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Zwei Käfige

Hier in Dänemark, wie wohl auch anderswo, setzen sie die Klucke mit den Küken in den Hof oder auf die Wiese, die ganze Familie überdacht von einem vergitterten Gestell, wie der Käse von der Glocke. Darunter pickt und kluckt und gurrt es den lieben, langen Tag. Sieh, da stehen zwei nebeneinander.

In einem geht es sehr honett und ordentlich zu. Die große Henne hat etwa fünfzehn oder sechzehn ›Kukkelchen‹, wie man in Kurland sagt, zu betreuen; die rechte Seitenleiste des Gittergestells ist durch zwei Feldsteine etwas angehoben, und die Kleinen können auch herauslaufen. Die Mama wirtschaftet drin umher und lockt.

Es gibt da eine völlig ausgebildete Sprache der Henne. »Kommt mal alle, alle her!« und: »Na – na – na!« und »Hiiier – gibts was zu fressen! – Wer will? – Wer will? Wer will?« und viele andere Signale. Die Küken verstehen das genau. Sie sind noch so klein: vier Tage sind sie alt, und eigentlich sind es noch laufende Eier, mit einem kleinen weichen Hundefell; dass dieser Plüsch einmal zu Federn werden wird, muß man auf gut Glauben hinnehmen. Seht doch nur, wie sie laufen! …

Der Käfig ist ständig von einem niemals aussetzenden leisen Gepips erfüllt, das alle fünfzehn am Klingen erhalten: der Ton schwebt über der pickenden Familie, stets gehalten von vier, von sechs, von acht kleinen Hälsen. Die Alte geht schwer umher, zertritt niemals eines, paßt auf, ordnet es alles an, und manchmal steckt auch sie gierig den Hals vor und nascht ein paar Krümel mit. Aber nicht viel: wann essen Kellner? Wann lesen Dichter? Wann fressen Hennen? Die Verbindung aber zwischen Mutter und Kindern ist sehr eng – manchmal randalieren die Kleinen wohl, manchmal laufen sie weg – aber immer kommen sie bald wieder, verstehen den mütterlichen Lockruf, hören ihn ganz genau – es sind Mitglieder derselben Familie, selbst Uneinigkeiten spielen sich auf derselben Ebene ab. Diese zwei Generationen bilden eine einzige.

Nebenan steht ein anderer Käfig.

Darin ist auch eine Glucke, sie hat vier Kinder. Hier sieht es ganz anders aus.

Die Mutterhenne steht in der Mitte, wie mir scheinen will, traurig, bedrückt und sehr allein. Die vier kümmern sich kaum um sie. Sie watscheln da herum, sie sind dunkler als die andern, sie sind auch wohl schon größer … Die Alte lockt: – sie hören sie nicht. Die Alte ruft – sie hören nicht. Die Alte warnt, liebkost, zeigt etwas, verbietet, erlaubt – sie hören nicht. Verstehen sie es nicht –?

Die Alte sagt: »Die Moral des Hühnerstalls, meine guten Kinder, gebietet, dass man nach Körnern pickt, und, so man welche gefunden hat, sie auch aufißt – sonst nimmt sie der andre!« Sie sagt: »Küken sind noch klein – die müssen vorsichtig sein, hört ihr? Immer vorsichtig!« Sie sagt: »Man hat niemals genug, nug, nuck, nuck … « Die Kleinen hören nicht. Was ist das –?

Sie piepsen leise, auch sie. Aber als ich nun genau hinhöre, da ist es eine andre Sprache, eine ganz andre als die, die ihre Hühnermama spricht. Sie piepsen: »Fliegen – über dem grauen See, wenn der Wind darüber hinstreicht – Fliegen!« Sie piepsen: »Raus – raus – raus!« Sie piepsen: »Was tun wir hier? Hier? Hier? Hier?« Sie kümmern sich gar nicht um die Alte.

In der Mitte ist ein ganz kleines Bassin, mit schmutzigem Regenwasser gefüllt. Dahinein wackeln sie und schwimmen und fressen, was da schwimmt. Und fressen alles. Ihre Schnäbel sind schwarz. Ihre Federn dunkelgrau. Sie haben Schwimmhäute.

Es sind junge Wildenten, deren Eier der Wirtsjunge im Röhricht gefunden hat, die Henne hat sie ausgebrütet.

Sie sind nur zu Besuch hier. Eines Tages wird man sie freilassen, und dann werden sie fortfliegen über den blauschimmernden Wald, den man da hinten sehen kann, weit fort, über die Seen …

Sie sprechen untereinander – aber sie sagen nichts zu ihrer Brutmutter. Deren Lehren sind gut und schön – aber nicht für sie. Sie sind von anderer Art. Sie sind eine wirklich andre Generation. Sie sprechen eine andre Sprache.

Sie verstehen einander nicht.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 12.07.1927.