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Kapitel X

Der Schlitten flog nur so. Wir haben bereits gesagt, daß in Marja Alexandrownas Kopfe bereits am Vormittage, während sie in der Stadt auf den Fürsten Jagd machte, ein genialer Gedanke aufblitzte. Wir versprachen, auf diesen Gedanken am gehörigen Orte zurückzukommen. Aber der Leser kennt ihn jetzt bereits. Dieser Gedanke war: sich ihrerseits des Fürsten zu bemächtigen und ihn möglichst schnell nach ihrem in der Nähe der Stadt gelegenen Gute zu bringen, wo der geistig beschränkte Afanassi Matwejewitsch in aller Harmlosigkeit vegetierte. Wir verheimlichen nicht, daß Marja Alexandrowna je länger je mehr von einer unerklärlichen Unruhe befallen wurde. Das kommt selbst bei wirklichen Helden vor, namentlich zu der Zeit, wo sie ihr Ziel nahezu erreicht haben. Eine Art von Instinkt sagte ihr, daß es gefährlich sei, in Mordassow zu bleiben. „Wenn wir aber erst einmal auf dem Gute sind“, meinte sie, „dann kann sich meinetwegen die ganze Stadt auf den Kopf stellen!“ Allerdings war auch auf dem Gute keine Zeit zu verlieren. Es konnte alles mögliche passieren, alles mögliche, geradezu alles, wenn wir auch den nachher über meine Heldin von Übelwollenden verbreiteten Gerüchten keinen Glauben schenken, daß sie in diesem Augenblicke sogar vor der Polizei Bange gehabt habe. Kurz, sie sah ein, daß Sinaidas Trauung mit dem Fürsten möglichst beschleunigt werden müsse. Die Mittel dazu hatte sie an der Hand. Auf dem Gute konnte die beiden auch der Dorfgeistliche trauen. Man konnte die Trauung sogar schon übermorgen stattfinden lasse, nötigenfalls sogar schon morgen. Hatte es doch schon Eheschließungen gegeben, die nach zwei Stunden vollzogen worden waren! Dem Fürsten mußte man diese Eile, diesen Fortfall aller Feste, Verlobungsfeiern, Polterabende als das notwendige comme il faut bezeichnen; man mußte ihn nachdrücklich belehren, daß dies vornehmer, grandioser sei. Auch konnte man ihm alles als ein romantisches Abenteuer darstellen und auf diese Weise die empfindsamste Saite in seinem Herzen anschlagen. Schlimmstenfalls konnte man ihn ja auch durch Wein zu allem Erforderlichen anregen oder, noch besser, ihn in einem dauernden Zustande von Trunkenheit erhalten. Und mochte dann nachher passieren, was da wollte, Sinaida würde doch eine Fürstin sein! Wenn es aber nachher nicht ohne einen Skandal abgehen sollte, zum Beispiel in Petersburg oder in Moskau, wo der Fürst Verwandte hatte, so gab es da einen Trost. Erstens lag das alles noch in ziemlicher Ferne; und zweitens glaubte Marja Alexandrowna, daß es in der höchsten Gesellschaft fast nie ohne Skandal abgehe, namentlich bei Heiratssachen, und daß das sogar zum guten Tone gehöre, wiewohl Skandale in der höheren Gesellschaft nach ihrer Vorstelung immer etwas Besonderes, Grandioses haben mußten, so etwas in der Art des Grafen von Montechristo oder der Memoires du Diable. Und endlich, meinte sie, brauche Sinaida nur in der höchsten Gesellschaft zu erscheinen und ihre Mama sie zu unterstützen, dann würden alle, absolut alle im selben Augenblicke besiegt sein, und keine von all diesen Gräfinnen und Fürstinnen würde imstande sein, so eine echt Mordassower Kopfwäsche auszuhalten, wie sie, Marja Alexandrowna, sie ihnen zu verabfolgen befähigt sei, entweder allen zusammen oder einer jeden einzeln. Infolge aller dieser Erwägungen jagte Marja Alexandrowna jetzt nach ihrem Gute, um Afanassi Matwejewitsch zu holen, dessen Anwesenheit nach ihrem Urteile jetzt unumgänglich notwendig war. In der Tat: den Fürsten nach dem Gute bringen, das bedeutete ihn zu Afanassi Matwejewitsch bringen, mit dem der Fürst vielleicht gar nicht bekannt zu werden wünschte. Wenn aber Afanassi Matwejewitsch selbst die Einladung aussprach, so nahm die Sache ein ganz anderes Gesicht an. Zudem konnte das Erscheinen des bejahrten, würdigen Familienvaters, in Frack und weißer Binde, mit dem Hute in der Hand, der auf die erste Nachricht von der Ankunft des Fürsten expreß aus der Ferne herbeigekommen war, einen sehr angenehmen Eindruck machen und sogar der Eitelkeit des Fürsten schmeicheln. Eine so dringliche, feierliche Einladung würde sich auch schwer ablehnen lassen, dachte Marja Alexandrowna. Endlich hatte der Schlitten die drei Werst lange Strecke durchflogen, und der Kutscher Sofron brachte seine Pferde vor der Anfahrt eines langgestreckten, einstöckigen, hölzernen Gebäudes zum Stehen, das schon recht alt und von der Zeit geschwärzt aussah, eine lange Reihe von Fenstern aufwies und ringsum von alten Linden umstanden war. Das war Marja Alexandrownas Gutshaus und Sommerresidenz. Im Hause brannte bereits Licht.

„Wo ist der Tölpel?“ schrie Marja Alexandrowna, die wie ein Sturmwind in die Wohnung hereinbrach. „Warum liegt dieses Handtuch hier? Ach, du hast dich abgetrocknet! Hast du wieder gebadet? Und immer schlürft er seinen Tee! Na, was reißt du die Augen auf, du unverbesserlicher Dummkopf? Warum ist dein Haar nicht geschnitten? Grischka! Grischka! Grischka! Warum hast du dem Herrn nicht das Haar geschnitten, wie ich es dir in der vorigen Woche befohlen habe?“

Als Marja Alexandrowna die Wohnung betrat, hatte sie Afanassi Matwejewitsch viel freundlicher zu begrüßen beabsichtigt; aber als sie sah, daß er aus dem Bade gekommen war und nun mit Genuß Tee trank, geriet sie in eine heftige Entrüstung, die sie nicht unterdrücken konnte. In der Tat: soviel Mühe und Sorge auf ihrer Seite und soviel ruhige Behaglichkeit auf seiten des zu keinem vernünftigen Werke tauglichen und verwendbaren Afanassi Matwejewitsch: ein solcher Kontrast versetzte ihr sofort einen Stich mitten ins Herz. Unterdessen saß der Tölpel oder, wenn wir uns höflicher ausdrücken wollen, derjenige, den sie Tölpel genannt hatte, beim Samowar und starrte vor Angst sinnlos, Mund und Augen weit aufreißend, seine Gattin an, die ihn durch ihr Erscheinen fast in Stein verwandelt hatte. Aus dem Vorzimmer kam die plumpe Gestalt des verschlafenen Grischka herein; mit den Augen blinzelnd betrachtete er diese ganze Szene.

„Er erlaubt ja nicht, daß ich ihm das Haar schneide; darum habe ich es nicht getan“, sagte er mürrisch mit heiserer Stimme. „Zehnmal bin ich mit der Schere zu ihm gekommen und habe gesagt: ‚Die gnädige Frau wird herkommen, und dann kriegen wir es beide; was fangen wir dann an?‘ Aber der Herr sagte: ‚Nein, warte noch damit; ich will mir zum Sonntag Locken brennen; dazu muß das Haar lang sein.‘“

„Was? Er brennt sich Locken! Also du läßt dir beikommen, dir ohne mein Willen Locken zu brennen? Was sind das für Faxen? Ja, steht dir denn das zu deiner dummen Visage? Mein Gott, was ist hier für eine Unordnung! Wonach riecht es? Ich frage dich, du Greusal, wonach es hier riecht!“ schrie die Gattin, die immer heftiger auf den unschuldigen, schon ganz betäubten Afanassi Matwejewitsch eindrang.

„Mü … Mütterchen!“ murmelte der erschrockene Gatte, ohne von seinem Platze aufzustehen, und blickte seine Gebieterin mit flehenden Augen an; „Mü … Mütterchen! …“

„Wie oft habe ich es dir schon in deinen dummen Kopf eingepaukt, daß ich überhaupt nicht dein ‚Mütterchen‘ bin? Wie könnte ich dein Mütterchen sein, du geistiger Zwerg! Wie kannst du es wagen, diese Benennung einer vornehmen Dame beizulegen, die ihren Platz in der höchsten Gesellschaft hat und nicht neben einen solchen Esel hingehört, wie du einer bist!“

„Ja … ja, aber, Marja Alexandrowna, du bist doch meine angetraute Ehefrau, und darum, siehst du wohl, sage ich so zu dir … wie der Mann zu seiner Frau zu sagen pflegt …“ versuchte Afanassi Matwejewitsch einzuwenden und hob gleichzeitig beide Hände zu seinem Kopfe in die Höhe, um sein Haar zu schützen.

„Ach, du Fratze! Ach, du Holzkopf! Hat man wohl je eine dümmere Antwort gehört? Angetraute Ehefrau! Was gibt es denn jetzt noch für ‚angetraute Ehefrauen‘? Bedient sich denn jetzt noch ein Mensch in den höchsten Gesellschaftskreisen dieses dummen, pfaffischen, widerwärtig gemeinen Ausdrucks ‚angetraut‘? Und wie kannst du es wagen, mich daran zu erinnern, daß ich deine Frau bin, wo ich mich doch mit aller Anstrengung, mit aller Kraft meiner Seele bemühe, es zu vergessen? Warum bedeckst du deinen Kopf mit den Händen? Nun sehe mal einer, wie sein Haar aussieht! Quatschnaß, quatschnaß! Das wird in drei Stunden nicht wieder trocken! Wie soll ich ihn nun hinbringen? Wie soll ich ihn nun den Leuten zeigen? Was soll ich jetzt anfangen?“

Marja Alexandrowna rang die Hände vor Wut und lief im Zimmer hin und her. Das Unglück war ja allerdings nicht groß und ließ sich wieder gutmachen; aber die Sache war die, daß Marja Alexandrowna ihren herrschsüchtigen, sich alles untertänig machenden Geist nicht zügeln konnte. Es war ihr ein Bedürfnis, unaufhörlich ihren Zorn über Afanassi Matwejewitsch auszuschütten; denn die Tyrannei ist eben eine Gewohnheit, die zum Bedürfnis wird. Und dann ist es ja auch allgemein bekannt, daß manche feinen Damen einer gewissen Gesellschaftsphäre bei sich zu Hause hinter den Kulissen zu einem Benehmen fähig sind, das mit demjenigen, das sie in der Öffentlichkeit beobachten, einen außerordentlichen Kontrast bildet, und gerade diesen Kontrast wollte ich zur Anschauung bringen. Afanassi Matwejewitsch verfolgte angstvoll alle Bewegungen seiner Gattin, und es drang ihm dabei sogar der Schweiß aus den Poren.

„Grischka!“ schrie sie endlich; „zieh den Herrn sofort an! Frack, Beinkleider, weiße Binde, weiße Weste — schnell! Und wo ist seine Kopfbürste, wo ist seine Kopfbürste?“

„Mütterchen! Aber ich komme ja aus dem Schwitzbade: ich kann mich ja erkälten, wenn ich jetzt nach der Stadt fahre …“

„Du wirst dich nicht erkälten!“

„Aber mein Haar ist ja noch ganz naß …“

„Das werden wir gleich trocken bekommen! Grischka, nimm die Kopfbürste und bürste ihn trocken; fester, fester, fester! So ist’s recht, so ist’s recht!“

Unter diesem Kommando begann der eifrige, treue Grischka das Haar seines Herrn aus Leibeskräften zu bürsten, wobei er ihn zu größerer Bequemlichkeit an der Schulter faßte und gegen das Sofa drückte. Afanassi Matwejewitsch runzelte die Stirn und fing beinah an zu weinen.

„Jetzt komm hierher! Heb ihn in die Höhe, Grischka! Wo ist die Pomade? Bück dich, bück dich, du Taugenichts; bück dich, du Müßiggänger!“

Und Marja Alexandrowna machte sich daran, ihren Gatten eigenhändig zu pomadisieren, und zerzauste dabei erbarmungslos sein dichtes, graumeliertes Haar, das er sich zu seinem Unglück nicht hatte kurz schneiden lassen. Afanassi Matwejewitsch räusperte sich und seufzte; aber er schrie nicht und hielt die ganze Operation demutsvoll aus.

„Alle meine Kraft hast du mir ausgesogen, du Schmutzfink!“ schalt Marja Alexandrowna. „Bück dich noch mehr, bück dich!“

„Wieso habe ich dir denn die Kraft ausgesogen, Mütterchen?“ stammelte der Gatte, während er den Kopf herunterbog, soweit er nur konnte.

„Tölpel! Verstehst nicht einmal einen bildlichen Ausdruck! Jetzt kämme dich; und du zieh ihn an, aber schnell!“

Unsere Heldin setzte sich auf einen Lehnstuhl und verfolgte mit dem Blicke eines Inquisitors die ganze Prozedur, wie Afanassi Matwejewitsch angekleidet wurde. Inzwischen hatte er sich schon wieder ein bißchen erholt und Mut geschöpft, und als es zum Umbinden der weißen Krawatte kam, erkühnte er sich sogar, so etwas wie eine eigene Meinung über die Form und Schönheit des Knotens laut werden zu lassen. Und als der ehrenwerte Mann zuletzt den Frack anzog, war er schon wieder ganz kuragiert geworden und betrachtete sich im Spiegel mit einer gewissen Selbstachtung.

„Wo willst du mich denn hinbringen, Marja Alexandrowna?“ fragte er, sich zurechtputzend.

Marja Alexandrowna traute ihren Ohren nicht.

„Na, nun höre mal einer an! Ach, du Vogelscheuche! Wie kannst du dich erdreisten zu fragen, wo ich dich hinbringen will!“

„Aber ich muß das doch wissen, Mütterchen …“

„Halt den Mund! Und wenn du mich noch ein einziges Mal Mütterchen nennst, besonders dort, wo wir jetzt hinfahren, dann sollst du einen ganzen Monat lang keinen Schluck Tee zu trinken bekommen!“

Ganz erschrocken schwieg der Gatte.

„Nun seh einer, keinen einzigen Orden hat er in seiner Dienstzeit bekommen, so eine Vogelscheuche!“ fuhr sie mit einem verächtlichen Blick auf Afanassi Matwejewitschs schwarzen Frack fort.

Afanassi Matwejewitsch fühlte sich nun schließlich doch gekränkt.

„Die Orden verleiht die vorgesetzte Behörde, Mütterchen; ich aber bin ein Rat und keine Vogelscheuche!“ sagte er mit anständigem Unwillen.

„Was, was, was? Hast du hier räsonieren gelernt? Ach, du Bauer! Ach, du Rotznase! Schade nur, daß ich jetzt keine Zeit habe, mich mit dir abzugeben; sonst würde ich … Na, ich werde später daran denken! Gib ihm den Hut, Grischka! Gib ihm den Pelz! Hier müssen, während ich weg bin, alle diese drei Zimmer sauber gemacht und aufgeräumt werden; auch das grüne Eckzimmer. Nimm sofort die Bürste und den Besen zur Hand! Von den Spiegeln müssen die Überzüge abgenommen werden; ebenso von den Uhren; in einer Stunde muß alles fertig sein. Und du zieh selbst den Frack an und gib den Leuten Handschuhe; hast du gehört, Grischka, hast du gehört?“

Sie setzten sich in den Schlitten. Afanassi Matwejewitsch wunderte sich verständnislos. Unterdessen überlegte Marja Alexandrowna im stillen, wie sie ihrem Gatten gewisse für sein weiteres Verhalten notwendige Instruktionen am besten verständlich machen und einprägen könne. Aber der Gatte kam ihr zuvor und fing zuerst an zu reden.

„Weißt du, Marja Alexandrowna, ich habe heute einen ganz originellen Traum gehabt“, mit dieser Mitteilung unterbrach er ganz unerwartet das beiderseitige Stillschweigen.

„Schäme dich was, du verdammte Vogelscheuche! Ich dachte wunder was du sagen wolltest! Einen Traum hat er gehabt! Wie kannst du es wagen, mich mit deinen bäuerischen Träumen zu behelligen! Einen originellen Traum! Verstehst du denn überhaupt noch, was das bedeutet: originell? Hör mal, ich sage es dir zum letztenmal: wenn du dich heute bei mir unterstehst, auch nur ein Wort von deinem Traume zu erwähnen oder von irgend etwas anderem, dann werde ich … ich weiß gar nicht, was ich dann mit dir machen werde! Paß mal recht auf: Fürst K. ist zu mir zu Besuch gekommen. Besinnst du dich noch auf den Fürsten K.?“

„Ja, ich besinne mich auf ihn, Mütterchen, ich besinne mich auf ihn. Warum ist er denn zu dir gekommen?“

„Halt den Mund! Das geht dich nichts an! Du mußt ihn als Hausherr mit besonderer Liebenswürdigkeit sogleich zu uns auf das Gut einladen. Zu diesem Zwecke hole ich dich eben. Wir werden uns gleich heute in den Schlitten setzen und aus der Stadt wegfahren. Aber wenn du dich erdreisten solltest, auch nur ein Wort den ganzen Abend über zu sagen oder morgen oder übermorgen oder zu irgendwelcher anderen Zeit, dann lasse ich dich ein ganzes Jahr lang die Gänse hüten! Rede nichts, kein einziges Wort! Das ist deine ganze Obliegenheit. Verstanden?“

„Na, aber wenn mich nun jemand fragt?“

„Ganz egal; schweig du nur still!“

„Aber das geht doch nicht, daß ich immer stillschweige, Marja Alexandrowna!“

„Im Notfalle gib eine einsilbige Antwort; sage zum Beispiel: ‚Hm!‘ oder etwas Ähnliches, um zu zeigen, daß du ein kluger Mensch bist und nachdenkst, bevor du antwortest.“

„Hm!“

„Versteh mich recht! Ich werde dich hinbringen und sagen, du hättest von der Ankunft des Fürsten gehört und seiest, ganz entzückt über seinen Besuch, sofort herbeigeeilt, um ihm deinen Respekt zu bezeigen und ihn auf das Gut einzuladen; hast du verstanden?“

„Hm!“

„Jetzt sollst du nicht ‚hm‘ sagen, Dummkopf! Mir sollst du antworten.“

„Gut, Mütterchen; es wird alles nach deinem Willen geschehen; aber warum soll ich denn den Fürsten einladen?“

„Was, was? Willst du schon wieder selbst denken? Was geht es dich an, warum du das tun sollst? Wie kannst du dich unterstehen, danach zu fragen?“

„Aber ich muß darauf zurückkommen, Marja Alexandrowna: wie soll ich ihn denn einladen, wenn du mir befiehlst zu schweigen?“

„Ich werde für dich reden; du brauchst dich nur zu verbeugen, hörst du wohl? Nur zu verbeugen und den Hut in der Hand zu halten. Hast du verstanden?“

„Ja, ich habe es verstanden, Müt … Marja Alexandrowna.“

„Der Fürst ist sehr geistreich. Wenn er etwas sagt (mag er es auch nicht zu dir sagen), so antworte auf alles mit einem gutmütigen, heiteren Lächeln, hörst du?“

„Hm!“

„Schon wieder sagt er ‚hm’! Wenn du mit mir sprichst, sollst du nicht ‚hm‘ sagen. Antworte einfach und geradezu: hast du gehört oder nicht?“

„Ich habe es gehört, Marja Alexandrowna, ich habe es gehört; wie sollte ich es nicht gehört haben! Ich sage nur zur Übung ‚hm‘ wie du befohlen hast. Aber ich komme immer darauf zurück, Mütterchen: wie soll ich das machen: wenn der Fürst etwas sagt, dann soll ich ihn nach deinem Befehle ansehen und lächeln; aber wenn er mich nun etwas fragt, was dann?“

„Nein, was ist dieser Holzkopf schwer von Begriffen! Ich habe dir schon gesagt: halte den Mund! Ich werde an deiner Stelle antworten; du brauchst ihn nur anzusehen und zu lächeln.“

„Aber da wird er ja denken, daß ich stumm bin“, brummte Afanassi Matwejewitsch.

„Das wäre ja noch kein Unglück! Mag er das denken; dafür verbirgst du es vor ihm, daß du ein Dummkopf bist.“

„Hm … Na, aber wenn mich nun andere nach etwas fragen?“

„Es wird dich niemand fragen; es wird weiter niemand da sein. Sollte aber doch (was Gott verhüte!) jemand kommen und dich nach etwas fragen oder etwas zu dir sagen, dann antworte sofort mit einem sarkastischen Lächeln. Weißt du denn auch, was das ist: ein sarkastisches Lächeln?“

„Das ist ein geistreiches Lächeln, nicht wahr, Mütterchen?“

„Schwatz keinen Unsinn, Tölpel; ein geistreiches Lächeln! Wer wird von dir Dummrian ein geistreiches Lächeln verlangen? Ein spöttisches Lächeln, verstehst du? Ein spöttisches, geringschätziges Lächeln.“

„Ach, dieser Tölpel macht mir rechte Sorge!“ flüsterte Marja Alexandrowna vor sich hin. „Er legt es entschieden darauf an, mich mürbe zu machen! Es wäre wahrhaftig das beste, ihn gar nicht hinzubringen!“

Mit solchen Gedanken beschäftigt, steckte Marja Alexandrowna voll Unruhe und Unzufriedenheit fortwährend den Kopf aus dem Fenster der Schlittenkutsche hinaus und trieb den Kutscher zu Eile an. Die Pferde flogen nur so dahin; aber ihr erschien die Fahrt doch noch zu langsam. Afanassi Matwejewitsch saß schweigend in seiner Ecke und wiederholte in Gedanken seine Aufgaben. Endlich fuhr der Schlitten in die Stadt ein und hielt vor Marja Alexandrownas Hause.

Aber kaum war unsere Heldin auf die Stufen vor der Haustür hinausgesprungen, als sie plötzlich sah, daß ein zweispänniger, zweisitziger Verdeckschlitten bei dem Hause vorfuhr, eben der Schütten, in welchem Anna Nikolajewna Antipowa auszufahren pflegte. In dem Schlitten saßen zwei Damen. Die eine von ihnen war natürlich Anna Nikolajewna selbst und die andere Natalja Dmitrijewna, seit kurzem ihr intime Freundin und Anhängerin. Marja Alexandrowna bekam einen Todesschreck. Aber sie hatte noch nicht Zeit gehabt, einen Schrei auszustoßen, als noch ein anderer Schlitten vorfuhr, in dem offenbar noch mehr Besucherinnen saßen. Es erschollen freudige Ausrufe:

„Da sind Sie ja, Marja Alexandrowna! Und mit Afanassi Matwejewitsch zusammen! Sie sind wohl eben angekommen? Von wo denn? Wie gut sich das trifft! Wir wollten zu Ihnen, auf den ganzen Abend! Welch eine Überraschung!“

Die Besucherinnen hüpften aus den Schlitten und zwitscherten wie die Schwalben. Marja Alexandrowna traute ihren Augen und Ohren nicht.

„Hol euch der Teufel!“ dachte sie bei sich. „Das sieht wie eine Verschwörung aus! Das muß ich feststellen! Aber ihr sollt mich nicht überlisten, ihr Klatschbasen … Wartet nur!“