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Kasernenhygiene

Der Verein zur Erregung europäischer Zwistigkeiten, vulgo Wehrverein, gibt ein Blättchen heraus. Lehrreich immerhin …

Da berichtet zum Beispiel einer über die preußischen Kasernen. Nein, wirklich, diese Notiz ist keinem Parteiblatt entnommen, sie stand wirklich in der »Wehr«, so heißt das Papier. Ein schärferes Urteil über die hygienisch-miserable Einrichtung dieser unmodernen Häuser kann nicht gefällt werden. Warum, fragt der Schreiber, werden heute noch Kasernen ohne Wasserleitung gebaut? – Da empfindet selbst der freudigste Soldat das Wassertragen als eine Schinderei. Warum, fragt der Schreiber, wird noch immer soviel an alten Uniformen herumgeflickt? Das ist unnötig, spart kein Geld, weil es zuviel kostbare Zeit kostet, und erbittert die Gemüter. Warum, fragt der Schreiber, gibt es noch überall in den Kasernen Ungeziefer? – Weil man keinen Beton mit Linoleumbelag hat, weil man noch Scheuerleisten hat, die unpraktisch sind …

Ja, wer spricht denn da? – Ein Genosse? – Ein Rebell? – Das werden wir sehen. Aber hat er nicht recht? – Reißen nicht die Helden den Mund auf und preisen das Soldatenleben, ohne die einfachsten Regeln der Sauberkeit und der gesunden Lüftung zu befolgen? – Sieben schlafen in einer Stube – und dann sind es nicht einmal viel –, und die Luft ist zum Durchschneiden, und die Lazarette taugen nichts.

Aber weiß denn der Schreiber nicht, dass hier nichts um seiner selbst willen geschieht? – Daß alles nur den einen Zweck hat, den Eigenwillen zu töten? – Daß der Mann nichts und der Vorgesetzte alles ist? – Er sollte es wissen.

Denn der, der ausnahmsweise einmal die Wahrheit über preußische Kasernenschmutzereien sagte, ist ein Stabsarzt. Aber ein anonymer! –

Und dass ein Militär nicht einmal offen die Wahrheit sagen darf, weil man ihn sonst einsteckt, das zeigt so recht diese Gesellschaft in bengalischem Licht.

Muß noch ein paar Seiten später im Blättchen stehen, dass man dem »Vorwärts«-Schreiber, der das Sedanfest verspottete, das Blut aus den Fingern heraushauen sollte, dass es ihm in die Augen spritzt? – Wörtlich.

Aber wir wußten längst, dass diese verabschiedeten Majore an unterdrücktem Sadismus leiden. Und es muß ja auch nicht angenehm sein, erst über tausend Leute brüllend befehlen zu dürfen, die schweigend gehorchen mußten, weil sie einen bunten Rock trugen und weil der Vorgesetzte vor ihnen und das Zuchthaus hinter ihnen stand, und nun? – Nun ist man pensioniert, niemand, nicht einmal der Bäckerjunge hört mehr, wenn man flucht, und die große Welt ist durchaus kein Kasernenhof.

Sondern ein Arbeitsfeld. Und da machen Unter- und Oberoffiziere allerdings immer Fiasko.

anonym
Vorwärts, 28.09.1913, Nr. 253, S. 1.