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Eaux-Bonnes

Eaux-Bonnes, in ehrlichem Deutsch ›Gutwasser‹ geheißen, besteht eigentlich nur aus einem langen Platz, mit Bäumen darauf, von hochstöckigen Häusern eingeschlossen, dahinter sind die Berge, die passen auf, dass sich keiner erkältet. Denn Eaux-Bonnes ist einer jener zahllosen Kurplätze der Pyrenäen, in denen Kranke baden, brausen, gurgeln, inhalieren und sich sicherlich oft genug heilen können. Die Schwefelquellen, deren jedes dieser Bäder viele besitzt, kommen heiß aus dem Boden geschossen, riechen therapeutisch und tun viel Gutes.

Früher scheinen diese heißen Quellen auch andern eigentümlichen Zwecken gedient zu haben, denn ich finde in einem alten Schmöker ›Voyage aux Pyrénées Françaises et Espagnoles par J. P. P., Paris 1832‹ eine merkwürdige Stelle, in der der Verfasser von den Praktiken kranker Damen berichtet; sie benutzen die Quellen gegen ihre Leiden viel zu heiß und nun gar noch innerlich, was ihnen Schaden brächte. Motiv: »Le besoin des plaisirs, plus encore que le besoin de sa santé, inspire le gout des bains et l'usage des injections minérales. Des cris, des exlamations de plaisir échappent et trahissent la baigneuse, qui ne cherche que des sensations.« Wie gut, dass die Welt fortschreitet und heute solches nimmermehr vorkommt; jeder Mann eine Quelle.

Weil mich die hohen Häuser auf dem Platz in Eaux-Bonnes so hohl ansehen, gehe ich davon; Eaux-Bonnes ist leer, die Saison ist im Absterben. Da stehen nur noch wenige Männer in der Halle des Thermal-Gebäudes und gurgeln mit Schwefelwasser. Burr, machen sie und gurr – »Zu Zeiten Franz des Ersten«, sagt Taine, »waren die Quellen von Eaux-Bonnes gut für Verwundungen, sie hießen Arkebusier-Quellen, und man schickte die Soldaten dahin, die bei Pavia verwundet worden waren. Heute heilen sie mehr Kehlkopf- und Lungenkranke. In hundert Jahren werden sie vielleicht wieder etwas anders heilen, denn in jedem Jahrhundert macht die Heilwissenschaft neue Fortschritte.«

Ich will nicht Burrgurr machen – der Nebel steigt und verhüllt das Tal, die ›Promenade Horizontale‹ ist entzwei, alle Leute warnen, man solle da nicht gehen, mit den Laufbrücken sei das so eine Sache … Im Hotel schleicht die graue Langeweile durch alle Gänge.

Sonderbar, welch altmodischen Eindruck diese Pyrenäen-Badeorte machen! Die Mode, in die Pyrenäen zu gehen, stammt etwa aus dem Jahre 1860, und Napoleon III. hat damals nach sich gezogen, was an Snobs gut und teuer war. Aber diese Leute stiegen nicht auf die Berge, sie sahen sich ein Schauspiel von unten an, das für sie eine Art Theaterdekoration war. Und daher schmecken wohl so viele Pyrenäen-Badeorte nach Vergangenheit.

Nicht etwa, als ob sie nicht hübsch eingerichtet wären! Die Engländer haben sich überall das laufende Wasser erzwungen, das ihnen von den Wildbächen in die Hotels gluckert; kein Zimmer daselbst, in dem man nicht etwas fände, was eine baltische Baronin einmal mit dem Wort ›Intimitäten-Schüssel‹ bezeichnet hat – nein, soweit ist alles in Ordnung. Aber die Leute, der Schmuck in den Gebäuden, das Gehaben des ganzen Ortes, selbst die Bäume und die Gärten – alles sieht aus wie 1875. Jetzt komme ich in das Lesezimmer hinunter, und da hätten wir eine Gruppe, einen Holzschnitt aus der Offenbach-Zeit, nur die Kostüme sind schwach erneuert. Ein junges Mädchen wippt im Schaukelstuhl, eine Mama paßt auf, und ein alter Herr steht hinter den Damen und sagt süße Sachen. »Der Graf, ein gut erhaltener Fünfziger, beugte sich leicht über die Schulter der schweigsamen Juliette. ›Comtesse‹, sagte er, ›wenn Sie wüßten … ‹« Fortsetzung im nächsten Heft.

Soweit Gutwasser.


Heißwasser – Eaux-Chaudes – ist noch viel ausgestopfter. Das ist nun auch wirtschaftlich pleite. Der betrübte Badediener führt mich durch das Bad, das unter Sequester steht, sie haben in keiner Zelle mehr einen Stuhl, wegen Gepfändetwordenseins. Das Badehaus ist ein riesiger alter Kasten, mit sicherlich guten Quellen, aber trotz der schönen Namen, die sie führen: ›L'Esquirette Chaude‹ und ›Le Rey‹ und ›Minvielle‹ – sind sie zur Zeit nicht hoch im ärztlichen Kurs notiert, und so hat sich eine plötzlich hinzugekommene Überspekulation, gegen die es keine heißen Quellen gibt, gerächt – das Bad ist nur noch eine sich mühsam dahinschleppende Sache.

Es ist so still hier, besonders wenn niemand badet … Das Hotel hat ein Fremdenbuch; es reicht weit zurück.

  1. Juni 1857
    Otto Freiherr von Ende
    Königl. Preußischer Offizier.

Sein Kollege aus dem Jahre 1916 ist ausführlicher.

»Wer hier nicht zufrieden war, braucht nur in die Schützengräben zu gehen – vielleicht gefällts ihm da besser!«

Das hat der Kapitän Passepoil eingetragen, und er war sicherlich sehr stolz darauf … Das gleicht sich überall, diese da.

Für den Abend gibt es ein wanderndes Zeltkino. Weil ein Grammophon hinter der Leinwand steht, wird behauptet, der Film spreche. »Tadellose Nachah-mung von Wasser, Menschenschritten und Pferden, Kanonengebrüll und Platzen der Granaten … « Wer möchte das nicht hören! Aber was sind das für blutrünstige Leute! ›Die Tanks bei Verdun‹ – ›Im Bagno‹ – und: »Dritter Teil. ›Rache und Sühne!‹ Im letzten Bild: ›Die Guillotine‹. Vorher Pause von zwei Minuten, um nervenschwachen Personen die Möglichkeit zu geben, den Saal zu verlassen.« Nervenstark blieb ich bis zum Schluß und durfte noch sehen: ›Originaltorpedierung der Lusitania‹ und: ›Die Märtyrer der Inquisition‹ sowie ›Chirurgische Operationen‹. Das erinnerte mich lebhaft an die verbotenen Filme, die ich einmal im Berliner Polizeipräsidium gesehen habe und die für alle Geschmäcker etwas boten: Injektionen in das Weiße des Auges (Großaufnahme), Fliegerabsturz und Szenen aus dem Harem, die den Zuschauer dem nächsten Landbriefträger in die Arme zu treiben geeignet waren.

Ab nach Laruns.

So heißt der kleine Ort im Tal, zwischen Eaux-Bonnes und Eaux-Chaudes, da fängt die Eisenbahnlinie an, und von da aus möchte ich weiter. Ich streiche in dem dunkeln Ort umher, es ist schon spät. Und aus Neugierde und Langerweile leuchte ich mit einer Taschenlampe eine Steinsäule ab, die da herumsteht, und falle vor Überraschung fast auf den ›lächerlichen Gegenstand‹ wie Rousseau das genannt hat. Da haben sie einem einen Gedenkstein gesetzt.

Wem –?

Sechs Fuß hoch aufgeschossen,
Ein Kriegsgott anzuschaun,
Der Liebling der Genossen,
Der Abgott schöner Frauen –

Hier ist die andre Seite. Hier erinnert sich das dankbare Laruns an sein berühmtes Kind: an den Kavallerieunteroffizier J.-B. Guindey von den zehnten Husaren, der am 10. Oktober 1806 im Gefecht bei Saalfeld Prinz Louis Ferdinand von Preußen erschossen hat. Eine Unterschrift besagt: »À nous le souvenir, à lui l'immortalité.« Wat dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall, und welch schöne Sache ist doch der Krieg! Jedes Los gewinnt.

ab Laruns 21.56

Es ist drei Viertel zwölf. Ja, dann wären wir wohl soweit.