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Erhaben

Erhaben. „Das Erhabene rührt; das Schöne reizt.“ Das Erhabene ist verschiedener Art. „Das Gefühl desselben ist bisweilen mit einigem Grausen, oder auch Schwermut, in einigen Fällen bloß mit ruhiger Bewunderung, und in noch anderen mit einer über einen erhabenen Plan verbreiteten Schönheit begleitet. Das erstere will ich das Schreckhafterhabene, das zweite das Edle, und das dritte das Prächtige nennen.“ „Das Erhabene muß jederzeit groß, das Schöne kann auch klein sein. Das Erhabene muß einfältig, das Schöne kann geputzt und geziert sein“, Schön u. Erh. 1. Abs. (VIII 7). „Erhabene Eigenschaften flößen Hochachtung, schöne aber Liebe ein“, ibid. 2. Abs. (VIII 9). „Die Empfindungen des Erhabenen spannen die Kräfte der Seele stärker an und ermüden daher eher“, ibid. 1. Anm. (VIII 9). „Bezwingung seiner Leidenschaften durch Grundsätze ist erhaben.“ „In moralischen Eigenschaften ist wahre Tugend allein erhaben“, ibid. 2. Abs. (VIII 13 f.). Ein Gefühl für das Erhabene hat besonders der Melancholiker, ibid. (VIII 19).

Wie das Schöne gefällt das Erhabene „für sich selbst“ und es setzt wie dieses nur ein „Reflexionsurteil“ voraus; das Wohlgefallen haftet auch hier an keinem bestimmten Begriffe. Während aber das Schöne der Natur die in der Begrenzung bestehende Form des Gegenstandes betrifft, ist das Erhabene auch an einem „formlosen“ Gegenstande zu finden, sofern „Unbegrenztheit an ihm oder durch dessen Veranlassung vorgestellt und doch Totalität derselben hinzugedacht wird: so daß das Schöne für die Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffes, das Erhabene aber eines dergleichen Vernunftbegriffes genommen zu werden scheint. Also ist das Wohlgefallen dort mit der Vorstellung der Qualität, hier aber der Quantität verbunden.“ Das Gefühl des Erhabenen ist ferner eine Lust, welche „nur indirekt entspringt, nämlich so, daß sie durch das Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte und darauf sogleich folgenden desto stärkeren Ergießung derselben erzeugt wird, mithin als Rührung kein Spiel, sondern Ernst in der Beschäftigung der Einbildungskraft zu sein scheint. Daher es auch mit Reizen unvereinbar ist; und indem das Gemüt von dem Gegenstande nicht bloß angezogen, sondern wechselweise auch immer wieder abgestoßen wird, das Wohlgefallen am Erhabenen nicht sowohl positive Lust, als vielmehr Bewunderung oder Achtung enthält, d. i. negative Lust genannt zu werden verdient.“ Was das Gefühl des Erhabenen erregt, erscheint „der Form nach zwar zweckwidrig für unsere Urteilskraft, unangemessen unserem Darstellungsvermögen und gleichsam gewalttätig für die Einbildungskraft“, wird aber gleichwohl nur als um so erhabener beurteilt. Es ist unrichtig, einen Gegenstand der Natur erhaben zu nennen. „Wir können nicht mehr sagen, als daß der Gegenstand zur Darstellung einer Erhabenheit tauglich sei, die im Gemüte angetroffen werden kann; denn das eigentliche Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft, welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich darstellt, rege gemacht und ins Gemüt gerufen werden.“ Durch die Anschauung z. B. des stürmischen Meeres, dessen Anblick an sich „gräßlich“ ist, wird das Gemüt zu einem Gefühl gestimmt, welches selbst erhaben ist, „indem das Gemüt die Sinnlichkeit zu verlassen und sich mit Ideen, die höhere Zweckmäßigkeit enthalten, zu beschäftigen angereizt wird“. Das Erhabene zeigt nichts Zweckmäßiges in der Natur selbst an, sondern nur eine solche „in dem möglichen Gebrauche ihrer Anschauungen, um eine von der Natur ganz unabhängige Zweckmäßigkeit in uns selbst fühlbar zu machen“. „Zum Schönen der Natur müssen wir einen Grund außer uns suchen, zum Erhabenen aber bloß in uns und der Denkungsart, die in die Vorstellung der ersteren Erhabenheit hineinbringt“, KU § 23 (II 87 ff.). Das Gefühl des Schönen erhält das Gemüt in „ruhiger“ Kontemplation, das des Erhabenen aber in einer „Bewegung“, welche „subjektiv zweckmäßig“ ist. Wird sie durch die Einbildungskraft auf das Erkenntnisvermögen bezogen, so wird die Zweckmäßigkeit der gegebenen Vorstellung dem Objekte als eine „mathematische“ Stimmung der Einbildungskraft beigelegt, als „dynamische“ Stimmung aber, wenn jene Zweckmäßigkeit auf das Begehrungsvermögen bezogen wird, ibid. § 24 (II 90 f.).

Die Namenerklärung des Erhabenen ist: „Erhaben nennen wir das, was schlechthin groß ist“, was „über alle Vergleichung groß ist“. Der Maßstab der ästhetischen Größenbeurteilung, ist ein subjektiver und doch auf allgemeine Beistimmung Anspruch machender. Die bloße Größe des Gegenstandes erregt ein Wohlgefallen, das allgemein mitteilbar ist, und zwar ein Wohlgefallen nicht am Objekt, sondern an der „Erweiterung der Einbildungskraft“, die als subjektiv zweckmäßig empfunden wird. Erhaben ist „das, mit welchem in Vergleichung alles andere klein ist“. In der Natur ist alles Große, je nach der Vergleichung, klein, alles Kleine groß, es findet sich nichts Erhaben in den Sinnendingen. „Aber eben darum, daß in unserer Einbildungskraft ein Bestreben zum Fortschritte ins Unendliche, in unserer Vernunft aber ein Anspruch auf absolute Totalität als auf eine reelle Idee liegt, ist selbst jene Unangemessenheit unseres Vermögens der Größenschätzung der Dinge der Sinnenwelt für diese Idee die Erweckung des Gefühls eines übersinnlichen Vermögens in uns; und der Gebrauch, den die Urteilskraft von gewissen Gegenständen zum Behuf des letzteren (Gefühls) natürlicherweise macht, nicht aber der Gegenstand der Sinne ist schlechthin groß, gegen ihn aber jeder andere Gebrauch klein. Mithin ist die Geistesstimmung durch eine gewisse, die reflektierende Urteilskraft beschäftigende Vorstellung, nicht aber das Objekt erhaben zu nennen“, ibid. § 25 (II 91 ff.). Alle Schätzung von Größen (s. d.) in der Natur ist zuletzt ästhetisch, d. h. subjektiv bestimmt und unmittelbar in der Anschauung stattfindend. Es gibt für die ästhetische Größenschätzung ein Größtes; wird dieses als absolutes Maß, über das dem beurteilenden Subjekt kein größeres möglich ist, beurteilt, so führt es die Idee des Erhabenen bei sich. Je größer etwas ist, desto schwerer wird dessen „Zusammenfassung“ in der Einbildungskraft, die bald zu ihrem „Maximum“ gelangt, nämlich zum „ästhetisch-größten Grundmaße der Größenschätzung“. Hier besteht ein Gefühl der Unangemessenheit der Einbildungskraft für die Ideen eines Ganzen, um sie darzustellen, „worin die Einbildungskraft ihr Maximum erreicht und bei der Bestrebung, es zu erweitern, in sich selbst zurücksinkt, dadurch aber in ein rührendes Wohlgefallen versetzt wird“, ibid. § 26 (II 95 ff.). Die Vernunft fordert zu allen gegebenen Größen „Totalität, mithin Zusammenfassung in eine Anschauung“. Das Unendliche aber ist schlechthin groß; mit ihm verglichen ist alles klein. Es als ein Ganzes auch nur denken zu können, zeigt ein allen Maßstab der Sinne übersteigendes „übersinnliches Vermögen“ in uns an. „Erhaben ist also die Natur in derjenigen ihrer Erscheinungen, deren Anschauung die Idee ihrer Unendlichkeit bei sich führt. Dieses letztere kann nun nicht anders geschehen als durch die Unangemessenheit selbst der größten Bestrebung unserer Einbildungskraft in der Größenschätzung eines Gegenstandes.“ In der ästhetischen Größenschätzung führt die Größe eines Naturobjektes, an welcher die Einbildungskraft ihr ganzes Vermögen der Zusammenfassung fruchtlos verwendet, den Begriff der Natur auf ein „übersinnliches Substrat (welches ihr und zugleich unserem Vermögen zu denken zum Grunde liegt)“, welches über allen Maßstab der Sinne groß ist und die Gemütsstimmung in Schätzung des Gegenstandes als erhaben beurteilen läßt. Die Einbildungskraft stimmt hier mit der Vernunft und deren Ideen überein, ibid. (II 98 ff.). Das Gefühl des Erhabenen ist Achtung für unsere eigene Bestimmung (s. d.), für die „Überlegenheit der Vernunftbestimmung unserer Erkenntnisvermögen über das größte Vermögen der Sinnlichkeit“. „Das Gefühl des Erhabenen ist also ein Gefühl der Unlust, aus der Unangemessenheit der Einbildungskraft in der ästhetischen Größenschätzung zu der Schätzung durch die Vernunft, und eine dabei zugleich erweckte Lust, aus der Übereinstimmung eben dieses Urteils der Unangemessenheit des größten sinnlichen Vermögens mit Vernunftideen, sofern die Bestrebung zu denselben doch für uns Gesetz ist. Es ist nämlich für uns Gesetz (der Vernunft) und gehört zu unserer Bestimmung, alles, was die Natur als Gegenstand der Sinne für uns Großes enthält, in Vergleichung mit Ideen der Vernunft für klein zu schätzen; und was das Gefühl dieser übersinnlichen Bestimmung in uns rege macht, stimmt zu jenem Gesetze zusammen.“ Es ist subjektiv zweckmäßig, mithin Lust, jeden Maßstab der Sinnlichkeit den Ideen der Vernunft unangemessen zu finden. Die Bewegung des Gemütes gleicht hier einem „schnellwechselnden Abstoßen und Anziehen ebendesselben Objekts“. Einbildungskraft und Vernunft bringen durch ihren Widerstreit (Kontrast) Zweckmäßigkeit der Gemütskräfte hervor, nämlich ein Gefühl, daß wir reine selbständige Vernunft haben, ibid. § 27 (II 102 ff.). Die Begrenztheit unserer Einbildungskraft weckt das Bewußtsein der Unbegrenztheit unserer Vernunft mit deren Ideen des absoluten Ganzen, ein Bewußtsein unserer „Überlegenheit über die Natur selbst in ihrer Unermeßlichkeit“, ibid. (II 104 f.). So steht es mit dem „Mathematisch-Erhabenen“.

Das Erhabene ist „dynamisch“, wenn die Einbildungskraft auf das Begehrungsvermögen bezogen und die Zweckmäßigkeit der gegebenen Vorstellung als „dynamische Stimmung“ der Einbildungskraft dem Objekte beigelegt wird, ibid. § 24 (II 91). Dynamisch-erhaben ist „die Natur, im ästhetischen Urteile als Macht, die über uns keine Gewalt hat, betrachtet“. Sie wird hier als „Furcht erregend“ vorgestellt, als „furchtbar“, ohne daß man sich vor ihr fürchtet, weil man sich eben „in, Sicherheit“ befindet. Erhaben sind ragende Felsen, Gewitter, Vulkane, der empörte Ozean u. dgl., „weil sie die Seelenstärke über ihr gewöhnliches Mittelmaß erhöhen und ein Vermögen zu widerstehen von ganz anderer Art in uns entdecken lassen, welches uns Mut macht, uns mit der scheinbaren Allgewalt der Natur messen zu können“. Unsere physische Ohnmacht fühlend, werden wir uns unserer Kraft als vernünftig-sittliche Wesen bewußt, unsere Kraft (die nicht Natur ist) wird erweckt. Die Natur heißt hier erhaben, „weil sie die Einbildungskraft zur Darstellung derjenigen Fälle erhebt, in welchen das Gemüt die eigene Erhabenheit seiner Bestimmung, selbst über die Natur, sich fühlbar machen kann“, ibid. § 28 (II 105 ff.).

Die Einstimmigkeit der Urteile über das Erhabene setzt eine gewisse „Kultur“ nicht bloß der ästhetischen Urteilskraft, sondern auch der ihr zugrunde liegenden Erkenntnisvermögen voraus, eine Empfänglichkeit des Gemüts für (sittliche) Ideen, eine gewisse Ausbildung des moralischen Gefühls im Menschen, ibid. § 29 (II 110 ff.). — Das Erhabene besteht in der „Relation, worin das Sinnliche in der Vorstellung der Natur für einen möglichen übersinnlichen Gebrauch desselben als tauglich beurteilt wird“. — „Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt.“ Das Erhabene bereitet uns vor, etwas „wider unser (sinnliches) Interesse hochzuschätzen“, insbesondere das Sittengesetz, welches selbst ein Gefühl des Erhabenen erweckt. — Das Erhabene ist „ein Gegenstand (der Natur), dessen Vorstellung das Gemüt bestimmt, sich die Unerreichbarkeit der Natur als Darstellung von Ideen zu denken“. Die Vernunft bringt die obzwar vergebliche Bestrebung des Gemüts hervor, die Vorstellung der Sinne den Ideen angemessen zu machen. Diese Bestrebung und das Gefühl der Unerreichbarkeit der Idee durch die Einbildungskraft nötigt uns, subjektiv die Natur selbst in ihrer Totalität als Darstellung von etwas Übersinnlichem zu denken, ohne diese Darstellung objektiv zustande bringen zu können; denn das Unbedingte ist in der Sinnenwelt nicht zu finden, und die sinnlich gegebene Natur muß daher als „bloße Darstellung einer Natur an sich (welche die Vernunft in der Idee hat)“ betrachtet werden, ibid. Allgem. Anmerk. (II 113 ff.). Das Wohlgefallen am Erhabenen der Natur ist nur „negativ“ (II 116), es ist eine „Lust der vernünftelnden Kontemplation“, ibid. § 39 (II 142 f.).

„Das Erhabene (sublime) ist die ehrfurchterregende Großheit (magnitudo reverenda) dem Umfange oder dem Grade nach, zu dem die Annäherung (um ihm mit seinen Kräften angemessen zu sein) einladend, die Furcht aber, in der Vergleichung mit demselben in seiner eigenen Schätzung zu verschwinden, zugleich abschreckend ist ..., wobei, wenn man selbst in Sicherheit ist, Sammlung seiner Kräfte, um die Erscheinung zu fassen, und dabei Besorgnis, ihre Größe nicht erreichen zu können, Verwunderung (ein angenehmes Gefühl durch kontinuierliche Überwindung des Schmerzens) erregt wird.“ „Das Erhabene ist zwar das Gegengewicht, aber nicht das Widerspiel vom Schönen: weil die Bestrebung und der Versuch, sich zu der Fassung (apprehensio) des Gegenstandes zu erheben, dem Subjekt ein Gefühl seiner eigenen Größe und Kraft erweckt; aber die Gedankenvorstellung desselben in der Beschreibung oder Darstellung kann und muß immer schön sein.“ Das Erhabene ist nicht für den Geschmack (s. d.), sondern für das „Gefühl der Rührung“, Anthr. § 68 (IV 172); vgl. Pflicht, Bestimmung.