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Der junge Mann

François Mauriac, ein französischer Schriftsteller, den man der Rechten zuzählen kann, hat bei Hachette ein Büchlein ›Le Jeune Homme‹ erscheinen lassen. Frage: wie sieht die junge französische Generation aus –? Antwort:

Mauriac unterscheidet sehr gut zwei Arten unter den jungen Leuten: die Eroberer, Geschäftsleute, Praktiker des Lebens – und die Fliehenden, die aus dem Leben davonlaufen und sich in die Kunst oder sonstwohin flüchten, in dunkle Höhlen esoterischer Werke. Er sieht in der geistig revoltierenden Jugend ein Ende, keinen Anfang. »C'est une jeunesse de survivants«, heißt es an einer Stelle, hiermit umfaßt er die Jungen, die jene etwas blasphemischen Theorien ihrer aufbegehrenden Väter aus dem Jahr 1880 in die Tat umsetzen wollen: keine Bibliotheken, keine Museen mehr … Mauriac spricht von dem Jugendrummel, wie ihn auch Frankreich kennt: »Nichts ist heute so schwer, als noch nach dem fünfzigsten Jahr zu bestehen.«

Bei Betrachtung der andern Spezies: der praktischen jungen Leute kippt Mauriac um; da langts nicht. Nach der üblichen Charakterisierung: Heut sind sie alle hinter dem Geld her, Auto, Jazz, Börse … kommt keine klare Schlußfolgerung. Aber das führt ja zu gar nichts. Diese stereotypen Vergleiche mit der leisen Gitarrenbegleitung: »Als der Großvater die Großmutter nahm« beweisen nichts, als dass sich Zeitbegriffe gewandelt haben. Und das haben wir gewußt. Es handelt sich nicht darum, festzustellen, ob diese neue Jugend mit den alten Idealen zusammengeht oder nicht, ob sie besser ist, als die alte gewesen zu sein vorgab – es handelt sich darum: zu verstehen, zu erklären, mit Menschen zu rechnen, wie sie sind, nicht: wie sie sein sollten. Das fehlt bei Mauriac.

Einen unverhältnismäßig großen Raum in diesem Buch nimmt die Liebe ein. Mauriac überschätzt sie maßlos. Diese feinsinnigen psychologischen Tüfteleien wirken so altmodisch, so von vorvorgestern, manchmal bis zur Lächerlichkeit. »Oft hat man von einer Frau nichts zu nehmen, ihr nichts zu geben als die Lust; außer dieser köstlichen Vereinigung (die man freilich in diesem Alter ohne zu ermüden wiederholen kann) … « Seine Impotenz, der Herr Verfasser, lassen grüßen.

Die hohen Qualitäten des Schriftstellers wie seines Buches liegen in den unendlich feinen Bemerkungen, die neben dem Thema herlaufen. »Nicht der Tod nimmt uns die, die wir lieben – im Gegenteil: er bewahrt sie uns; Tod, das Salz der Liebe. In nichts aufgelöst wird die Liebe durch das Leben.« Und: »Alt werden – das heißt: leben, als ob wir ein Herz besäßen, ebenso abgenutzt, wie es unser Aussehen ist. Reife: eine gelehrte Scheinheiligkeit! Wir brauchen uns nicht einmal eine Maske aufzusetzen, wir haben sie schon: der Körper ist diese Maske, dieser dick gewordene oder ausgetrocknete Körper, keine wahrnehmbare Bewegung verrät das Vorhandensein eines jungen Herzens, das er verbirgt.« (Der Gedanke findet sich auch bei Wilde: »Die Tragik des Alterns liegt nicht darin, dass man alt wird, sondern dass man jung bleibt.«) Und: das Mißverständnis zwischen Vätern und Söhnen liege nicht an den jungen Leidenschaften der Söhne, sondern daran, dass die Väter noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt seien. »Es sind die Leidenschaften der Väter, die sie von ihren Kindern trennen.« Daneben ein sehr schöner Vergleich: wie die Jugend in der Arena auftaucht, die Zuschauerschaft sieht gespannt zu, glaubt, wer weiß was da käme – später sitzt der Neuhinzugekommene im Schatten der Tribüne und sieht zu, wie die andern.

Doch nichts erfahre ich über den wahren Zustand des französischen jungen Mannes. Und warum nicht –?

Weil diese bürgerlichen Schriftsteller keine Soziologen sind. Eine Stelle spricht Bände: »Das ist ein wunderbares Schauspiel, dass jeden Morgen so viele Millionen junger Menschen aus allen Klassen denselben Arbeitsplatz aufsuchen wie am Tag vorher, ihre Kräfte für Aufgaben ausgeben, von denen Briefmarken abstempeln und Untergrundbahnbilletts durchlochen noch nicht die geringsten sind.« Nein, Mauriac, du irrst.

Hier und nur hier ist der Angelpunkt deiner Betrachtung, hätte er sein müssen. Liebe und Seelenzerfaserung und junge Künstler und noch einmal junge Künstler … Diese jungen Menschen haben nicht nur eine Seele. Sie haben einen Beruf.

Und das scheint mir der Fehler so vieler junger Schriftsteller zu sein, dass sie an diesem Bollwerk vorbeischleichen, zu freundlichem Plätzen, zu hellern Hainen, mit einem bösen Gewissen. Aber da ist es, da sitzt es, da hockt es: in diesem dunkeln Bollwerk.

Liest man Romane, Dramen, Untersuchungen wie diese von Mauriac, so hat es den Anschein, als lebe diese ganze Generation ausschließlich von Renten, und wenn von einem Beruf die Rede ist, so wird er romantisiert und dramatisch, während doch das Berufsleben indifferent ist, glatt-gleichgültig. Indifferent das Liebesleben, indifferent der Tag, die Nacht, das Dasein.

Nun, das ist unbequem zu sagen, uninteressant zu schildern, wenn man entführte Herzoginnen, ausgeklügelte Seelenprobleme und knatternde Fahnen für interessant hält. Der völlige Mangel an einer soziologischen Betrachtung aber macht diese Schriften scholastisch, es ist ein Begriffsschach, das mit dem Leben gar nichts zu tun hat. Die Welt besteht nicht aus jungen Bürgersöhnen, die Zeit, Geld und Raum haben, über ihre unsterblichen Seelen nachzudenken, sondern aus jungen Leuten, die Geld verdienen müssen, Brot, Kleidung. Und diese Generation hat andre Sorgen, andre Ideale, andre Schmerzen.

Schade, dass Mauriac das Buch zu seinem Titel nicht geschrieben hat.

Peter Panter
Die Weltbühne, 30.03.1926, Nr. 13, S. 495.