt sie denn jetzt? Mordassow und ihren Lehrer! … Hm … Aber was wird sie auch für eine Fürstin sein! Ich liebe an ihr diesen Stolz, diese Kühnheit. Und wie unnahbar sie ist! Wenn sie einen ansieht, so ist einem, als sähe einen eine Königin an. Nun, wie sollte sie denn ihren Vorteil nicht einsehen? Sie hat ihn ja auch endlich eingesehen! Sie wird auch das übrige begreifen … Ich werde ja doch immer um sie sein. Sie wird schließlich in allen Punkten mit mir einer Ansicht sein! Aber ohne mich wird es nicht gehen! Ich werde selbst eine Fürstin sein; auch in Petersburg wird man mich kennenlernen. Lebe wohl, du elender Krähwinkel! Dieser Fürst wird sterben, und dieser junge Mensch wird auch sterben, und dann werde ich sie einem regierenden Fürsten zur Frau geben! Nur eines macht mich besorgt: Habe ich auch nicht zuviel Vertrauen auf sie gesetzt? Bin ich nicht zu offenherzig gewesen, bin ich nicht zu gefühlsvoll geworden? Sie macht mir Sorgen, ach ja, Sorgen!“

Und Marja Alexandrowna versank in Gedanken. Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß diese Gedanken recht sorgenvoll waren. Man sagt ja auch mit Recht, daß ein leidenschaftlicher Wunsch der schlimmste Tyrann sei.

Als Sinaida allein geblieben war, ging sie lange mit verschränkten Armen nachdenklich im Zimmer auf und ab. Sie überlegte vieles. Oft und fast unbewußt sagte sie vor sich hin: „Es ist Zeit, es ist Zeit, es ist hohe Zeit!“ Was bedeutete dieser kurze Ausruf? Mehrmals blitzten Tränen an ihren langen, seidigen Wimpern. Sie dachte nicht daran, sie zu trocknen oder zu hemmen. Aber ohne Not beunruhigte sich ihre Mutter und suchte in die Gedanken ihrer Tochter einzubringen: Sinaida war vollständig entschlossen und hatte sich auf alle Folgen gefaßt gemacht …

„Na warte du!“ dachte Nastasja Petrowna, als sie nach der Abfahrt der Frau Oberst ihre Rumpelkammer wieder verließ. „Und ich wollte mir schon um dieses elenden Fürsten willen eine rosa Schleife anstecken! Und ich Närrin glaubte, er würde mich heiraten! Da hast du’s mit deiner Schleife! Aber Sie, Marja Alexandrowna! Sie sagen, ich sei eine Schlumpe, eine Bettlerin, ich hätte für etwas Unrechtes zweihundert Rubel genommen. Das fehlte auch noch, daß ich für Sie etwas gratis täte, Sie Zierpuppe! Ich habe das Geld auf anständige Weise bekommen; ich habe es für die mit der Arbeit verknüpften Auslagen erhalten … Vielleicht habe ich selbst erst jemanden bestechen müssen! Was geht es Sie an, daß ich es nicht für unter meiner Würde gehalten habe, daß Schloß eigenhändig zu erbrechen? Für Sie habe ich gearbeitet, Sie vornehme Müßiggängerin! Sie möchten am liebsten immer nur auf Kanevas sticken! Na, warten Sie, ich werde Ihnen das Kanevassticken zeigen! Ich werde es Ihnen beiden zeigen, was ich für eine Schlumpe bin! Sie sollen Nastasja Petrowna in ihrer ganzen Sanftmut kennenlernen!“