Philosophie und Psychoanalyse

 

Was in dieser Arbeit Prof. Putnams die Psychoanalyse am empfindlichsten berührt, ist der Angriff gegen den psychischen Determinismus. Ist doch der allergrößte Fortschritt, den wir der Analyse verdanken, gerade die durch sie gegebene Möglichkeit des Nachweises derselben ausnahmslosen Gesetzmäßigkeit und Bestimmtheit auch im seelischen Geschehen, die sich im physikalischen überall feststellen läßt.  

Daß unsere Willensakte bestimmt sind, wird schon lange und von vielen postuliert; doch erst die Psychoanalyse nach Freud gestattete uns, durch Aufdeckung der unbewußten Determinanten auch den vom Bewußtsein als frei empfundenen Willensakt und den sogenannten ›freisteigenden Einfall‹ als unvermeidliche Resultante anderer psychischer Vorgänge, die auch ihrerseits streng determiniert sind, zu erkennen. Der Psychoanalytiker, dem diese Bestimmtheit der Willensvorgänge durch tägliche Erfahrung in Fleisch und Blut übergegangen ist, verdankt gerade dieser Überzeugung das wohltuende Gefühl, auch auf psychischem Gebiet den festen Boden eherner Gesetzmäßigkeit nicht verlassen zu müssen.  

Bei näherem Zusehen stellt sich allerdings heraus, daß der scheinbar so große Unterschied zwischen dieser Auffassung und der Prof. Putnams zum Teil wenigstens nur auf Verschiedenheit in der Terminologie beruht. Dr. Putnam identifiziert stellenweise die Begriffe des Willens und des undeterminierten Willens, die wir scharf voneinander trennen möchten. Die Psychoanalyse leugnet den Willen (den Trieb) durchaus nicht; weit entfernt, eine biogenetische Deskription zu sein, die sich »damit begnügte, die aufeinander folgenden Erscheinungen eines Entwicklungsvorganges mit genügender Genauigkeit aufzuspüren«, findet sie überall im Psychischen Strebungen, d. h. Seelenvorgänge, die mit unserem bevußten Willen in Analogie zu bringen sind. Die psychoanalytische Psychologie ist also keine einfache Beschreibung, sondern ein Versuch der dynamischen Erklärung der Seelenvorgänge. Die Psychoanalytik hat nie behauptet, daß »die Person Hamlets als willenlos anzusehen ist«, sondern, daß Hamlets Persönlichkeit infolge seiner angeborenen und erworbenen Eigenschaften dazu bestimmt war, seinen Willen in der schwankenden und schließlich tragischen Weise zu betätigen.

Auch das ›Laissez-faire‹-Prinzip wird von Dr. Putnam mit Unrecht dem Determinismus gleichgesetzt. - Die modernen Nationalökonomen handeln sehr richtig, wenn sie lehren, daß ›Ideologien‹, d. h. Willensund Bewußtseinsvorgänge, auch in der Entwicklung der Staatswirtschaft sehr wichtige Faktoren sind; damit ist aber durchaus nicht gesagt, daß diese Willens- und Geistesvorgänge frei, d. h. undeterminiert sein müssen. Determinismus darf doch mit Fatalismus nicht verwechselt werden. Die Lehre von der Bestimmtheit des Willens besagt ja nicht, daß man nichts tun, nichts wollen kann (laisser-faire), und daß man zuwarten kann, bis die ›Determinanten‹ das Werk statt unser vollführen. Sie besagt nur, daß, wenn wir unseren subjektiv als frei gefühlten Willen betätigen, wir uns von der Richtkraft der Determinanten nicht emanzipieren können. Daß wir uns nicht dem ›Laissez-faire‹-Prinzip überlassen, sondern aktiv die Lenkung unseres Schicksals in die Hand nehmen, ist nicht ein Akt freier Willensentschließung, sondern das Resultat phylo- und ontogener Determinanten, die uns davor schützen, in ein für die Selbst- und Arterhaltung deletäres Nichtstun zu verfallen.

Über das Wesen des Willensvorgangs selbst sagt die Psychoanalyse allerdings nichts aus, und das ist der Punkt, an dem ihre Kompetenz einstweilen aufhört und der Platz vor philosophischen und biologischen Erklärungsversuchen geräumt werden muß.

Prof. Putnam kann der Analyse den Vorwurf nicht ersparen, daß sie sich zu einseitig um die Psychologie des Unbewußten, um die Psyche der Kinder, der Wilden, der Künstler, der Neurotiker und Psychopathen kümmert und die bei ihnen gefundenen Resultate zur Erkenntnis der gesunden und sublimierten Seelentätigkeit des normalen Erwachsenen verwertet, den umgekehrten Weg aber, der von den höchstmöglichen seelischen Leistungen des Menschen ausgeht und von hier aus das Verständnis des Psychischen überhaupt erlangen will, vernachlässigt.

Die Tatsächlichkeit dieses Sachverhalts soll nicht geleugnet werden, es fragt sich nur, ob die Umkehrung des Standpunktes, der die Psychoanalyse charakterisiert, wirklich als etwas Nachteiliges, und nicht vielmehr als eine der fruchtbarsten und rühmlichsten Fortschritte der psychologischen Methodik zu betrachten ist.

Jahrhundertelang war man bestrebt, die Seelenvorgänge von der Bewußtseinsseite her verstehen zu lernen, indem man sie in die Kategorien der bewußten und kultivierten Menschenseele (Logik, Ethik, Ästhetik) einzuzwängen versuchte. Man kann nicht sagen, daß man damit viel erreicht habe. Die alltäglichsten Kundgebungen des Seelenlebens blieben ungelöste Komplexe und man blieb - trotz gegenteiliger doktrinärer Versicherungen — stets im Banne einer unfruchtbaren ›Vermögenspsychologie‹. Die Reaktion dagegen war der physikalischphysiologische Erklärungsversuch, dem es aber nicht gelang, die gähnende Kluft zwischen den verhältnismäßig einfachen physiologischen Vorgängen und den verwickelten seelischen Leistungen des Kulturmenschen zu überbrücken. Die Psychophysik versagte, sobald sie das Gebiet der deskriptiven Sinnesphysiologie verlassen wollte, oder sie mußte - in schärfstem Gegensatz zur vielgerühmten Exaktheit ihrer Methoden -zu den gewagtesten Hypothesen ihre Zuflucht nehmen.

Da kamen die überraschenden Entdeckungen Freuds über unbewußte Seelenvorgänge und über die Methodik, die uns gestattet, Inhalt und Tätigkeitsformen des Unbewußten zu erforschen. Die Entdeckungen wurden zunächst an Kranken gemacht. Als aber Freud versuchte, die bei Neurotikern demaskierten latenten Seelenvorgänge auch bei der Betrachtung der seelischen Leistungen ›Normaler‹ in die Lücke zwischen dem Biologischen und Bewußt-Psychischem zu interpolieren: da lösten sich wie von selbst, ohne Schwierigkeit Probleme, bei denen die Bewußtseinspsychologie immer versagte und an die die Psychophysik sich nicht einmal herangewagt hat.

Der Traum, der Witz, die Fehlhandlungen des Normalmenschen, konnten nunmehr als sinnvolle und derselben Gesetzmäßigkeit gehorchende psychische Bildungen erkannt werden; es schwand der Anschein ihrer Zufälligkeit oder Willkürlichkeit; in der Psychologie des Künstlers und des Dichters, im Tatsachenmaterial der Mythologie und Religion, der Völkerpsychologie und Soziologie beginnt sich um die Kenntnis vom Unbewußten herum das tiefere Verständnis der Zusammenhänge herauszukristallisieren; es gelang, mit ihrer Hilfe die Geltung des biogenetischen Grundgesetzes auch im Seelischen nachzuweisen.  

Die überraschenden Erfolge der Freudschen Interpolation sprechen - dächt ich - dafür, daß wir diese so fruchtbare Arbeitsmethode nicht aufgeben, sondern, ihre Erfolge im pragmatistischen Sinn als Evidenz ihrer Richtigkeit auffassend, ihr Anwendungsgebiet eher noch weiter ausdehnen sollten. Es ist also nach unserer Auffassung eine näherliegende, weil viel mehr Erfolg versprechende Aufgabe, auch die Bewußtseinsvorgänge und ihre Tätigkeitsformen unter Zugrundelegung der Tiefenpsychologie erklären zu wollen, als dem Ratschlag Professor Putnams folgend, wieder von der Bewußtseinsseite her in den wegen ihrer Unergiebigkeit verlassenen Schächten zu graben.  

Es ist ja möglich, daß der jetzt so überreiche Strom an Erkenntnis, zu der uns das Forschen im Unbewußten verhilft, einmal versiegt, und daß dann die psychologische Arbeit wieder von der Seite des Bewußtseins her oder etwa auf physikalischer Grundlage aufgenommen werden muß. Was ich betonen wollte, ist nur, daß unsere nächste Aufgabe die ist, die Psychoanalytik, unabhängig von philosophischen Systemen, weiter auszubauen.  

 


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