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Die Denkschrift

Die Deutsche Liga für Menschenrechte hat eine Denkschrift herausgebracht: »Deutschlands geheime Rüstungen?«, die die allergrößte Aufmerksamkeit verdient. Autoren und Herausgeber haben den hohen Mut bewiesen, gegen eine zu allem fähige Reaktion und vor einer zu nichts fähigen Demokratie ihre Namen unter das Schriftstück zu setzen. Die tapfern Kämpfer sind die Herren Gumbel, Jacob, der Polizeioberst Lange, Freiherr v. Schönaich, Lehmann-Rußbüldt, L. Persius, der Senatspräsident Freymuth und Heinrich Ströbel. Hier ist nicht taktisch laviert worden, hier sind keine lauen Leitartikel, die kein Mensch mehr lesen will: hier ist eine Tat.

Die Denkschrift – die Heinz Pol in Nummer 20 der Weltbühne bereits gewertet hat – zeigt einen Reichswehretat, der dem Reichstag mit gradezu erschreckendem Mut vorgelegt worden ist. Und dazu ist zu sagen:

Weder in Frankreich noch in England ginge ein solcher Etat durch, der so undurchsichtig, so sorgfältig-unsorgfältig, so dunkel und unaufrichtig ausgearbeitet ist wie dieser deutsche. Vor Jahren habe ich einmal in der nunmehr seligen Freiheit das damals vorgelegte Reichswehrbudget durchgearbeitet und die bösesten Verschleierungen, Trübungen, die ungerechtfertigten und dumm begründeten Forderungen aufgedeckt. Kaum einer der Abgeordneten regte sich (Ausnahme: Herr Künstler) – der Rest war dringend beschäftigt.

Die sozialdemokratischen Abgeordneten erfüllen in ihrer großen Mehrzahl die Pflicht gegen ihre Wähler schlecht. Sie sind gewählt worden, um über die Verwendung des Geldes der Steuerzahler zu wachen. Sie wachen aber nicht, sondern sie tun etwas viel Schlimmeres als schlafen: sie parlamentieren.

Wer einmal den wichtigmacherischen Betrieb im Reichstag mit eignen Augen angesehen hat, diese leer klappernde Maschine, diese endlosen Sitzungen, dieses Hosenbodenwetzen um nichts – der wird sich nicht wundern, dass den Volksboten keine Zeit bleibt, die Arbeit zu leisten, zu der sie da sind. Früher galt für den guten Parlamentarier als unerläßlich, ein guter Etatkenner zu sein. Heute bläht sich das, wenn es zum Etat des Außenministeriums eine Rede hält, die die Pressetribüne für »ironisch« ausgibt, und der die Minister schon deshalb nicht ordentlich zuhören, weil sie ihnen niemals gefährlich sein wird. Wozu –? Es wird ja doch alles bewilligt. Es ist ebenso bezeichnend wie demütigend für diese Art Parlamentarismus, dass ein Angehöriger der Reichswehr einmal geäußert hat: »Schwierigkeiten haben wir fast nie – wir stehen mit dem Finanzministerium sehr gut.« Vom Parlament ist dabei gar nicht gesprochen worden – und mit Recht nicht. Denn es hat viel zu reden, aber nichts zu sagen.

Diese Denkschrift holt nach, was die Abgeordneten versäumt haben. Denn sie hätten alle diese Fehler aufdecken, sie hätten auf die lächerliche Verteilung von Chargen hinweisen sollen, sie hätten zu monieren, zu streichen, zu verweigern gehabt.

Sie schwingen sich zu einer Kritik auf, bewilligen den Etat in Bausch und Bogen und werden niemals einsehen, dass sie von niemand mehr überwunden zu werden brauchen. Mal lag ich unten, mal lag er oben, er floh, ich immer vorneweg, schließlich hol ich aus, er langt mir eine … Arme Wähler

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 14.07.1925, Nr. 28, S. 68.