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XIII. Möglichkeit der Philosophie

Dienende Stellung

Statistik und Nationalökonomie sind neue Wissenschaften, Wissenschaften, an die man noch nicht so recht religiös glaubt, und denen man es darum keck nachsagt, daß sie ohne eigene Ziele nur dem jeweiligen Machthaber und seinen immer kurzsichtigen Absichten mit ihren Formeln dienen, wie andere Pfaffen mit ihren Kultusformeln dem Throne, der ihren Altar stützt. Statistik und Nationalökonomie geben auch nicht einmal die Realgründe des herrschenden Handelns, sondern nur die falschen Erkenntnisgründe für die Zeitgenossen und Untertanen. Diese neuen Wissenschaften haben die Stellung vortragender Räte, welche den leitenden Staatsmann beileibe nicht etwa beraten sollen, sondern ihm nur für die begleitenden Reden ein brauchbares Wortmaterial bereit halten.

Dasselbe Amt haben von jeher die ehrwürdigen und darum feierlich genommenen philosophischen Systeme der Zeitphilosophen gehabt, nur in viel größerer Breite, indem sie sich nicht nur den jeweiligen Staatsmännern gefällig zur Verfügung stellten, fünf gerade und eins drei sein ließen, sondern indem sie — als Popularphilosophie — auch dem einfachen Manne dazu dienten, bei Hochzeit, Geburt, Tod und ähnlichen der religiösen Ausbeutung gewidmeten Anlässen, bei Erdbeben, Seuchen, Blitzschlägen und Lotterietreflern, irgend etwas Pfäffisches zum Nachbar zu sagen, worauf die Gemeinheit wieder zu ihrem Rechte kommen durfte.

So hat beispielsweise die platonische Philosophie bei Lebzeiten ihres gar nicht so verträumten Stifters die Livree der athenischen Aristokratie getragen, und hat dann die Livreen häufiger gewechselt, als es einem kurz lebenden Einzelmensehen möglich wäre. Platonische Philosophie steckte sich in die Toga römischer Stoiker (ich weiß, daß die Stoa sich nicht selbst platonisch nannte), vermummte sich in die Dalmatica alexandrinischer Bischöfe und in die Brokatgewänder byzantinischer Kaiser; platonische Philosophie beschmutzte sich in und mit den Kutten mittelalterlicher Mönche, besudelte sich in den Seidenkleidern der Renaissancemenschen und hat heute noch nicht aufgehört, um den geringsten Lohn eine Stellung bei Herrschaften zu suchen, wenn auch unter falschern Namen, mit einem falschen Dienstbuch.

Die redende Philosophie ist der Schwatzdiener der Menschheit, je nach Umständen ihr Hurraschreier, ihr Krankheitsbesprecher, ihr Klageweib. Im Wappen führt diese Philosophie den Wahlspruch: Ich dien', über dessen Sinn und Herkunft die Historiker streiten, wie über die gemeinsten Wahlsprüche der Philosophie. Sechzig Geschlechtern der redenden Menschheit hat Platon gedient, in immer neuen Verkleidungen; dem dritten Geschlechte — die Zeit seines Verschwindens abgerechnet — dient Spinoza; dem vierten oder fünften Geschlechte dient Kant. Die Philosophiegeschichtce nennt dieses Dienen gern ein Herrschen.

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