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Die Begierde nach Leiden

56.

Die Begierde nach Leiden. — Denke ich an die Begierde, Etwas zu tun, wie sie die Millionen junger Europäer fortwährend kitzelt und stachelt, welche alle die Langeweile und sich selber nicht ertragen können, — so begreife ich, dass in ihnen eine Begierde, Etwas zu leiden, sein muss, um aus ihrem Leiden einen probablen Grund zum Tun, zur Tat herzunehmen. Not ist nötig! Daher das Geschrei der Politiker, daher die vielen falschen, erdichteten, übertriebenen „Notstände“ aller möglichen Klassen und die blinde Bereitwilligkeit, an sie zu glauben. Diese junge Welt verlangt, von Außen her solle — nicht etwa das Glück — sondern das Unglück kommen oder sichtbar werden; und ihre Phantasie ist schon voraus geschäftig, ein Ungeheuer daraus zu formen, damit sie nachher mit einem Ungeheuer kämpfen könne. Fühlten diese Notsüchtigen in sich die Kraft, von Innen her sich selber wohlzutun, sich selber Etwas anzutun, so würden sie auch verstehen, von Innen her sich eine eigene, selbsteigene Not zu schaffen. Ihre Erfindungen könnten dann feiner sein und ihre Befriedigungen könnten wie gute Musik klingen: während sie jetzt die Welt mit ihrem Notgeschrei und folglich gar zu oft erst mit dem Notgefühle anfüllen! Sie verstehen mit sich Nichts anzufangen — und so malen sie das Unglück Anderer an die Wand: sie haben immer Andere nötig! Und immer wieder andere Andere! — Verzeihung, meine Freunde, ich habe gewagt, mein Glück an die Wand zu malen.