Zum Hauptinhalt springen

Brechts Dreigroschenroman1

Acht Jahre

Zwischen Dreigroschenoper und Dreigroschenroman liegen acht Jahre. Das neue Werk hat sich aus dem alten entwickelt. Aber das geschah nicht in der versponnenen Weise, in der man sich das Reifen des Kunstwerks gewöhnlich vorstellt. Denn diese Jahre waren politisch entscheidende. Ihre Lektion hat der Verfasser sich zu eigen gemacht, ihre Untaten hat er beim Namen genannt, ihren Opfern hat er ein Licht aufgesteckt. Er hat einen satirischen Roman großen Formats geschrieben.

Zu diesem Buch hat er weit ausgeholt. Weniges ist von den Grundlagen, weniges von der Handlung der Oper geblieben. Nur die Hauptpersonen sind noch dieselben. Sie waren es ja, die vor unseren Augen begannen in diese Jahre hineinzuwachsen und ihrem Wachstum so blutig Platz schufen. Als die Dreigroschenoper zum ersten Mal in Deutschland über die Bühne ging, war ihm der Gangster noch ein fremdes Gesicht. Inzwischen hat er sich dort heimisch gemacht und die Barbarei eingerichtet. Erst spät weist ja auf Seiten der Ausbeuter die Barbarei jene Drastik auf, die das Elend der Ausgebeuteten schon zu Beginn des Kapitalismus kennzeichnet. Brecht hat es mit beiden zu tun; er zieht darum die Epochen zusammen und weist seinen Gangstertypen Quartier in einem London an, das den Rhythmus und das Aussehen der Dickenszeit hat. Die Umstände des Privatlebens sind die früheren, die des Klassenkampfes die heutigen. Diese Londoner haben kein Telephon, aber ihre Polizei hat schon Tanks. Am heutigen London, hat man gesagt, zeigt sich, daß es für den Kapitalismus gut ist, wenn er sich eine gewisse Rückständigkeit bewahrt. Dieser Umstand hat für Brecht seinen Wert gehabt. Die schlechtgelüfteten Kontore, feuchtwarmen Badeanstalten, nebligen Straßen bevölkert er mit Typen, die in ihrem Auftreten oft altvaterisch, in ihren Maßnahmen immer modern sind. Solche Verschiebungen gehören zur Optik der Satire. Brecht unterstreicht sie durch die Freiheiten, die er sich mit der Topographie von London genommen hat. Das Verhalten seiner Figuren, das er der Wirklichkeit abgelauscht hat, ist, so darf sich der Satiriker sagen, um vieles unmöglicher als ein Brobdingnag oder London, das er in seinem Kopf erbaut haben mag.



  1. Bertolt Brecht, Dreigroschenroman. Amsterdam: Verlag Albert de Lange 1934. 494 S.