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Geheimnisse des Harems

Ich sah im Draum e gleenes Dromedar;
das liebe Dhier war gaum e halbes Jahr.
Am Halfter fiehrts e blondes Därkenkind –
in seinen Locken seiselte der Wind … Ach, war das scheen –!

Sächsisch-türkisches Volkslied

Am hübschesten sind eigentlich Bücher, die gar keine sind. Die richtigen Bücher: diese Lyriksammlungen, diese Entwicklungsromane (»Adolar blickte versonnen auf die letzten vierundachtzig Jahre seines Lebens«), diese expressionistisch geballten Bücher, in denen es scheinbar zackig, in Wirklichkeit aber aalglatt zugeht –: wer will denn das alles noch lesen! Ich weiß etwas viel Schöneres.

»›Durch türkische und ägyptische Harems‹. Erlebnisse eines deutschen Landsturmmannes, von August Mies, Landsturmmann und Kriegsteilnehmer, abkommandiert nach der Türkei zur Organisation der Viehherden des ehemaligen Kriegsministers Enver Bey.« Wir wollen uns zunächst einmal einigen: ich habe weder den Titel noch das Buch erfunden: das Werk ist im Verlag des Allgemeinen Stallschweizerbundes, Sitz Plauen i. V., wirklich erschienen. Jetzt gehts los.

»Der Kapitän eines russischen Kriegsschiffes nimmt seine Tochter Tatjana auf eine Fahrt über das Schwarze Meer mit. Das russische Schiff wird von den Türken gekapert. Der Kapitän kommt in ein Internierungslager, während die junge Dame, die Braut eines russischen Offiziers, in den Harem eines Paschas verschleppt wird. Ein deutscher Landsturmmann wird für den Viehstand Enver Beys abkommandiert. Mit seiner Herde weilt er auf einsamer Heide, als der Pascha mit seinem Harem bei ihm sein Zeltlager aufschlägt. Hier lernt der deutsche Landstürmer die Russin als solche kennen und verspricht ihr, sie zu retten und heimzubringen.«

Mit diesen einleitenden Worten erzählt der Verlag den Inhalt des Büchleins. »Der Jugend möchte der Inhalt meiner Schilderungen besser ferngehalten werden.« Kinder, rein!

Thomas Mann hat einmal von einem Bahnbeamten erzählt, er habe in einer Nacht gar kein Eisenbahnunglück erlebt, sondern den Zeitungsbericht über ein Eisenbahnunglück. So auch der Dichter August Mies, Landsturmmann und Kriegsteilnehmer. »Na, Steuermann, beruhige dich, noch vier Stunden, und wir sind im sichern Hafen. – Aber halt, siehe da, gegen Südwest, ist dies nicht eine Rauchfahne?« Beide standen wie versteinert vor Schreck, beide sahen mit ihren Fernrohren nach dieser Stelle. »Heil, Wladimir, der Dampfer hat uns gemerkt … « So pflegen sich die Russen auf See zu unterhalten.

Was aber das Haremsleben türkischer Wüstlinge im Orient angeht, so ist selbes noch niemals mit einer solchen Bliemchenkaffeepoesie geschildert worden wie hier. Unwiderstehlich komisch, wie da orientalische Sinnenlust und preußische Organisation durcheinanderwirbeln. Es geht alles ganz ordentlich vor sich. Ein Kapitel heißt: »Wie man Eunuche wird« (wahrscheinlich eine Gebrauchsanweisung), – einer wird »Zum Obereunuchen befördert«, und auch sonst ist es lebensgefährlich. »Als dieser nun sah, dass Mohammed kein Eunuche, sondern ein Mann war, nahm er seine stets bei sich tragende Pistole und schoß Mohammed auf der Stelle nieder.« Die edle Tatjana aber bleibt keusch und unberührt inmitten all des Greuels. Zwar mußte sie den wildesten Ausschweifungen zusehen, aber: »Sie zog sich Beinkleider an, wickelte sich kreuz und quer Tücher um ihren Unterleib und hielt Aspirin bereit. Wenn auch so ein hoher Herr lüstern ist, aber vor einer kranken Frau hat er Abscheu.« Tatjana wußte schon, warum sie sich so schützte, denn die Türken, das sind ja dolle Nummern! Was sehen meine entzündeten Augen –? »Entkleide dich«, befahl er, welchem Verlangen dieselbe sofort nachkam. Kinder, wieder raus.

Die anstößigen Stellen des Buches sind mit erfreulicher Diskretion gemildert, die Vorgänge der wilden Sinnenlust hat der Verfasser in das geliebte Papierdeutsch übertragen, wodurch sie etwas abgeklärt Registrierendes bekommen. Einmal entschuldigt er sich geradezu.

Er hat, durch einen Eunuchen geführt, die Hakori, die Liebesnacht seines Effendis, mitangesehen. Seine Tatjana, die er aus dem Harem befreit hat, fragt ihn eifersüchtig, wo er denn nachts gewesen sei. Er sagt es ihr. »Höre auf, deiner Erzählung bedarf es nicht, du hast heute nacht dem Hakori beigewohnt.« – »Wie meinst du das, dass ich beigewohnt oder zugesehen habe?« – »Natürlich zugesehen. Ja, mein Lieber, zu diesem Treiben war ich immer schwerkrank. Einen Ekel empfinde ich, wenn ich nur daran denke, und du siehst zu?« Und nun der brave Landsturmmann: »Nicht aus Wollust, liebe Tatjana, sondern nur um das in der Heimat schwebende Dunkel etwas zu lüften!« Das kann jeder sagen. Wenn das seine Alte liest, dann glaubt sie es ihm doch nicht, und er bekommt sicherlich mit dem Besen.

Aber es sind auch allgemein gültige Betrachtungen in dem Büchlein. »Was ist ein Mensch neben einer Pyramide?« Wie wahr! Und wie erschütternd ist nicht jene Szene, in der der Vater des Eunuchen bedauert, denselben zu einem solchen gemacht zu haben und das Geschehene rückgängig machen will! Dahin, dahin! Denn das wäre das Ei des Kolumbus.

Schließlich kommt der Landsturmmann und Kriegsteilnehmer nach Odessa und liefert seine Tatjana, die frühere Haremsdame, zu Hause ab … Die Courths-Mahler steht beim Einzug ein bißchen Pate. Tatjana hatte als Haremsdame den Namen Hakara bekommen. Nun ließ sich aber die frühere Haremsdame nicht mehr Hakara titulieren. »Nein, mein Lieber, jetzt mußt du mir schon meinen früheren Namen gönnen: Fräulein Tatjana Borewitsch.« – »Aber wenn ich bloß Tatjana sage, bist du da zufrieden?« – »Aber selbstverständlich!« Mit diesem kleinen Geplänkel lief der Zug in Poltawa ein … In Kiew ist große Hochzeit. Die Haremsdame heiratet, und der Landsturmmann bekommt viele Küsse, viele Wodkas und viele Rubel und fährt in die Heimat.

Als ich das Buch bis hierher gelesen hatte, zwinkerte ich erheblich. Was, August? du bist jahrelang mit diesem Haremsmädchen herumgezogen und willst uns nun einreden, du habest selbstlos, ohne einmal zu trinken, diesen Quell der Freude in seine Heimat transportiert? War Tatjana so keusch? Sie war es. Wenigstens dir gegenüber, August, denn am Schluß des Buches ist das Bild des Verfassers angebracht, und wenn er auch in Polen wohnt: Gott strafe mich, wenn er nicht sächselt. Er hat einen bunten Gummikragen und ein kleines Vorhemdbrettchen und einen geklebten Schlips und eine Brille und einen viereckigen Kopf. Du keusche Tatjana! »Der Verfasser ist früher jahrelang der Vorsitzende des Allgemeinen Stallschweizerbundes, Sitz Plauen, gewesen. Er besitzt umfangreiche Kenntnisse auf dem Gebiete der Rindviehzucht, und ihm unterstanden schon vor dem Kriege große Rinderbestände von weit über hundert Stück. Seine Fachkenntnisse auf diesem Gebiet waren die Ursache für die ihm gewordene in Kriegszeit als Auszeichnung geltende Abkommandierung nach der Türkei zwecks Verwaltung des dortigen großen Rindviehbestandes.« Daß der Mann nicht Reichstagspräsident geworden ist –!

Wonach also festzustellen, dass auch diesmal am deutschen Wesen die Welt genesen ist, und dass unsere Fahnen kulturell und siegreich über den Zeltharems türkischer Paschas geflattert haben. Bitte, erheben Sie sich von Ihren Sitzen und ehren Sie mit mir den Verfasser dieses aufschlußreichen Büchleins.

Kurt Tucholsky
Aus: Mona Lisa.