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Hamann

Niemals ist die sokratische Weisheit "Ich weiß, daß ich nichts weiß" tiefsinniger wiederholt worden als durch Hamann, Er schreibt an Jacobi über seine sokratischen Denkwürdigkeiten, welche übrigens gewiß zunächst an die Adresse des damals noch unberühmten Kant gerichtet waren: "Die Unwissenheit des Sokrates war Empfindung. Zwischen Empfindung aber und einem Lehrsatz ist ein größerer Unterschied, als zwischen einem lebenden Tier und einem anatomischen Gerippe desselben. Die alten und neuen Skeptiker mögen sich noch so sehr in die Löwenhaut der sokratischen Unwissenheit einwickeln, so verraten sie sich doch durch ihre Stimme und Ohren. Wissen sie nichts, was braucht die Welt einen gelehrten Beweis davon? Ihr Heucheltrug ist lächerlich und unverschämt. Wer aber so viel Scharfsinn und Beredsamkeit nötig hat, sich selbst von seiner Unwissenheit zu überführen, muß in seinem Herzen einen mächtigen Widerwillen gegen die Wahrheit derselben hegen."

Fritz Jacobi war nur ein Nachsprecher Hamanns, als er in einer späteren Zugabe zum "Allwill" gegen Kant eine Kritik der Sprache verlangte, die eine Metakritik der Vernunft sein sollte. Gedanke und Form stammen von Hamann. Und so auch ein sokratisches Bekenntnis zur Unwissenheit. Jacobi stand unter dem Banne Goethes, als er wenige Jahre nach dem Erscheinen des Werther den Briefroman "Allwill" schrieb. Goethe war darin porträtiert oder karikiert; Goethe wurde anfangs für den Verfasser gehalten. Als Jacobi aber die "Zugabe von eigenen Briefen" beifügte, stand er schon unter dem Banne Hamanns. Nur aus dem obigen Briefe Hamanns ist es zu erklären, wenn Jacobi schreibt: "So unwissend, ganz so unwissend, wie ich dir sage, bin ich. Unwissend in einem Maße, daß ich den bloßen Zweifler verachten darf." Hamannisch ist dieses Pochen auf eine positive Unwissenheit, die an Miltons Wort von einer sichtbaren Finsternis erinnert.

Aber diese tiefsinnige Auffassung der Unwissenheit als einer Empfindung, als einer Stimmung, die ganz im besten Geiste des 18. Jahrhunderts über Negation und über Resignation hinausgeht, hängt mit der Bewertung der Sprache zusammen. Hamann selbst hat die Worte Stimme und Ohren unterstrichen. Die Sprache ist es, das wollte er wohl sagen, durch welche die bloßen Skeptiker oder Zweifler verführt werden, das Gefühl des Nichtwissens wieder für eine Art von Wissen zu halten. Und dazu werden wir verführt, weil die menschliche Sprache geeigneter ist, unser Nichtwissen auszudrücken als unser Wissen.