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Der Satz

Da erscheint in Paris ein Modeblatt La Nouvelle Mode, dessen Lektüre man vielen Leuten empfehlen kann, die immer noch in der Französin und nun gar in der Pariserin das Raffinierteste, das Verruchteste, das Verderbteste und Verdorbenste sehen, wo man hat. Dieses Blatt hat einen Sprechsaal, in dem sich so die Damen gegenseitig schreiben, was sie auf dem Herzen haben – und etwas Gutbürgerlicheres ist nicht denkbar. Natürlich ist auch dieses wiederum nicht »die« Französin – sondern eben eine ökonomische Schicht – aber es ist vielleicht ganz gut, wenn manche Franzosenfresser wissen, dass es in Frankreich auch solche Frauen gibt. Auch? Sie sind wohl in der erdrückenden Majorität.

Da finden sich Empfehlungen der gängigen Leihbibliotheksbücher, schöne, aus diesen Romanen gepflückte Gedanken, oder doch das, was die Autoren dafür ausgeben, Apfelsinenkompottrezepte und sehr sentimentale Abhandlungen über den Bubikopf: soll man abschneiden oder nicht –? Auch wird mitgeteilt, wie man plissierte Wäsche zu behandeln hat, sowie: dass die Güte einer Frau deren Klugheit vorzuziehen ist, nebst allgemein belehrenden Anmerkungen über Güte und Intelligenz überhaupt. Es ist wunderschön, und man kann fürs ganze Leben etwas lernen. Soweit gut.

Ganz besonders lehrreich erschien mir aber bei der Lektüre diese kleine Antwort jener Dame, die »Schönheitsfleck« unterzeichnet – sie wendet sich da an eine andere Leserin, die wohl etwas über die Pariserin geschrieben haben muß. Hier ist das Briefchen:

»Bravo für Ihre Verteidigung der Pariserin. Wenn eine Provinzlerin nach Paris kommt, will sie alles sehen: die Ausstellungen, die Stücke, die gerade Furore machen, die Warenhäuser – alles. Sind ein paar Wochen vorbei, ist sie todmüde, hat zuviel Geld ausgegeben, und manchmal fühlt sie sich obendrein in ihren Erwartungen enttäuscht – und das nennt sie dann: das pariser Leben. Großer Irrtum. Die Pariserin nämlich sagt sich: Das kann ich immer noch sehen – und manchmal sieht sie es dann überhaupt nicht. Das Theater ist teuer; sie geht nur nach reiflicher Überlegung hin und bedauert dann wenigstens nicht, Geld ausgegeben zu haben. An die reichen Schaufensterauslagen ist man so gewöhnt, dass man glücklicherweise bewundert, ohne in die Versuchung zu kommen, gleich alles zu kaufen. Und es gibt so viel Zerstreuungen, die wenig kosten: Vorträge, Ausstellungen. Kurz … «

Und nun kommt ein Satz, wie ihn jeder Franzose oder jede Französin hundertmal in der Unterhaltung produziert, ohne großen Wert darauf zu legen, es ist einfach die Sprache selbst, die spricht – und weil den Satz kein Literat geschrieben hat und kein Redakteur, und weil er den ganzen Unterschied zwischen großer und kleiner Stadt aufzeigt, deshalb lasse ich ihn französisch stehen. Hier ist er:

»En résumé à Paris, on peut mener la vie de province, mais en province on ne peut pas mener la vie de Paris.« – Amen.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 09.07.1926.