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Giacomo Leopardi, Gedanken. Deutsch von Richard Peters. Mit einem Geleitwort von Theodor Lessing. Hamburg-Bergedorf: Fackelreiter-Verlag 1928. 84 S.

Um den Deutschen diesen als Hymniker wie als Prosaisten gleich spröden Dichter nahezubringen, hat man immer wieder zu dem Vergleich mit Hölderlin gegriffen. In der Tat tritt in der Vereinigung dieser Namen zutage, was in beiden Dichtern sich tief verwandt ist: die schmerzhafte Lauterkeit ihres Lebens und Schaffens. Sie brach mit Strahlenspeeren aus ihnen heraus, um in der ihnen anerschaffenen Aura der Verlassenheit doppelt zu flammen.

Leopardi ist 1837 im Alter von neununddreißig Jahren gestorben, zu einer Zeit also, da Hölderlins Geist schon lange erloschen war. Keiner von beiden hat im Schaffen das Mannesalter erreicht. Sie zählen zu denen, in deren engerem Lebensraum Erfüllen und Planen großartiger und gefährlicher aufeinandergetürmt sind als sonst. Nichts selbstverständlicher als daß das Leben der Jugend, das in ihnen Gestalt gewann, der saturierten Geschichts- und Kunstbetrachtung des 19. Jahrhunderts ganz unzugänglich geblieben ist und sie veranlaßt hat, hier ganz besonders beharrlich mit ihren Schlagworten aufzutrumpfen. Bei Hölderlin spricht sie von Idealismus ohne gewahr zu werden, daß nur ein deutsches Bürgertum, das seinem utopischen Bilde von Hellas – nicht ähnlich, aber – zugeneigt gewesen wäre, wie die französische Bourgeoisie einem Idealbild des Römertums, die Jahrhundertwende hätte bestehen können, ohne sich zu verlieren. An Leopardi tut die gleichen Dienste – sein Schaffen ins Abstrakte zu verwandeln – das Kennwort des »Pessimismus«.

Nun wird das Jugendalter eines wahrhaft bedeutenden Menschen am ehesten eine düstere Welt aus sich herausstellen, und Leopardi hat seiner Jugend immer die Treue gehalten. Aber das geschah nicht nur in Elegien, sondern in einer prosaischen Produktion voll satirischer Entschiedenheit und revoltierender Bitternis. In seinem großen Werk über den Dichter hat Voßler dafür die bezeichnendsten Worte gefunden. »Ihrer Lebensführung nach waren beide, Hölderlin und Leopardi, arme, hilflose Menschen, die man von der Wiege bis ins Grab hat schonen und gängeln müssen. Aber die geistige Stellungnahme zum natürlichen Lauf der Welt ist bei Leopardi mehr und mehr eine Auflehnung, bei Hölderlin die Ergebenheit. Der eine liebt es, sich innerlich zu sehen und darzustellen als einen Zweifler, Spötter, Verächter und Empörer: Bruto minore; der andere als einen Frommen, Gläubigen und Stifter einer großen Religion: Empedokles.« Dem kontemplativen und resignierten Typus des Pessimisten stellt in dem Dichter sich ein anderer: der paradoxe Praktiker, der ironische Engel entgegen. Der schlägt vielleicht erst in der Totenmaske (im Buche abgebildet) ganz die Augen auf. Denn in der schlechtesten Welt das Rechte durchsetzen, ist bei ihm nicht nur Sache des Heroismus, sondern der Ausdauer und des Scharfsinns, der Verschlagenheit und der Neugier. Es ist dies todesmutige Experimentieren mit dem Explosivstoffe »Welt«, was die »Pensieri« so hinreißend macht. Sie sind ein Handorakel, eine Kunst der Weltklugheit für Rebellen. In der Tat, ihr greller, zerreißender Moralismus steht niemandem näher als dem Spanier Gracian. Nur hat, was Leopardi in der Einsamkeit von Recanati und Florenz sich abgerungen, nicht die Gelassenheit und Fülle, die Gracian dem Hofleben dankte. Manchen dieser Maximen bleibt etwas Altkluges. Dafür sind sie voll schöner Reflexe dieser einsamen Jugend, gedankenvollen Zitaten aus antiken Autoren, die oft des Dichters einziger Umgang waren.

Sainte-Beuve hat an einer berühmten Stelle die intelligence-miroir und die intelligence-glaive einander gegenübergestellt. Das Schwert ist diesem Jüngling manchmal entfallen. Aber er hielt stand, gepanzert. In dieser Rüstung spiegelt sich die Welt, verzerrt und golden: intelligence-cuirasse.


Das Nachwort, das Dr. Richard Peters zu seiner Übersetzung geschrieben hat, enthält einen Hinweis auf die wichtigsten bisher in deutscher Sprache veröffentlichten Leopardi-Übersetzungen. So verdienstlich das ist, so bedauerlich, daß er gerade die erste Übersetzung der »Pensieri« unerwähnt läßt, zumal es sich dabei nicht um ein vergilbtes Büchlein aus dem vorigen Jahrhundert handelt, das seiner Aufmerksamkeit zur Not hätte entgehen können, sondern um die zwar unvollständige aber verdienstliche Ausgabe, die Gustav Glück und Alois Trost im Jahr 1922 als Band 6288 der Reclamschen Universal-Bibliothek haben erscheinen lassen. Gerade dieser Bibliothek sollte ein deutscher Literat bei jeder Gelegenheit die Ehre geben, die ihr gebührt.