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Kapitel VII

Aber Marja Alexandrowna war von den Eingebungen ihres Genies ganz begeistert. Sie überdachte einen großen, kühnen Plan. Ihre Tochter an einen schwerreichen Mann, einen Fürsten und Krüppel, ohne daß es jemand merkte, unter Benutzung der Geistesschwäche und Hilflosigkeit ihres Gastes zu verheiraten, sie auf diebische Weise mit ihm zu verheiraten, wie sich Marja Alexandrownas Feinde ausdrücken würden: Das war nicht nur kühn, sondern geradezu verwegen. Allerdings war das Projekt vorteilhaft; aber im Falle des Mißlingens bedeckte sich seine Erfinderin mit arger Schande. Marja Alexandrowna wußte das; aber sie ließ den Mut nicht sinken. „Aus was für Fährlichkeiten habe ich mir nicht schon mit heiler Haut herausgeholfen!“ hatte sie zu Sinaida gesagt, und das war die Wahrheit. Was wäre sie denn auch sonst für eine Heldin gewesen!

Unstreitig hatte dieses ganze Unternehmen einige Ähnlichkeit mit Straßenraub; aber Marja Alexandrowna ließ sich auch das nicht allzusehr anfechten. In dieser Beziehung hatte sie einen erstaunlich richtigen Gedanken: „Wenn sie erst getraut sind, können sie nicht mehr geschieden werden“, ein einfacher Gedanke, der aber durch die Vorstellung so außerordentlicher Vorteile so viel Verlockendes für die Phantasie hatte, daß Marja Alexandrowna bei der bloßen Vorstellung dieser Vorteile zu zittern anfing und am ganzen Körper ein Kribbeln wie von Ameisen verspürte. Überhaupt befand sie sich in gewaltiger Aufregung und saß in ihrer Schlittenkutsche wie auf Nadeln. Als geniale Frau mit unzweifelhafter schöpferischer Begabung hatte sie bereits ihren Aktionsplan entworfen. Aber dieser Plan war nur so in großen Zügen, nur so en grand fertig und schwebte ihr nur erst unklar vor. Es waren noch eine Unmenge Einzelheiten zu erwägen, und sie mußte sich auf vielerlei unvorhergesehene Fälle gefaßt machen. Aber Marja Alexandrowna besaß ein starkes Selbstvertrauen: Sie ließ sich nicht durch die Furcht vor einem Mißlingen aufregen, o nein! Sie wünschte weiter nichts als recht bald anzufangen, möglichst schnell den Kampf zu beginnen. Ungeduld, eine edle Ungeduld quälte sie bei dem Gedanken an die möglichen Hemmnisse und Verzögerungen. Aber da wir die Hemmnisse erwähnt haben, so bitten wir um die Erlaubnis, unsern Gedanken ein wenig erläutern zu dürfen. Die hauptsächliche Gefahr ahnte und erwartete Marja Alexandrowna von seiten ihrer edlen Mitbürger, der Einwohner von Mordassow, und besonders von seiten derjenigen Mordassower Damen, die die vornehme Gesellschaft bildeten. Sie wußte aus Erfahrung, wie maßlos sie von diesen gehaßt wurde. Sie wußte zum Beispiel bestimmt, daß man in der Stadt im gegenwärtigen Augenblicke vielleicht schon alle ihre Absichten kannte, obgleich noch niemand zu jemandem etwas darüber gesagt hatte. Sie wußte aus wiederholter trauriger Erfahrung, daß es kein noch so geheimes Begebnis in ihrem Hause gab, das, wenn es sich am Morgen zugetragen hatte, nicht schon am Abend jedem Marktweibe und jedem Ladendiener bekannt gewesen wäre. Allerdings ahnte Marja Alexandrowna diese Gefahr bis jetzt nur; aber solche Ahnungen hatten sie noch nie getäuscht. Sie täuschten sie auch jetzt nicht. Wir setzen dasjenige hierher, was sich tatsächlich ereignet hatte, und was sie noch nicht mit Bestimmtheit wußte. Um Mittag, das heißt genau drei Stunden nach der Ankunft des Fürsten in Mordassow, hatten sich in der Stadt seltsame Gerüchte verbreitet. Von wo sie ihren Ausgang genommen hatten, ist unbekannt; aber sie verbreiteten sich fast momentan. Alle begannen auf einmal einer dem andern zu versichern, daß Marja Alexandrowna bereits ihrer Sinaida, obwohl diese keine Mitgift bekomme und schon dreiundzwanzig Jahre alt sei, den Fürsten zum Manne verschafft habe; Mosgljakow habe den Laufpaß bekommen, und alles sei schon eine vollständig beschlossene und abgemachte Sache. Was war die Ursache dieser Gerüchte? Kannten alle Marja Alexandrowna wirklich bis zu dem Grade, daß sie sofort auf den Kernpunkt ihrer geheimsten Gedanken und Ideale verfielen? Weder der Umstand, daß ein solches Gerücht mit der gewöhnlichen Ordnung der Dinge unvereinbar war, da derartige Angelegenheiten sich nur sehr selten in Zeit von einer einzigen Stunde abmachen lassen, noch auch der augenscheinliche Mangel an einer greifbaren Unterlage für eine solche Nachricht, da niemand etwas über ihren Ursprung hatte in Erfahrung bringen können: nichts vermochte die Mordassower von ihrer Meinung abzubringen. Das Gerücht wuchs mit ungewöhnlicher Schnelligkeit heran und schlug immer festere Wurzeln. Das allererstaunlichste war, daß es sich gerade zu derselben Zeit zu verbreiten anfing, als Marja Alexandrowna jene (vorhin berichtete) Unterredung mit Sinaida über eben diesen Gegenstand erst begann. Eine so feine Nase haben die Provinzler! Der Instinkt der Neuigkeitskrämer in der Provinz grenzt manchmal an das Wunderbare, und das hat natürlich seine Gründe. Es beruht dies darauf, daß sie einander aus größter Nähe, mit dem lebhaftesten Interesse und viele Jahre lang studieren. Jeder Provinzler lebt sozusagen unter einer Glasglocke. Es ist schlechterdings keine Möglichkeit vorhanden, irgend etwas vor den verehrten Mitbürgern geheimzuhalten. Sie kennen einen auswendig und wissen sogar das, was man selbst von sich nicht weiß. Der Provinzler müßte, wie man meinen sollte, schon von Natur ein Psychologe und Herzenskenner sein. Dies ist der Grund, weshalb ich mich manchmal aufrichtig gewundert habe, wenn ich in der Provinz statt der Psychologen und Herzenskenner sehr häufig außerordentlich viele Esel antraf. Aber dies nur beiläufig; das ist ein Gedanke, der nicht hierher gehört. Die Nachricht wirkte wie ein Donnerschlag. Eine Verheiratung mit dem Fürsten erschien allen dermaßen vorteilhaft und glänzend, daß nicht einmal jemandem die seltsame Seite der Sache auffiel. Wir merken hier noch einen Umstand an: Sinaida wurde fast noch mehr gehaßt als Marja Alexandrowna; warum, das ist schwer zu sagen. Vielleicht war zum Teil Sinaidas Schönheit der Grund davon. Vielleicht auch der Umstand, daß Marja Alexandrowna doch wenigstens von demselben Schlage war wie alle Mordassower, desselben Geistes Kind wie sie. Hätte sie die Stadt verlassen, wer weiß, man würde das vielleicht bedauert haben. Durch die Dinge, die sie fortwährend anstellte, brachte sie Leben in die Gesellschaft. Ohne sie wäre es langweilig gewesen. Im Gegensatze zu ihr benahm sich Sinaida so, als ob sie in den Wolken lebte und nicht in der Stadt Mordassow. Sie war von anderer Art als diese Leute, nicht ihresgleichen und betrug sich, vielleicht ohne es selbst zu bemerken, ihnen gegenüber mit unerträglichem Hochmute! Und auf einmal sollte nun eben diese Sinaida, über die schon skandalöse Geschichten im Umlauf waren, diese hochmütige, stolze Sinaida, eine Millionärin und Fürstin werden und in die vornehmste Gesellschaft eintreten! In zwei Jahren, wenn sie würde Witwe geworden sein, würde sie einen Herzog, vielleicht sogar einen General heiraten: womöglich gar einen Gouverneur (und es traf sich gerade, daß der Gouverneur von Mordassow Witwer war und ein besonderes Tendre für das weibliche Geschlecht hatte). Dann würde sie die vornehmste Dame in der Gouvernementsstadt sein, und selbstverständlich war schon allein dieser Gedanke unerträglich, und niemals hatte eine Nachricht eine solche Empörung in Mordassow hervorgerufen wie die Nachricht von Sinaidas Verheiratung mit dem Fürsten. Sofort erhob sich ein Wutgeschrei von allen Seiten. Man schrie, das sei eine Sünde, ja eine Gemeinheit; der alte Mann habe nicht mehr seinen Verstand; er sei unter Ausnutzung seiner Geistesschwäche betrogen, hinters Licht geführt, übertölpelt worden; man müsse ihn aus diesen blutgierigen Krallen retten; das sei ja geradezu Räuberei, eine ganz unmoralische Handlung; und schließlich, inwiefern seien denn andere junge Mädchen schlechter als Sinaida? Es könnten doch auch andere junge Mädchen mit genau demselben Rechte den Fürsten heiraten. Daß in dieser erregten Weise geredet wurde, konnte Marja Alexandrowna einstweilen nur vermuten; aber für sie genügte auch das schon. Sie wußte bestimmt, daß alle, aber auch entschieden alle, mit dem größten Eifer das Mögliche und das Unmögliche tun würden, um ihr bei der Ausführung ihres Planes hinderlich zu sein. Wollten sie doch jetzt den Fürsten mit Beschlag belegen, so daß es beinah einen Kampf kosten würde, ihn wieder zurückzuholen. Und schließlich, wenn es ihr auch gelang, des Fürsten wieder habhaft zu werden und ihn zurückzubringen, so konnte sie ihn doch nicht dauernd an der Kette halten. Und wer bürgte dafür, daß nicht gleich heute, nach zwei Stunden, die sämtlichen Mordassower Damen in corpore bei ihr im Salon erschienen, unter einem derartigen Vorwande, daß man sie nicht zurückweisen konnte? Und wenn sie sie nicht zur Tür hereinließe, so war ihnen zuzutrauen, daß sie durch das Fenster hereinkamen: Das erscheint fast als ein Ding der Unmöglichkeit, war aber doch schon in Mordassow vorgekommen. Kurz, es war keine Stunde, nicht die geringste Spanne Zeit zu verlieren, und dabei war das Werk noch nicht einmal begonnen. Auf einmal blitzte in Marja Alexandrownas Kopfe ein genialer Gedanke auf und reifte sofort heran. Von dieser neuen Idee werden wir nicht unterlassen am richtigen Platze zu reden. Jetzt wollen wir nur sagen, daß in diesem Augenblicke unsere Heldin voll ingrimmiger Begeisterung durch die Straßen von Mordassow flog, sogar zu wirklichem Kampfe entschlossen, wenn sich ein solcher zur Wiedergewinnung des Fürsten als notwendig herausstellen sollte. Sie wußte noch nicht, wie sich das gestalten und wo sie ihn treffen würde; aber dafür wußte sie bestimmt, daß eher ganz Mordassow in die Erde versinken würde, als daß auch nur ein Jota von ihren jetzigen Plänen unausgeführt bliebe.

Der erste Schritt gelang auf die denkbar beste Weise. Sie bekam den Fürsten auf der Straße zu fassen und brachte ihn zu sich zum Mittagessen. Wenn jemand fragen sollte, auf welche Weise es ihr trotz aller Ränke ihrer Feindinnen gelungen sei, ihren Willen durchzusetzen und der bösen Anna Nikolajewna das Nachsehen zu lassen, so muß ich erwidern, daß ich eine solche Frage geradezu als eine Beleidigung für Marja Alexandrowna ansehe. Sie sollte über so eine Anna Nikolajewna Antipowa nicht den Sieg davongetragen? Sie arretierte den Fürsten ganz einfach, als dieser bereits bei dem Hause ihrer Rivalin vorfuhr, und ohne sich um irgend etwas zu kümmern, auch nicht um die Einwendungen Mosgljakows selbst, der einen Skandal scheute, zwang sie den alten Mann, in ihre eigene Kutsche umzusteigen. Eben dadurch zeichnete sich Marja Alexandrowna vor ihren Rivalinnen aus, daß sie in kritischen Augenblicken selbst vor einem Skandal nicht zurückschrak, indem sie den Satz, daß der Erfolg alles rechtfertige, als eine unumstößliche Wahrheit betrachtete. Selbstverständlich leistete der Fürst keinen nennenswerten Widerstand, vergaß nach seiner Gewohnheit alles sehr bald und war dann sehr zufrieden. Beim Mittagessen schwatzte er ununterbrochen, war außerordentlich vergnügt, brachte Bonmots vor, machte Witze und erzählte Anekdoten, die er aber nicht beendete, oder bei denen er von der einen in eine andere hineingeriet, ohne es selbst zu merken. Bei Natalja Dmitrijewna hatte er drei Gläser Champagner getrunken. Beim Mittagessen trank er weiter und wurde ganz schwindlig; hier schenkte ihm Marja Alexandrowna immer selbst ein. Das Mittagessen war sehr anständig. Der entsetzliche Nikitka hatte es nicht verdorben. Die Hausfrau belebte die Tafelrunde durch ihre bezaubernde Liebenswürdigkeit. Aber im Gegensatz dazu waren die übrigen Anwesenden ungewöhnlich langweilig. Sinaida war von einer feierlichen Schweigsamkeit. Mosgljakow fühlte sich offenbar unbehaglich und aß wenig. Er war mit irgendwelchen Gedanken beschäftigt, und da das bei ihm nur ziemlich selten vorkam, so beunruhigte sich Marja Alexandrowna sehr darüber. Nastasja Petrowna saß mit mürrischer Miene da und machte Mosgljakow sogar heimlich sonderbare Zeichen, die dieser aber gar nicht bemerkte. Ohne die bezaubernd liebenswürdige Wirtin hätte das Diner mit einem Leichenschmause Ähnlichkeit gehabt.

Aber dabei befand sich Marja Alexandrowna in einer unaussprechlichen Aufregung. Schon allein Sinaida flößte ihr durch ihre traurige Miene und durch ihre verweinten Augen eine gewaltige Angst ein. Und da war noch eine andere Schwierigkeit: Es war die größte Eile vonnöten; aber dieser „verdammte Mosgljakow“ saß wie ein Klotz da, der sich um nichts kümmert und nur stört! Man konnte doch eine solche Sache wahrhaftig nicht in seiner Gegenwart in Angriff nehmen! Marja Alexandrowna erhob sich vom Tische in schrecklicher Unruhe. Wie groß war daher ihr Erstaunen und ihr freudiger Schreck, wenn man sich so ausdrücken kann, als Mosgljakow gleich nach Aufhebung der Tafel selbst zu ihr trat und auf einmal ganz unerwartet erklärte, er müsse (selbstverständlich zu seinem größten Bedauern) notwendigerweise sogleich aufbrechen.

„Wo wollen Sie denn hin?“ fragte ihn, ebenfalls mit außerordentlichem Bedauern, Marja Alexandrowna.

„Ja, sehen Sie, Marja Alexandrowna“, begann Mosgljakow mit einer gewissen Unruhe und sogar einigermaßen verlegen, „es ist mir da eine sehr wunderliche Geschichte passiert. Ich weiß nicht einmal recht, wie ich es Ihnen sagen soll … ich bitte Sie inständig, mir einen Rat zu geben!“

„Aber was gibt es denn?“

„Mein Pate Borodujew, Sie kennen ihn ja, der Kaufmann, der begegnete mir heute. Der alte Mann ist recht böse auf mich; er macht mir Vorwürfe und sagt, ich sei stolz geworden. Ich bin jetzt schon zum dritten Male in Mordassow und habe mich bei ihm noch nie blicken lassen. ‚Komm doch heute zum Tee zu mir!‘, sagte er. Jetzt ist es gerade vier Uhr, und seinen Tee trinkt er nach alter Mode immer zwischen vier und fünf, wenn er von seinem Mittagsschläfchen aufwacht. Was soll ich nun tun? Es ist ja freilich keine vornehme Bekanntschaft, Marja Alexandrowna; aber bedenken Sie andrerseits: Er hat ja meinem verstorbenen Vater aus der Not geholfen, als der staatliches Geld verspielt hatte. Aus diesem Anlaß ist er damals auch mein Pate geworden. Wenn meine Heirat mit Sinaida Afanasjewna zustande kommt, so habe ich nur hundertfünfzig Seelen. Aber er besitzt eine Million Rubel oder, wie die Leute sagen, sogar noch mehr. Er hat keine Kinder. Wenn er Geschmack an mir findet, hinterläßt er mir wohl testamentarisch so ein hunderttausend Rubel. Und er ist siebzig Jahre alt, bedenken Sie das nur!“

„Ach, mein Gott, was reden Sie da noch? Warum zaudern Sie?“ rief Marja Alexandrowna, die kaum einen Versuch machte, ihre Freude zu verbergen. „Fahren Sie hin, fahren Sie hin! Damit ist nicht zu spaßen. Darum sah ich auch beim Mittagessen, daß Sie so still waren! Fahren Sie hin, mon ami, fahren Sie hin! Sie hätten ihm schon heute vormittag einen Besuch machen und zeigen sollen, daß Sie seine Freundlichkeit zu schätzen, zu würdigen wissen! Aber ach, die heutige Jugend, die heutige Jugend!“

„Aber Sie selbst, Marja Alexandrowna“, rief Mosgljakow erstaunt, „Sie selbst haben mir doch wegen dieser Bekanntschaft Vorhaltungen gemacht! Sie sagten ja, er wäre ein ungebildeter Mensch, so ein langbärtiger Kaufmann und stehe mit Schankwirten, Winkeladvokaten und ähnlichem Gesindel auf derselben Stufe?“

„Ach, mon ami! Was redet man nicht alles so unbedacht hin! Auch ich kann mich ja doch irren; ich bin keine Heilige. Ich erinnere mich übrigens nicht daran; aber vielleicht war ich damals schlecht aufgelegt … Und dann bewarben Sie sich damals auch noch nicht um meine liebe Sinaida … Das ist ja freilich von meiner Seite Egoismus; aber jetzt muß ich unwillkürlich die Sache von einem anderen Gesichtspunkte aus ansehen und — welche Mutter kann mir in diesem Falle einen Vorwurf machen? Fahren Sie hin; zaudern Sie keinen Augenblick! Bringen Sie auch den Abend bei ihm zu! Und hören Sie: Bringen Sie das Gespräch auch auf mich! Sagen Sie ihm, daß ich ihn hochschätze, ihn liebe, ihn verehre; aber mächen Sie das recht geschickt, recht gut! Ach, mein Gott! Daß mir das hat entfallen können! Ich hätte von selbst darauf kommen müssen, Ihnen diesen Rat zu geben!“

„Sie geben mir das Leben wieder, Marja Alexandrowna!“ rief Mosgljakow ganz entzückt. „Ich werde jetzt Ihren Rat in seinem ganzen Umfange befolgen, das schwöre ich Ihnen! Und ich hatte geradezu Angst gehabt, es Ihnen zu sagen! … Nun, dann leben Sie wohl; ich will mich auf den Weg machen! Entschuldigen Sie mich bei Sinaida Afanasjewna! ich komme aber jedenfalls wieder her …“

„Ich segne Sie, mon ami! Vergessen Sie nur nicht, von mir mit ihm zu reden! Er ist wirklich ein sehr liebenswürdiger alter Mann. Ich habe schon lange meine Meinung über ihn geändert … Ich habe übrigens immer an ihm dieses altrussische, unverstellte Wesen gern gemocht … Au revoir, mon ami, au revoir!“

„Wie gut, daß ihn der Teufel wegführt! Oder nein, Gott selbst steht mir bei!“ dachte sie, ganz außer sich vor Freude.

Pawel Alexandrowitsch ging in das Vorzimmer und zog sich schon den Pelz an, als plötzlich Nastasja Petrowna vor ihm stand. Sie hatte auf ihn gewartet.

„Wo wollen Sie hin?“ fragte sie, ihn am Arme festhaltend. „Zu Borodujew will ich, Nastasja Petrowna! Er ist mein Pate; er hat mich aus der Taufe gehoben … Er ist ein reicher alter Mann und wird mir etwas hinterlassen; da muß ich ihm ein bißchen um den Bart gehen! …“

Pawel Alexandrowitsch befand sich in vorzüglicher Laune. „Zu Borodujew! Na, dann geben Sie nur die Hoffnung auf die Braut auf!“ sagte Nastasja Petrowna in scharfem Tone. „Was soll das heißen: die Hoffnung aufgeben?“

„Nun ja! Sie dachten, Sie hätten sie schon sicher! Aber nun soll der Fürst sie zur Frau bekommen. Ich habe es selbst gehört.“

„Der Fürst? Erbarmen Sie sich, Nastasja Petrowna!“

„Was ist da zu erbarmen! Haben Sie Lust, es selbst zu sehen und zu hören? Legen Sie Ihren Pelz wieder ab, und kommen Sie mit!“

Ganz betäubt warf Pawel Alexandrowitsch seinen Pelz wieder hin und ging auf den Fußspitzen hinter Nastasja Petrowna her. Sie führte ihn in eben jene Rumpelkammer, wo sie am Vormittag durch das Schlüsselloch gesehen und gehorcht hatte.

„Aber ich bitte Sie, Nastasja Petrowna, ich verstehe schlechterdings nicht, was Sie da sagen! …“

„Sie werden es schon verstehen, wenn Sie sich an das Schlüsselloch bücken und horchen. Die Komödie wird gewiß gleich anfangen.“

„Was für eine Komödie?“

„Ssst! Reden Sie nicht so laut! Die Komödie besteht darin, daß man Sie einfach betrügt. Vorhin, als Sie mit dem Fürsten weggefahren waren, hat Marja Alexandrowna eine ganze Stunde lang Sinaida beredet, diesen Fürsten zu heiraten; sie sagte, es sei nichts leichter, als ihn zu übertölpeln und zum Heiraten zu bringen, und setzte ihrer Tochter dabei solche Kniffe und Finten auseinander, daß mir ordentlich übel wurde. Ich habe von hier aus alles mit angehört. Sinaida hat sich einverstanden erklärt. Und wie schlecht die beiden von Ihnen gesprochen haben! In deren Augen sind Sie einfach ein Dummkopf, und Sinaida hat geradezu gesagt, sie würde Sie um keinen Preis heiraten. Und ich bin auch eine rechte Närrin gewesen! Wollte mir eine rote Schleife anstecken! Aber so horchen Sie doch, horchen Sie doch!“

„Aber das ist ja eine ganz gottlose Hinterlist, wenn es sich so verhält!“ flüsterte Pawel Alexandrowitsch und blickte Nastasja Petrowna mit höchst dummem Gesichte an.

„So horchen Sie doch nur, dann werden Sie noch ganz andere Dinge zu hören bekommen.“

„Wo soll ich denn horchen?“

„Bücken Sie sich nur; da durchs Schlüsselloch …“

„Aber, Nastasja Petrowna, ich … ich bin unfähig, jemanden zu behorchen …“

„Ach, was ist das für eine Idee! Lassen Sie hier mal Ehre Ehre sein, lieber Freund; Sie sind einmal hergekommen, nun horchen Sie auch nur!“

„Aber ich möchte doch …“

„Wenn Sie dazu wirklich nicht fähig sind, dann lassen Sie sich in Gottes Namen betrügen! Ich habe mit Ihnen Mitleid gehabt, und nun spielen Sie den Stolzen. Was habe ich davon? Um meinetwillen tue ich es ja doch nicht. Ich bleibe sowieso nicht bis zum Abend hier!“

Pawel Alexandrowitsch überwand seine Abneigung und bückte sich zum Schlüsselloch hinab. Sein Herz schlug heftig; das Blut pochte ihm in den Schläfen. Er wußte kaum, was mit ihm vorging.