Die Phrasendrescher
Eine Begegnung
»Tach, wie gehts?«
»Danke, macht sich. Kommen Sie 'n Stück mit – ich geh da runter!« – »Ja, da hab ich auch zu tun. Kommen Sie – wir gehn hier lang … Meine Frau hat mich gebeten, ihr Tinte fürn Füllfederhalter mitzubringen – meine im Geschäft ist auch alle. Scheußliches Wetter, was? Ich hab gelesen, das Wetter soll nach dem Kriege schlechter geworden sein, aber ich glaub das nicht. Es könnt ja sein, dass die atmosphärischen Einflüsse durch die Schießerei mit den Kanonen … Apropos: Kanone! Die Frau Mattberg läßt sich scheiden! Wie finden Sie das? Ich will Ihm mal was sagen: Die Ehe ist auch nicht mehr das richtige, nach dem Kriege – wissen Sie, rein menschlich … Meine Einstellung zu dem Problem ist so: Unsere Zeit steht im Zeitalter der Technik. Also daran ist ja gar nicht zu tippen. Der Einfluß von Amerika amerikanisiert uns alle, meinen Sie nicht auch? Seit die Frau sich die Haare kurz schneiden läßt – und dann bei diesem Diskont ist das ja überhaupt nicht anders möglich! Wie? Ach, erzählen Sie mir doch nichts von politischen Sachen! Politik! Glauben Sie an Politik? Lieber Herr, ich will Ihnen mal was sagen: Ethik und Politik und solche Sachen, also das gibts bei mir nicht! Sehn Sie mal: Wir stehen mitten in einem Übergang, also da können Sie sagen, was Sie wollen. Was morgen sein wird, weiß kein Mensch! Ich meine, schon rein nationalökonomisch gesehen, ist das ja ganz klar – also so eine Leistung von Ford, das ist doch fabelhaft! Amerika schluckt uns noch mal alle ein, das sag ich Ihnen! Die Leute haben eine Spannkraft, das ist ja unerhört! Phantastisch! Sehn Sie mal, diese lächerlichen Sachen mit dem Dawesplan – ich meine, das ist doch höchst übel, was sie da machen – ich meine, wer kaufmännisch etwas modern denkt, der muß doch das Gesicht der Zeit empfinden, in der man lebt … ! Ich will Ihnen was sagen: Die Zeit ist nicht einfach! Einfach isse nich! Ich hab schon zu meiner Frau gesagt: Vor Tisch ein gutes Geschäft und nach Tisch meine Zigarre – mehr will ich gar nicht! Ich rauch nach Tisch immer ne Zigarre!«
»Nein. Ich rauch nie nach Tisch, das ist nicht gut für mein Herz. Was Sie da sagen, hat viel für sich. Nur, vergessen Sie eins nicht: Sie vergessen die Mentalität. Schon rein körperlich ist das doch anders. Sehn Sie mal, wenn Sie die Komponente nehmen zwischen unserer Epoche und … nehmen Sie sich in acht, treten Sie da nicht rein! – Ich wollte sagen: Den Einfluß des Milieus können Sie doch nicht wegleugnen! Mit der Erotik allein kommen Sie da auch nicht weiter! So primitiv ist unsere Zeit nicht! Ich meine, man will doch weiterkommen! Sentimental ist ja ganz schön – aber nur sentimental? Nein. Wer ist heute noch gesund? Ich seh das menschlich anders an. Rein als Mensch muß man darüber anders denken – wir fallen von einer Sensation in die andere, und was kommt dabei heraus? Na ja, das Taylorsystem – Hören Sie mich an: Das mit dem fließenden Band wird maßlos überschätzt, da wird auch mit Wasser gekocht – erzählen Sie mir nichts, mein Schwager war drei Jahre lang drüben, ich bin kompetent! Eine gewisse Bodenständigkeit können Sie auch nicht wegleugnen, ohne die kommen wir nicht voran! Ich meine, wer ein bißchen geistiger Mensch ist, der horcht ab! Verstehen Sie, was ich meine? Man muß eben Fingerspitzengefühl haben! Lesen Sie mal die Berichte der Handelskammer, da werden Sie sehen, was bei der Umstellung herauskommt! Ich bin gewiß kein Dutzendmensch; aber das kann ich Ihnen sagen: Wenn einer was redet, dann muß er auch was zu sagen haben! Gun Tach! Grüßen Sie Ihre Frau!«
(Jeder für sich): »Ein Ochse! Kein Wort hat er verstanden von dem, was ich ihm gesagt habe!«
Kaspar Hauser
Berliner Illustrirte Zeitung, 30.10.1927, Nr. 44, S. 1749.