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Figuren

Vor den Schaltern der Eisenbahn in der französischen Provinz kann man noch unwahrscheinliche Gestalten sehen. Da gibt es alte Damen mit langen, schwarzen Röcken und vielen Unterröcken, mit einem Großmamabusen, rund, aber ehrfurchterweckend, und mit einem schwarzen Kapotthütchen. Sie stehen und warten geduldig, bis die Reihe an ihnen ist. Vor dem Schalterfensterchen kommt wie der Blitz die Erkenntnis über sie: Dazu braucht man Geld! Zum Bezahlen! Allmächtiger Gott! Und die alten Hände graben hinterwärts in eigentümlichen Schlitzen und Grotten und produzieren ein altes Lederportemonnaie. Daß der Billettmann ihnen den Preis genannt hat, haben sie längst vergessen. »Wieviel?« Und dann zählen sie und verzählen sich, haschen herunterwehende Geldscheine, reichen hin und nehmen wieder zurück (solange man die Schachfigur mit der Hand berührt, darf man zurücknehmen), bekommen Geld heraus und zählen es mißtrauisch, fragen noch einmal vorsichtshalber, wie man fahren muß, wenden sich und vergessen das Billett. Ich habe drei Züge durch sie versäumt – aber man kann ihnen nicht böse sein, den guten, alten Winterfliegen.


Einmal saßen wir zu fünf in einer kleinen Kneipe, vier Franzosen und ich. Da war einer, der kannte Deutschland von manchen Reisen her, und er sprach auch etwas Deutsch, und gar nicht schlecht. An diesem Abend aber ritt ihn der Teufel, und er vermaß sich, mir einen deutschen Witz zu erzählen, und an der Art, wie er die Pointe vorwegschmunzelte, sah ich, dass es ›une bonne‹ werden würde, eine haarige Geschichte. Richtig. Er erzählte zunächst deutsch, und die andern hörten bewundernd zu. Es handelte sich da um ein lockres Dienstmädchen, eine, die nachts außerhalb zu schlafen pflegte, und die nun natürlich mit ihrer gnädigen Frau zusammenlief. Großer Krach in der Küche. »Was hatten Sie mit diesem Mann … ?« rief die gnädige Frau. Das Mädchen antwortete irgend etwas hervorragend doppeldeutiges und fügte nach Angabe des Franzosen hinzu: »Und dann – liebe Frau – dann ist er gefobel!« – Und den erstaunt Lauschenden zur Erklärung: »Gefobel – en allemand ça veut dire … enfin … ç'est une expression très forte!«

Da hat man nun Gräfinnen verführt, Briefträgerstöchter geküßt, ältern Damen zu einer Erinnerung fürs ganze Leben verholfen – und weiß nicht einmal, was das ist: gefobel! Grandeur et décadence d'un Don Juan.


In Lourdes sitzt an der Ecke der rue Basse und der rue Baron Duprat im Korbwagen ein dicker Bettler. Er ist im besten Alter, eine Kugel an Fett, ununterbrochen schüttelt er in den Händen eine Blechbüchse, in der etwas klappert. Und nähert sich der Ecke ein Passant, so schüttelt er heftiger und sagt mit rostiger Stimme: »La charité, messieurs-dames, la charité!« Ich kaufte regelmäßig bei ihm, weil es hübsch war, dass einer abstrakte Gegenstände anpries. Eines Tages aber geschah etwas Unerwartetes. Es näherte sich ihm eine tropfnasige Alte, ein gekrümmtes, zusammengedrücktes Mütterchen, und schlurchte nahe an ihn heran. Die ›charité‹ blieb ihm im Halse stecken. Er sah sie an, öffnete die Büchse und gab ihr ein Kupferstück. Hüstelnd und Segenswünsche brummelnd entfernte sich die Alte.

Das hatte ich noch nie gesehen, einen Bettler, der angebettelt wird. Überschrift: Der Unterbettler.


Die Oberin der Soeurs de la Charité de Nevers, des Ordens, in den die selige Bernadette eingetreten ist: »De quelle nationalité êtes-vous, Monsieur?«

Ich: »Je suis Allemand, ma Mère!«

Sie: »Oh … ça ne fait rien!«